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  • Der maskierte Eros. Liebesbriefwechsel im realistischen Zeitalter by Roman Lach
  • Philipp Böttcher
Der maskierte Eros. Liebesbriefwechsel im realistischen Zeitalter. Von Roman Lach. Berlin und Boston: de Gruyter, 2012. x + 351 Seiten. €99,95.

“Die Ehen werden im Himmel geschlossen, im Auto gehen sie auseinander,” brachte Niklas Luhmann die Kluft zwischen dem anfänglichen Zauber des ‘Wagnisses Liebe’ und der mit einer bleibenden Verbindung einhergehenden “anforderungsreiche[n] Alltagsorientierung” auf den Punkt (Liebe als Passion, Frankfurt a. M. 1982, 42, 47). Sie vor solchem Sturz aus allen Wolken frühzeitig zu bewahren, schickte Theodor Fontane seiner späteren Frau Emilie vor der Hochzeit ein Gedicht, das mit der Strophe schließt: “Das Glück—kein Reiter wird’s erjagen / Es ist nicht dort, es ist nicht hier;—/Lern überwinden, lern entsagen, / Und, ungeahnt, erblüht es Dir” (33). Dieses versifizierte Entsagungsprogramm formuliert eine zentrale Gedankenfigur des Realismus—wie sie etwa auch in den zeitgenössischen Debatten über die politischen Ideale des Bürgertums nach 1848 bemüht wird—, nach der erst der Verzicht auf absolute und radikale Ansprüche die Verstetigung der diesen zugrundeliegenden Prinzipien sichert und damit ein Gelingen ermöglicht. Bezogen auf eine Paarbeziehung garantiert nur die realistische Selbsterziehung gegenüber der romantischen Selbstverzehrung den dauerhaften Liebesgewinn als lebbare Form—das Ideale des Prosaischen gewissermaßen.

Dies ist eine jener vordergründig zunächst paradoxen Produktivkonstellationen der Liebe, wie sie Roman Lach in seiner Habilitationsschrift für die “Liebesbriefwechsel im realistischen Zeitalter” erhellend beschreibt. Anhand von im Wesentlichen vier Einzeluntersuchungen (zu Otto von Bismarck, Adalbert Stifter, Leopold von Sacher-Masoch, Ernst Haeckel und ihren Briefpartnerinnen) zeichnet Lach ein anderes als das von der Forschung mitunter skizzierte Bild einer der Tendenz nach einerseits zunehmend pragmatischen, andererseits konventionalisierten bzw. epigonalen Briefkultur, die sich in leidenschaftslos-monologischen Aussageformen vor allem auf Äußeres konzentriere. Bereits die Liebeskonstellationen, auf denen die hier untersuchten Korrespondenzen beruhen, sind—nicht anders als ihre sprachlichen Ausdrucksweisen—das Gegenteil von konventionell (vgl. 27f.). Methodisch weniger an dem kulturanthropologischen Quellenwert des Briefs, seiner Materialität oder performativen [End Page 510] Dimension interessiert, geht es dem Verfasser primär um den zeichenhaften Status des Liebesbriefs als Text und ästhetische Kommunikationsform. Das Darstellungsinteresse der Arbeit bringt Lach mit dem Wort Max Nordaus von der “Literaturliebe” auf den Begriff. Warnte Nordau mit dieser Bezeichnung jedoch missbilligend vor der Bedrohung der realen Liebe durch die Literatur, zeigt Lach an seinen Beispielen, wie die Liebe mittels literarischer Verfahren und Versatzstücke erst und immer wieder aufs Neue realisiert wird. Die “Briefliebe als Literaturliebe” beruhe demnach nicht zuletzt auf der “Erschaffung von Liebe durch und als Literatur” (328, 331).

Die Logik des Liebesbriefwechsels als selbstreferentieller Kommunikationszusammenhang, der jene Liebe erst herstellt, als dessen Zeugnis er gemeinhin gilt, erfasste dabei am Übergang von aristokratischen zu bürgerlichen Liebeskonzeptionen schon Heinrich von Kleist im Brief an Wilhelmine von Zenge vom 3. September 1800: “Ich will durch diese immer wiederholten Briefe, durch diese fast ununterbrochene Unterhaltung mit Dir, durch diese nie ermüdende Sorgfalt für Deine Ruhe, bewirken, daß Du […] mit Sicherheit, mit Zuversicht, mit tiefempfundnem Bewußtsein zu Dir selbst sagen mögest: ja, es ist gewiß, es ist gewiß, daß er mich liebt!” (Sämtliche Briefe, Stuttgart 1999, 98). Nur die ‘fortgesetzte Unterhaltung’ im Brief sichert und bezeugt demnach die Fortdauer der Liebe—eine Maxime, die auch für die hier analysierten (Text-)Beziehungen konstitutiv ist. Allerdings begegnen diese den Widrigkeiten der Wirklichkeit nicht durch letztlich zerstörerische Weltverneinung, sondern indem sie sich gerade im Bewusstsein derselben realisieren. Wie Lach anschaulich darstellt, bilden die Brieftexte eine Art Zwischen- respective Übergangsraum zwischen “Ideal und Wirklichkeit,” in dem Formen der “Bewältigung der Realität,” der “Vereinbarung von Liebe und Welt” gesucht und erschaffen werden (329, 14, 4). In letzter Konsequenz—wie im Fall von Ernst Haeckel und Frida von Uslar-Gleichen (vgl. 270ff.)—kann der Brief so zum Imaginationsraum werden, in dem allein die Liebe sich ‘verwirklicht.’

Insbesondere dieses Beispiel demonstriert, wie die LiebesbriefschreiberInnen des “realistischen Zeitalters” sich selbst dort noch auf Wirklichkeit beziehen, wo sie sich nur negativ zur ihr ins Verhältnis setzen können—und wie in der Realität der Korrespondenz gelingen kann, was in der Außenwelt scheitern muss...

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