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  • Rufmord klassisch. Gottfried August Bürger. Volksdichter und radikaler Demokrat by Klaus Damert
  • Klaus L. Berghahn
Rufmord klassisch. Gottfried August Bürger. Volksdichter und radikaler Demokrat. Von Klaus Damert. Münster: Monsenstein und Vannerdat, 2012. 274 Seiten. €39,50.

Im Jahre 1791 rezensierte Friedrich Schiller in der Jenaer Allgemeinen Literatur-Zeitung die erweiterte, zweite Auflage von Gottfried August Bürgers Gedichten (1789) anonym—und vernichtend. Für Klaus Damert ist diese Rezension ein klassischer Rufmord. Sie bildet daher auch das Zentrum seines Buches. Schillers Urteil wurde zur Richtschnur für die Beurteilung der Lyrik Bürgers, von Gundolfs abfälligem Urteil über den “Plebejer con amore” bis zu zahlreichen Wiederholungen in den jüngsten Literaturgeschichten.

Schiller Rezension ist nicht nur eine Kritik der populären Lyrik Bürgers sondern vor allem eine kulturkritische Kontroverse über Volkstümlichkeit. Für den “Volksdichter” Bürger, wie er sich selbst nannte, ist Volkstümlichkeit “die Achse, woherum meine ganze Poetik sich dreht.” Oder noch programmatischer: “Alle Poesie soll volksmäßig sein, denn das ist das Siegel ihrer Vollkommenheit.” Dieses theorieferne “Glaubensbekenntnis” machte es Schiller leicht, ihn zu kritisieren. Denn Schiller beurteilte die Situation des literarischen Marktes skeptischer und realistischer. Bürgers Vorstellung vom Volk als einer kulturellen Einheit entsprach nicht mehr der von Schiller erkannten Desintegration des Publikums in eine gebildete Elite und einen “großen Haufen,” der nicht einmal lesen konnte. Schiller wollte diesen Kulturunterschied durch große Kunst “aufheben,” um durch eine ästhetische Erziehung die unteren Schichten “scherzend und spielend zu sich hinaufzuziehen.” Gemessen an diesem Kunstideal, das sich im Gegensatz zu Bürger nicht am Geschmack des Volkes orientiert sondern an der literarischen Elite, konnten Bürgers Gedichte und seine Vorstellung von Volkstümlichkeit nicht bestehen. Nimmt man hinzu, dass Schiller sich nicht scheute, moralisiernd auch noch auf Bürgers unglückliche Liebesbeziehungen anzuspielen, wie er sie in den Molly-Gedichten wahrnahm, so ist seine Rezension, allen wichtigen kulturkritischen Einsichten zum Trotz, vernichtend. Überraschenderweise schadete Schillers Rezension dem Nachruhm Bürgers wenig.

Im Grunde ist Damerts Buch eine reich dokumentierte Rezeptionsgeschichte zu Bürgers Poesie und Popularität. Sie beginnt mit der Wirkung von Bürgers berühmtester Ballade “Lenore,” und widmet dem “vergessenen Volksdichter” ein eigenes Kapitel, in dem Damert auch den “radikalen Demokraten” würdigt. Kapitel zu Bürgers Humor und seiner Liebeslyrik runden das Buch ab.

Damert lässt andere ausführlich für sich sprechen und kommentiert dann kurz die langen Zitate. Der Leser wird mit Zitaten reich bedient, aber dieser Reichtum an Dokumentation ist zugleich ein Mangel des Buches, das die These vom klassischen Rufmord an Bürger zwar erschöpfend belegt, aber sie zu wenig literaturhistorisch und kritisch analysiert. Doch statt dem Autodidakten dies vorzuhalten oder sich nochmals [End Page 141] wie Schiller auf das hohe Ross der Ästhetik und Literaturkritik zu schwingen, muss man lobend anerkennen: Damert hat wie ein kluger Museumsdirektor alles zusammengetragen, was Bürgers Lyrik und die Bürger-Schiller-Kontroverse erhellen kann: also ihre Erstrezeption, vor allem unter den deutschen Dichtern, Zeugnisse der Literaturkritik aus dem 19. Jahrhundert und Urteile von Literaturhistorikern. Er scheute auch nicht davor zurück, Bürgers berühmteste Balladen und Gedichte nachzudrucken, was die Lektüre des Buches auflockert und es auch leserfreundlich macht. Und schließlich reproduzierte er neben zahlreichen zeitgenössischen Illustrationen zwölf wenig bekannte Lithographien von Lovis Corinth zu Bürgers “Die Königin von Golkonde.” Das alles macht dieses Buch zu einem Kompendium für Liebhaber von Bürgers Lyrik, die es immer noch geben soll, geschrieben von einem Liebhaber, der kenntnisreich und verständnisvoll an Bürger erinnert.

Klaus L. Berghahn
University of Wisconsin–Madison
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