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  • Düstere Aufklärung. Die Detektivliteratur von Conan Doyle bis Cornwell
  • Jochen Vogt
Düstere Aufklärung. Die Detektivliteratur von Conan Doyle bis Cornwell. Von Sonja Osterwalder. Wien: Böhlau, 2011. 243 Seiten, €35,00.

Erstaunlich, dass die seit den 1990er Jahren rasant ansteigende und weltweite Konjunktur des Kriminalromans von der zuständigen akademischen Disziplin, also von uns Literaturwissenschaftlern, kaum zur Kenntnis, geschweige denn ernst genommen wird. Sind wir etwa beleidigt, weil der "Krimi" auf seine Weise autonom ist—Literatur, die aus eigener Kraft funktioniert und, anders als die Klassiker oder die Werke der Avantgarden, unsere fachmännischen Hilfsdienste überhaupt nicht braucht? Oder haben wir zu diesem Phänomen nichts zu sagen, weil sich das Expertenwissen längst außerakademisch, in den Strukturen einer Fankultur—also hauptsächlich im Internet—organisiert hat? Das ist schwer zu entscheiden, aber bedenklich bleibt es doch, wenn—nur beispielsweise—einer der prominentesten und produktivsten deutschen Germanisten in seinem 700-Seiten-Werk mit dem Titel Ästhetik des Bösen für Sir Arthur Conan Doyle, der immerhin beim Namen genannt wird, und alle seine Nachfahren gerade einmal eine dreiviertel Seite übrig hat (Peter-André Alt, München 2010). [End Page 688]

Insofern ist dem wahren Krimifreund jedes einschlägige, und erst recht jedes intelligente Buch aus der Zunft willkommen, und wir lesen auch ganz schnell darüber hinweg, dass Sonja Osterwalder das ihre mit einer politisch höchst unkorrekten Szene—die Autorin "spätnachts" auf der Suche nach Zigaretten!!—eröffnet, und sind fast erleichtert, als diese Recherche sie nur an ihr offenes Küchenfenster führt, ganz ähnlich jenem anderen, durch das sich "vor mehr als anderthalb Jahrhunderten im nächtlichen Paris" der wohlbekannte "blutrünstige Gorilla schwang" (13).

Die geneigte Leserin hat längst begriffen, dass es sich hier um die seltene Spezies einer unterhaltsamen (wenn auch nicht in jedem Punkt präzisen: Poe präsentiert einen Orang-Utan, keinen Gorilla) Dissertation handelt, und der Rezensent fügt hinzu, dass sie sogar die endlosen Umsteigezeiten auf amerikanischen Inlandflügen, etwa bei der Heimkehr von einer GSA-Konferenz, ebenso lehrreich wie kurzweilig zu füllen vermag. Dabei wissen wir doch, dass nicht alles Unterhaltsame, oder Spannende, auch ganz neu sein muss; wenn wir dem Experten Brecht glauben wollen, liegt der Suchtfaktor beim Krimi ja gerade in der Wiederholung.

Nun aber zur Sache. Die Autorin ist eine jüngere Germanistin in Zürich; ihre Arbeit ist der allgemeinen oder auch kulturwissenschaftlich akzentuierten Literaturwissenschaft zuzurechnen. Der Untertitel impliziert, dass der große Poe zwar erwähnt wird (denken wir ans Küchenfenster!), aber nicht eigentlich behandelt. Frau Osterwalder interessiert sich nicht so sehr für den Prototyp, sondern für die Massenproduktion; auf diesem Sektor des literarischen Feldes ist das durchaus plausibel. Ob allerdings Patricia Cornwell so definitiv ein Ende markiert wie Doyle einen Beginn, wäre noch zu prüfen. Diese Studie ist keine Geschichte der Detektivliteratur, dafür ist sie an Varianten und Differenzen zu wenig interessiert, vielmehr eine Art Chrono-Typologie, in ihrer Auswahl teils konventionell (Doyle, Chandler), teils subjektiv (Ross Macdonald, Cornwell). Es geht ihr ausdrücklich um die Ermittlerfiguren und ihre Methoden (und damit um Formen und Funktionen des Wissens in bestimmten historischen und sozialen Kontexten). Erörterungen der Erzählform und der erstaunlichen Genre-Karriere, von der Fallgeschichte des 18. zum Universalgenre des 21. Jahrhunderts, sind damit leider weitgehend ausgeklammert. Aber natürlich: Man kann nicht alles haben.

Der Duktus des Buches ist essayistisch oder, um ein altmodisches Wort zu bemühen, geistreich. Die Autorin neigt zu—und hat offensichtlich Spaß an—zugespitzten Urteilen, mit denen sie die abgenutzten Klischees der Gattungsgeschichte (oder auch der Texte selbst) gegen den Strich bürstet: Sherlock Holmes ist eben keine Denkmaschine, sondern "der aktivste und tatkräftigste Detektiv" (223). Philip Marlowe agiert weniger mit Faust und Revolver als mit—"Intuition" (148)! Und obwohl sein Schöpfer, wohl aus sehr persönlichen Gründen, lange Tiraden gegen die Psychoanalyse führt, schlüpft auch Chandlers Detektiv (und nicht nur sein selbsterklärter Erbe Lew Archer bei Ross Macdonald) gelegentlich in die Rolle des "Analytikers" (223).

Überhaupt ist das eigentliche Thema dieser Arbeit die Konstellation von Psychoanalyse und Detektivroman; Sigmund Freud damit auch...

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