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  • Video und Avantgarde: Zum Verhältnis von Kunst, Massenmedien und Terrorismus in Klaus vom Bruchs Das Schleyerband
  • Svea Bräunert (bio)

“Das Verhältnis zwischen Kunst und Macht, Kunst und Krieg oder Kunst und Terror war seit jeher ein ambivalentes” (49). Mit dieser Feststellung einer grundlegenden Ambivalenz beginnt Boris Groys seine Überlegungen zum Schicksal der Kunst im Zeitalter des Terrorismus. Laut Groys haben sich sowohl die Position des Künstlers als auch die des Kämpfers im Verlauf des 20. Jahrhunderts grundlegend verändert. Waren sie in vorigen Jahrhunderten aufeinander angewiesen, da der Kämpfer dem Künstler seinen Stoff lieferte, während der Künstler die Aufgabe übernahm, den Kampf zu “besingen” und so den Kämpfer mit Bekanntheit und Ruhm auszustatten, so hat in der Gegenwart scheinbar eine Entkoppelung dieser Beziehung stattgefunden. Die Kämpfenden bedürfen nicht mehr der künstlerischen Intervention, da nun die Massenmedien an die Stelle der Kunst getreten sind und die Aufgabe übernehmen, Ereignisse wiederzugeben und einem internationalen Publikum zu vermitteln. Groys bringt dieses wechselseitige Verhältnis auf den Punkt, indem er schreibt: “Wenn der zeitgenössische Krieger oder Terrorist den Knopf drückt, der die Bombe zündet, drückt er damit den Knopf, der die Medienmaschine startet” (50).

Mit seinem Verweis auf die wechselseitige Verflechtung von Terrorismus und Massenmedien schließt Groys an eine reiche medientheoretische Diskussion der Terrorismusforschung an, die sich von der Erfindung des Rotationsdrucks und Dynamits im 19. Jahrhundert bis zur Einführung von Fernsehen, Video und Internet im 20. Jahrhundert fortschreibt (vgl. u.a. Elter; Hoffman; Laqueur; Waldmann; Weimann/Winn). Insbesondere das Fernsehen galt dabei lange als nicht wegzudenkender Gefährte des modernen Terrorismus. So schreibt beispielsweise Neil Livingstone: “Terrorism, as an extreme form of violence, is particularly newsworthy and well suited to the needs of television, which is a highly visual and compact medium with little time for exposition. [...] It has been said [...] that terrorism is so ideally suited to television that the medium would have invented the phenomenon if it had not already existed” (62).

Doch zur gleichen Zeit, zu der Massenmedien und Terrorismus ihr symbiotisches Verhältnis aufnehmen, greifen auch Terrorismus und Kunst immer [End Page 27] häufiger auf ähnliche Medien zurück. Allerdings scheinen die Künstler und ihr radikaler Anspruch dabei zunehmend in die Defensive zu geraten. Groys schreibt: “Der zeitgenössische Künstler benutzt [...] dieselben Medien wie der Terrorist: Fotografie, Video und Film. Gleichzeitig ist es klar, dass der Künstler nicht weiter gehen kann als der Terrorist, dass der Künstler gegen den Terroristen im Wettbewerb auf dem Gebiet der radikalen Gesten nicht bestehen kann” (56). Damit spricht Groys den zweiten großen Topos an, der die Diskussionen um die Trias Terrorismus, Massenmedien und Kunst dominiert: das Verhältnis von oder sogar die Konkurrenz zwischen Kunst und Terrorismus. Don DeLillo hat sich in seinem Roman Mao II ausführlich mit dieser ambivalenten Beziehung beschäftigt. Anhand der Figur des Schriftstellers Bill Gray diskutiert er die Angst vor der schwindenden Bedeutung der Literatur, die gegenüber dem Terrorismus als neuem Generator von wirkungsmächtigen Botschaften zurücktreten muss. So lässt er seinen Protagonisten sagen: “What terrorists gain, novelists lose. The degree to which they influence mass consciousness is the extent of our decline as shapers of sensibility and thought. The danger they represent equals our own failure to be dangerous” (156–57).

Im Hinblick auf den westdeutschen Terrorismus der 70er Jahre lässt sich dieses vermeintliche Konkurrenzverhältnis als komplexes Ineinandergreifen der drei Ebenen Terrorismus, Massenmedien und Kunst nachvollziehen. So setzte die Rote Armee Fraktion (RAF) bei ihren Aktionen immer auch auf die Aufmerksamkeit der Massenmedien zur Verbreitung ihrer Bilder und Botschaften. Die gewaltsame Verwüstung der gesprengten Gebäude und Autowracks an den Tatorten stand indirekt für die aus dem 19. Jahrhundert in die Gegenwart transportierte “Propaganda der Tat” ein, während die zwischen 1970 und 1972 erschienenen ausführlichen Positionsschriften der ersten Generation und die Kommunikation anhand von Polaroid und Video im Fall der zweiten Generation den Massenmedien ein eigenes Produkt oder Programm gegenüberstellte. Im Gegenzug berichteten die Medien ausführlich über den terroristischen Angriff von Links, so dass die RAF nicht erst aus der...

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