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  • Erhabenheit. Über ein großes Gefühl und seine Opfer by Stefanie Voigt
  • Christoph Weber
Erhabenheit. Über ein großes Gefühl und seine Opfer. Von Stefanie Voigt. Würzburg: Königshausen & Neumann, 2011. 308 Seiten. €58,00.

Stefanie Voigt präsentiert in der Arbeit Erhabenheit. Über ein großes Gefühl und seine Opfer einen epochenübergreifenden Streifzug durch die Geschichte, Verwen-dung und Systematik der Erhabenheit. Das ambitiöse Unterfangen gründet auf ihrem Befund, dass sich in der Postmoderne eine Renaissance dieses scheinbar antiquierten Begriffs ereignet habe. Disziplinen wie Philosophie, Theologie, Psychologie, Kunst und Wirtschaft haben das Erhabene auf unterschiedliche Weise neu entdeckt. Gemäß Voigt sei diese Aneignung aber oftmals unreflektiert und ohne Kenntnis der ideengeschichtlichen Entwicklung des Begriffs geschehen: eine Schwierigkeit, die eine umfassende Bestimmung der Erhabenheit vonnöten mache. Die Autorin siedelt ihre facettenreiche Untersuchung im interdisziplinären Grenzgebiet zwischen Philosophie und Psychologie an. Vorab definiert sie das Erhabene als dasjenige, “was im Erleben die kognitive Kapazität des Menschen übersteigt und ihn dementsprechend überwältigt” (7). Somit ist Erhabenheit “ein Selbstbewusstsein förderndes Erlebnis unfass-barer Größe und Idealität in beliebigen Bereichen” (7), die zur Grenzerfahrungen wie “Ekstase” oder “verinnerlichter Entase” führt (8).

Das erste Kapitel der Übersichtsarbeit beinhaltet eine sprachwissenschaftliche Begriffserklärung des Erhabenen, die sich über die griechischen, lateinischen, romanischen, angelsächsischen und deutschen Sprachräume erstreckt. Im zweiten und weitaus längsten Kapitel setzt die Autorin mit der Sisyphusarbeit an, einschlägige Erhabenheitstheorien von Longinus bis zur Gegenwart chronologisch zusammenzuführen. Die Problematik, dass innerhalb der ungeheuren Materialfülle Unstimmigkeiten erscheinen und grundlegende Texte oberflächlich oder gar nicht besprochen werden, tritt unweigerlich auf, wenn Voigt die sogenannte Blütezeit der Erhabenheit im Barock behandelt. Nicolas Boileau-Despréaux verhalf 1674 der Ästhetiktheorie des Erhabenen mit der französischen Übersetzung von Longinus’ Peri hypsous zu einer erneuten [End Page 133] Prominenz. Seine Gleichsetzung des Erhabenen mit dem “Wunderbaren und Begeisternden” unterschied sich von dem Schrecklich-Erhabenen in den Schriften des anglo-amerikanischen Dichters Michael Wigglesworth und des englischen Literaturtheoretikers John Dennis (47), der laut der inkorrekten Angabe Voigts 1704 den Beitrag The Pleasures of Imagination publizierte (49). Bekanntlich wurde dieser wegweisende Essay von Joseph Addison verfasst, der ihn 1712 im Spectator abdrucken ließ. Auch ist zu berücksichtigen, dass zu diesem Zeitpunkt in den englischsprachigen Abhandlungen das Wunderbare als Manifestation der providentia dei durchaus mit dem sublime verknüpft wurde. Weiterhin stieß das merveilleux chrétien bei Boileau auf kritische Ablehnung.

In der Untersuchung der philosophischen Schriften Edmund Burkes und Im-manuel Kants geht Voigt mehrheitlich beschreibend statt analytisch vor. Merkwürdig ist, weshalb sie den auf “überwältigende[r] Größe beziehungsweise Unendlichkeit basierenden Begriff von Erhabenheit” als Burkes grundlegendsten Beitrag zur “Ideengeschichte der Erhabenheit” herausstreicht (50). Das Konzept der Unendlichkeit bzw. des Großen als das Sinnlichunermessliche und Göttliche war bereits in den Kosmologien des 17. Jahrhunderts verbreitet und wurde während der Frühaufklärung in den physikotheologischen Schriften eingehend thematisiert. In ihrer ablehnenden Haltung gegen die doppelte Ästhetik Kants—die sexistische Dichotomie zwischen der männ-lichen, geachteten Erhabenheit und der weiblichen, liebenswürdigen Schönheit— bringt Voigt die vorkritischen und kritischen Schriften des Königsberger Philosophen durcheinander. Die “kopernikanische Wende des Erhabenen vom Objektiven zum Subjektiven” gerät aus dem Blickfeld (71), wenn sie Kants Kritik der Urteilskraft als eine scheinbare Fortführung seiner Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen (1764) darstellt. In der weiteren Zusammenfassung der Erhabenheitstheorien im 19. Jahrhundert erörtert Voigt, wie die Erhabenheit mit dem Schönen verschmilzt und aufgrund der fortschreitenden Verwissenschaftlichung des Denkens ins Abseits gerät. Statt Achtung und Bewunderung ruft sie von nun an Lächerlichkeit hervor.

Mit Jean-François Lyotards Ausführungen erreichen die Erhabenheitstheorien in der Postmoderne des 20. Jahrhunderts einen erneuten Höhepunkt. Zu Recht hebt Voigt die gewichtige Rezeption Lyotards von Kants Konzeptualisierung der Erhabenheit hervor. Die Grenzüberschreitung zwischen dem eigenen Denken und der unfassbaren Größe hat der Franzose auf den Grenzbereich transferiert, wo die unterschiedlichen Diskurse aufeinanderprallen. Die Kunst der Avantgarde nimmt eine zentrale Rolle in der negativen Repräsentation des Erhabenen ein. Insbesondere Barnett Newmans abstrakt-expressionistische Gemälde...

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