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  • Der “Dritte Humanismus”. Aspekte deutscher Griechenrezeption vom George-Kreis bis zum Nationalsozialismus by Barbara Stiewe
  • Thomas Amos
Der “Dritte Humanismus”. Aspekte deutscher Griechenrezeption vom George-Kreis bis zum Nationalsozialismus. Von Barbara Stiewe. Berlin und Boston: de Gruyter, 2011. x + 343 Seiten. €79,95.

Als Reaktion auf die Forderung Wilhelms II. nach einer national ausgerichteten Erziehung bildet sich an der vorletzten Jahrhundertwende eine informelle Bewegung, die modischen Vitalismus und Chauvinismus mit der Kultur der griechischen Antike zur neuen gesamtkulturellen “Leitgröße” (2) verbindet. 1921 belegt der Pädagoge Eduard Spranger diese bis etwa 1933/34 dauernde, von der Forschung bislang zögerlich angegangene Strömung mit dem Namen “Dritter Humanismus” (vgl. 4). Trotz einer Problematisierung des Begriffs (vgl. 5) behält die Verfasserin ihn bei, da sie die pädagogisch-ethischen Prinzipien der griechischen Antike wiederzuerkennen meint und andererseits die Nähe zum Humanismus der frühen Neuzeit wie zur Weimarer Klassik betont wissen will (vgl. 3–8). Der explizite Vergleich mit der Goethe-Zeit ergäbe freilich, so sei angemerkt, bei der hundert Jahre später grassierenden offiziösen Graecophilie eklatante Unterschiede in Gehalt und Wirkung. Eine “transdisziplinäre Perspektive” (24) soll drei besonders relevante Bereiche samt paradigmatischem Kristallisationspunkt behandeln: Literatur und Kunst (Stefan George und sein Kreis), Altertumswissenschaften (Werner Jaeger) und Pädagogik (Eduard Spranger). Ziel der kulturgeschichtlich ausgerichteten Arbeit ist es, aus diesen unterschiedlichen Text-sorten mit Hilfe einer plurimethodischen Vorgehensweise (historische Diskursanalyse und kulturwissenschaftliche Ansätze) induktiv ein valides Modell des “Dritten Humanismus” zu entwickeln (vgl. 24–30).

Die Basis des “Dritten Humanismus” bilden von der deutschen Klassik übernommene Positionen: Winckelmanns produktive Nacheiferung der Alten sowie sein homoerotisches Schönheitsideal (vgl. 44–79); Humboldts Bildungsbegriff und die angenommene Wesensverwandtschaft zwischen Deutschen und Griechen; die von Schiller als für eine Demokratie zentral erachtete Polis-Idee; der in Homer personifizierte poeta vates; Hölderlins Kulturkritik an den Deutschen samt seiner Vorstellung eines deutsch-griechischen Idealstaates. Anschließend benennt die Verfasserin die konstituierenden Merkmale der Strömung, die unter dem Einfluss Nietzsches einen dezidiert [End Page 517] gegen Positivismus, Materialismus und Fortschrittsglauben gerichteten Impetus aufweist und in ihrer Gesamtheit den Ausgangspunkt einer neuen deutschen Nationalkultur ergeben will (vgl. 88–129): die Auffassung eines zyklischen Geschichtsverlaufes; die Abgrenzung gegenüber akademischer Buchgelehrsamkeit und vita contemplativa; die Präferenz der archaischen griechischen Frühzeit; das apollinische Prinzip; der Jugendlichkeitstopos; die Propagierung eines Nationalstils in Analogie zum National-charakter; das quasi-kultische Primat des schönen, vorzugsweise männlichen Körpers.

Ausführlich legt die Verfasserin dar, wie der “Dritte Humanismus” durch Hochschullehrer (Friedrich Wolters, Friedrich Gundolf u.a.) und Publikationen die systematische Umwandlung zu einer Lebenswissenschaft erfährt, wobei ein denkbar umfassender Anspruch erhoben wird, nämlich über die Grenzen des jeweiligen Faches hinweg “ganzheitliches Denken und Leben dem zeitgenössischen Menschen nahezubringen” (150; vgl. 138–152). So erfolgt die grundsätzliche Gleichsetzung von Griechenland mit dem Humanistischen (vgl. 155–159), andererseits wird die Betonung der vorgeblichen Wesensverwandtschaft zwischen Griechen und Deutschen geschickt genutzt zur Abgrenzung von der Romania, namentlich von Frankreich (vgl. 159–162). Eine wesentliche Rolle im Bildungskonzept, dessen Vermittlung naturgemäß dem altsprachlichen Gymnasium zu obliegen habe (vgl. 201–206), spielt die als Leitwissenschaft begriffene klassische Philologie und, für den George-Kreis, die Literatur der Weimarer Klassik mit “Goethe als Idealgestalt des Deutschen” (194f.; vgl. 172–189).

Das letzte Kapitel, “Der ‘Dritte Humanismus’ als politisches Programm” (207–306) legt dar, mit welch fataler Zwangsläufigkeit konservative Positionen schließlich nationalistische Züge annehmen bzw. teilweise nationalsozialistischem Gedankengut entsprechen. Bereits der Erste Weltkrieg wird euphorisch zum Bildungserlebnis und zur katalytischen Bewährungsprobe stilisiert (vgl. 213–223), hinzu kommen nach 1918 neben einem nationalistischen Sendungsbewusstsein und der Sehnsucht nach einer genialischen Führerfigur folgende politische Postulate: die an die Polis-Idee angelehnte “Volksgemeinschaft,” der als Kollektiv aufgefasste Staat und die Gleichsetzung von Preußen mit Sparta (vgl. 228–260). Knapp handelt die Verfasserin das hochinteressante Verhältnis des “Dritten Humanismus” zum NS-Staat ab (vgl. 285–306); letztlich favorisieren beide, wie die Verfasserin betont, als Antwort auf Demokratie und Moderne die mittelalterliche Ständegesellschaft mit ihrem idealistischen Klassizismus (vgl. 290f.). Wenn aber die nationalsozialistische Rassenideologie der Verfasserin als “die entscheidende und nicht zu überbrückende Differenz […], die sich...

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