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  • Handbuch Gattungstheorie by Rüdiger Zymner
  • Rainer Godel
Handbuch Gattungstheorie. Herausgegeben von Rüdiger Zymner. Stuttgart: Metzler, 2010. vii + 368 Seiten. €79,95.

"Eine logisch strenge Eintheilung läßt sich nicht wohl von den verschiedenen Dichtungsarten machen, weil sehr oft die Gränzen derselben ineinander laufen, weil auch eine von der andern die Behandlungsart entlehnt, und die Theilungsglieder folglich einander nicht völlig ausschließen." Schon Johann Joachim Eschenburg (hier anzitiert, 205) dämpft die Erwartungen an eine trennscharfe systematische Gattungstheorie. Hier klingt die Goethezeit fast wie der Poststrukturalismus, sollte sich doch im späten 20. Jahrhundert die Kritik an der Kanonisierung der "Gattungstrias," welche sich auf Goethes Diktum von den "Naturformen der Dichtung" bezogen hatte, intensivieren (vgl. Gérard Genette, hier 215). Solcherart Parallelen zeigen an, dass das Verhältnis von historischen und systematischen Zugängen im Bereich der Gattungstheorie weniger Anlass zu letztgültigen Lösungen denn zu einem Differenzierungsreichtum jeweils spezifischer und für je spezifische Problemstellungen tragfähiger methodischer Zugänge bietet.

Dem von Rüdiger Zymner edierten Handbuch gelingt es, diesen Differenzierungsreichtum aufzubereiten, instruktiv darzulegen und kritisch zu bewerten. 134 Artikel von 58 Beiträgern—darunter viele der profiliertesten deutschsprachigen Anreger des Gattungsdiskurses der Gegenwart—ordnet der Herausgeber in acht Hauptkapitel. Seine vorangestellte Einführung beginnt medias in res mit der Problematisierung der Gattung "Handbuch." Ziel sei es, "ein möglichst weites Spektrum gattungstheoretischer Reflexion" (5) zu erfassen.

Das erste Hauptkapitel behandelt "Aspekte der literaturwissenschaftlichen Gattungsbestimmung." Bei aller Vielfalt der schon hier zutage tretenden differenten Positionen dürfte ein Konsens darin liegen, dass Gattungen "aus der Interaktion von Erkenntnissubjekt und -objekt resultierende Konstrukte sind" (Hempfer, hier 12, vgl. auch 123). Damit aber erfordert die Analyse von Gattungen als metareflexive Basis die Frage nach dem "Wie" des Bestimmens, Definierens, Systematisierens, Kategorisierens. Antworten hierauf bilden eine Voraussetzung für die Analyse von Bestimmungskriterien, die die Zuordnung von Texten zu Gattungen ermöglichen (also etwa [End Page 315] Faktualität/Fiktionalität, Funktion oder Selbständigkeit), welche sich im zweiten Unterabschnitt anschließt.

Das zweite Hauptkapitel befasst sich mit text-, normen-, vermittlungs-, institutionen-, medien- und literaturtheoretischen Problemkonstellationen der Gattungstheorie. Die Artikel verdeutlichen die analytischen und interpretatorischen Chancen und Risiken verschiedener Konstellationen. Während Dietmar Till der systematischen Rede von der Unvereinbarkeit von deskriptiven und präskriptiven Gattungsbegriffen die diachrone Perspektive der Übergängigkeiten hinzufügt, die den Geltungsbereich von Gattungsnormen und -analysen exakter zu beschreiben in der Lage ist (60f.), wird im Artikel Andreas Blödorns deutlich, dass die Kategorie "Geschlecht" zwar keinen systematischen Zugang bietet, wohl aber zu historischen Analysen geschlechtsbezogener Gattungsfunktionalisierungen beiträgt (65). Monika Schmitz-Emans arbeitet die Vermittlungsmöglichkeiten zwischen konventioneller Gattungstheorie und poststrukturalistischer Theoriebildung heraus (107ff.).

Das dritte Hauptkapitel behandelt Fragen der Gattungsgeschichtsschreibung. Es stammt ausschließlich von Marion Gymnich, die die Möglichkeiten der historiographischen Darstellung der "hochgradig kulturell und historisch variab[len]" (146) Gattungssystematiken thematisiert und einleuchtend sortiert.

Das vierte Hauptkapitel bietet vierzehn alphabetisch angeordnete Ansätze der poetologischen Gattungstheorie, wendet sich also analytisch den Gattungspoetiken von der Antike bis in das 21. Jahrhundert zu. In historischer Perspektive nimmt das anschließende, fünfte Kapitel zur Geschichte der poetologischen Gattungstheorie diesen Faden wieder auf. Beide Kapitel ergänzen einander im Sinne der Zusammenführung systematischer und historischer Perspektiven.

Weniger instruktiv—und damit eine Ausnahme im Handbuch—wirkt das Hauptkapitel zu Bezugssystemen von Gattungstheorien und Gattungsforschung. Hier soll eine Serie von insgesamt sechzehn Unterkapiteln den spezifischen Bezug bzw. Beitrag einzelner methodischer Zugänge oder außerliterarischer Disziplinen zur Gattungstheorie darlegen. Die Artikel lösen indes leider nicht ein, was sie hätten leisten können. Denn zunächst wird im Schnitt etwa eine Spalte lang erklärt, was Diskursanalyse, Strukturalismus, Gesellschaftswissenschaften oder Naturwissenschaften seien—die "Explikation" beinhaltet solche Erkenntnisse wie diejenige, dass zu den Naturwissenschaften "akademische Disziplinen wie Physik, Biologie, Geowissenschaften oder Chemie" zählen (243)—, um dann zweitens in ähnlichem Umfang deren allgemeine Bezüge zur Literaturwissenschaft bzw. "Bezugstheorien" zu verdeutlichen. Der genuine Beitrag der jeweiligen Zugänge zur Gattungstheorie bleibt hingegen auf wenige Zeilen beschränkt. Dabei hätte doch dieses Kapitel die Chance geboten, die in anderen Artikeln diskutierten kritischen wie konstruktiven Beiträge unterschiedlicher Theoriestränge gebündelt zu diskutieren, also etwa den Beitrag des Poststrukturalismus...

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