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  • Narratives of Trauma: Discourses of German Wartime Suffering in National and International Perspective ed. by Helmut Schmitz and Annette Seidel-Arpaci
  • Norman Ächtler
Narratives of Trauma: Discourses of German Wartime Suffering in National and International Perspective. Edited by Helmut Schmitz and Annette Seidel-Arpaci. Amsterdam: Rodopi, 2011. 223 pages. $64.00.

Der Zusammenbruch der sozialistischen Gesellschaftssysteme in Ostmitteleuropa und die deutsche Wiedervereinigung stellen auch erinnerungspolitisch eine signifikante Zäsur dar, darüber besteht in den Kulturwissenschaften inzwischen Konsens. Das Ende des Kalten Kriegs bedeutete auch das Ende einer von den ideologischen Leitdiskursen in Ost und West geprägten Auseinandersetzung mit der jüngsten deutschen und europäischen Vergangenheit im Schatten der Totalitarismen des 20. Jahrhunderts. Während in den vormals 'geschlossenen Gesellschaften' des Realsozialismus die großen Erzählungen eines verordneten kollektiven bzw. kulturellen Gedächtnisses durch partikulare nationale Narrative abgelöst wurden, ist für den öffentlichen Vergangenheitsdiskurs in Deutschland spätestens seit der Jahrtausendwende eine perspektivische Neujustierung zu konstatieren, die die Herausgeber des vorliegenden Sammelbands zurecht als die "signifikanteste Verschiebung" (1) in der Tektonik des kulturellen Gedächtnisses bezeichnen: Erstmals seit dem Beginn der intensiven Aufarbeitung des Holocaust Ende der 1960er Jahre mischen sich wieder deutsche Opfernarrative unter die humanitäre Schreckensbilanz des Zweiten Weltkriegs. Angestoßen nicht zuletzt durch literarische Bestseller wie W.G. Sebalds Thesen zu Luftkrieg und Literatur (1997/99) oder Günter Grass's Roman Im Krebsgang (2002) und TV-Blockbuster wie Dresden (2006) oder Die Flucht (2007) entwickelte sich eine anhaltende gesellschaftliche Debatte über angemessene Formen der Thematisierung und Kontextualisierung deutscher Leiderfahrungen wie Bombenkrieg oder Flucht und Vertreibung.

Konsequenterweise hat sich inzwischen auch die kulturwissenschaftliche Forschung eingehend mit dem Phänomen der deutschen Opfernarrative befasst. Ein angelsächsischer Forscherverbund zum Thema war das an der University of Leeds angesiedelte interdisziplinäre AHRC-Projekt "From Perpetrators to Victims? Discourses of German Wartime Suffering From 1945 to the Present" (2005-2008). Aus dessen Abschlusskonferenz ist das vorliegende Kompendium hervorgegangen. Unter der Herausgeberschaft von Helmut Schmitz und Annette Seidel-Arpaci versammelt der Band 11 Beiträge, die mehrheitlich geschichtswissenschaftlich ausgerichtet sind, zu Teilen aber auch Ansätze der Cultural Studies an den Gegenstand anlegen.

In ihrer Einleitung stecken die Herausgeber wichtige Positionen des diskursiven Felds ab, auf dem sich die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit deutschen Opfernarrativen derzeit bewegt. Zurecht weisen sie auf das konzeptionelle Spannungsverhältnis hin, dass sich aus zwei Kategorien ergibt, mit denen die Kulturwissenschaften operieren, um zu einer angemessenen Beschreibung deutscher Leiderfahrungen [End Page 342] während des Zweiten Weltkriegs zu kommen: Trauma und Trauerarbeit (mourning). In der Tat birgt der Rückgriff auf populäre psychoanalytische Erklärungsmodelle von Mitscherlich bis Caruth, die "Trauma" als universalen "marker for historical experience" (6) begreifen, einige Gefahren. Allzu leichtfertig wird hier ein individualpsychologisches Phänomen auf kollektive Erfahrungskrisen übertragen. Gravierender ist jedoch die zentrale Relation, die sich aus solchen Ansätzen ergibt, denn es war in erster Linie der Holocaust, an dem sie erprobt wurden: "The Holocaust thus becomes the universal signifier for traumatic historical experience in the 20th century" (ebd.). Dass eine Argumentationsführung mit einem derart besetzten Trauma-Begriff droht, die Grenzen zwischen Tätervolk und Opfergruppen verschiedener Herkunft und Generationszugehörigkeit verschwimmen zu lassen, liegt auf der Hand. Aus soziologischer Warte diskutiert Michael Heinlein dies in seinem Beitrag am Beispiel der Applikation des Trauma-Paradigmas auf das Schicksal der deutschen und europäischen Kriegskinder in der aktuellen Flut von (auto)biographischen und populärwissenschaftlichen Werken zum Thema. Überzeugend deckt Heinlein zugleich die dahintersteckenden erinnerungspolitischen Strategien auf. Durch die Hervorkehrung der Tatsache, dass im Zweiten Weltkrieg "alle Kinder gelitten" haben (119), wird demnach versucht, ein kollektive Identität stiftendes gesamteuropäisches Erinnerungsnarrativ zu konstruieren.

Die Herausgeber stellen klar, dass die Rede von einem nunmehr zur Sprache kommenden "nationalen Trauma" auf der empirisch längst widerlegten Behauptung basiert, die Deutschen seien auch in Bezug auf die eigenen Verluste über Jahrzehnte unfähig zur Trauer gewesen. Gerade die frühe Bundesrepublik pflegte eine kollektive "Trauerarbeit" im Sinne einer ritualisierten öffentlichen Gedenkkultur. Es war das gesteigerte Bewusstsein für die NS-Verbrechen, das die Erinnerung an eigenes Leiden zunehmend von einer offiziellen Ebene in die Privatsphäre der Familien abdrängte. Gegenüber dem...

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