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Reviewed by:
  • Kafka for the Twenty-First Century ed. by Stanley Corngold, Ruth V. Gross
  • Andreas Härter
Kafka for the Twenty-First Century. Edited by Stanley Corngold and Ruth V. Gross. Rochester, NY: Camden House, 2011. 298 pages. $75.00.

Am Anfang steht nicht ein Werk, sondern eine Person. Die Einleitung zu dem Buch mit dem überraschenden Titel Kafka for the Twenty-First Century zeichnet ein Bild des Menschen Franz Kafka als Person, gar als personality, mitsamt äußerer Erscheinung, Ausstrahlung, Karriere, Umfeld. Soll Kafka hier für das 21. Jahrhundert als Literaturstar inszeniert werden? Oder als Genie, gar als eines, das um seine Bedeutung gewusst habe? Oder meldet sich ganz einfach die über Jahrzehnte gewachsene Vertrautheit der Herausgeber mit Kafka? Für Letzteres spricht das Gedankenspiel, das die Einleitung beschließt: Kafka wird in einer imaginierten Retrospektion in eine Reihe temporaler Settings versetzt, nach Griechenland, Rom, ins Mittelalter, die Renaissance, die Aufklärung, das 19. Jahrhundert. Dieses Experiment variiert Borges’ Essay “Kafka und seine Vorläufer,” indem es in gewisser Weise den Gedanken durchspielt, Kafka als Vorläufer seiner selbst zu sehen. Kafka als Person mag in Zeiten medial betriebener Personalisierung ein attraktiver Topos sein; aber was diese Person autorisiert, ist—davon geht auch die Einleitung fraglos aus—ihre Schriftstellerei, ihr Werk. Um dieses geht es in der Folge, und das ist gut so.

Kafka for the Twenty-First Century: Der Titel klingt wie die Überschrift eines Ratgebers, und ganz falsch ist die Allusion auf diese Textsorte nicht. Natürlich will der Band kein Ratgeber in dem Sinn sein, dass er Kafka als Lebenshilfe für das neue Jahrtausend anpreist, wohl aber in dem Sinn, dass hier in einer Reihe sehr lesbarer Aufsätze Forschungspositionen, -themen und -traditionen versammelt werden, die für die aktuelle und künftige wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Kafka wegleitend sein können. Dass der Titel etwas gewagt ist—schon wegen der deutlichen, wenn auch nicht ausschließlichen Fokussierung des Bandes auf die amerikanische Kafka-Forschung—, versteht sich von selbst; Anlage und Ausrichtung des Bandes sind aber durchaus dazu angetan, den Anspruch des Titels einzulösen.

Zurückgehend auf eine Tagung zum 125. Geburtstag Kafkas im Jahr 2009, stellt der Band Forschungsergebnisse des 20. Jahrhunderts mit jüngeren und aktuellsten Positionen zusammen und öffnet so den Blick auf mögliche künftige Forschungsrichtungen. Dabei werden nicht einfach nur prominente Namen versammelt; zu Wort kommen auch Nachwuchsforscher. Wichtiger als Prominenz scheint die Präsentation relevanter Ansätze zu sein; gerade an der Anwesenheit von Nachwuchs in dem Band zeigt sich die Kontinuität, die mehr oder weniger nahtlose Weitergabe der Ansätze: und zugleich die Unwahrscheinlichkeit, dass zu Kafka—oder zum Kafka-Diskurs—unvermittelt Neues zu sagen sei.

Der Band zeichnet in seinen ersten Aufsätzen geradezu das Transformations-schema der Kafka-Forschung der vergangenen Jahrzehnte nach. Am Beispiel des Aufsatzes [End Page 155] von Walter H. Sokel und mit Blick etwa auf den Beitrag von Mark Harman, dem Übersetzer von Das Schloß und Der Verschollene, aber auch auf den Aufsatz von Uta Degner, lässt sich erkennen, wie die ältere Forschergeneration Deutungsmuster extrapoliert bzw. hypostasiert hat, die dann von der jüngeren Generation überschritten werden, und zwar nicht einfach auf neue Muster hin, sondern mit schöner Regelmäßigkeit dahingehend, dass die Muster unterlaufen werden, oder besser: auf die Einsicht hin, dass die Muster ihre eigene Unterminierung immer schon mit sich führen und dass diese Unterminierung—die ohne die vorgängige Exposition der Muster (und also ohne die Arbeiten der Vorgänger) nicht auskommt—das eigentlich Ergiebige der Kafka-Texte und auch der Kafka-Forschung sei. Während sich bei Sokels auf Nietzsche referierenden Beitrag eine Art metaphysischen Positionsbezugs ausmachen lässt—also die Vorstellung, Kafka lasse sich letztendlich an einer Metaphysik festmachen bzw. in eine solche einordnen—, kann die neuere Forschung dies nicht mehr geltend machen, da sie es gerade darauf anlegt, die Unmöglichkeit solcher Positionsbezüge aufzuweisen (oder diese Unmöglichkeit auch schon voraussetzt, wie dies etwa bei Jacob Burnetts Ansatz der “Strange Loops” zu sehen ist, der—bereits wieder eine Generation weiter—von der Position der Positionsauflösung ausgeht und diese in der Folge nur noch anhand der gewiss auch...

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