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  • Karl Gutzkow. Erinnerungen, Berichte und Urteile seiner Zeitgenossen. Eine Dokumentation
  • Jost Hermand
Karl Gutzkow. Erinnerungen, Berichte und Urteile seiner Zeitgenossen. Eine Dokumentation. Herausgegeben von Wolfgang Rasch. Berlin und Boston: de Gruyter, 2011. 608 Seiten + 43 s/w Abbildungen. €149,95.

"Bewundert viel und viel gescholten": wohl kaum ein anderer deutscher Autor wird mit diesem Diktum so treffend charakterisiert wie Karl Gutzkow. Seit seinen ersten Publikationen in den frühen dreißiger Jahren des 19. Jahrhundert befand sich dieser Autor wegen seiner offenen und oftmals impulsiven Kritik an der Metternich'schen Restaurationspolitik und dann dem programmatischen Realismus der auf eine preußische Reichseinigung drängenden Nationalliberalen stets im Kreuzfeuer ideologischer und ästhetischer Auseinandersetzungen. Erst im saturierten Klima des wilhelminischen Zeitalters erlosch das Interesse an ihm und seinen Werken, ja in den Jahrzehnten danach beschäftigte sich fast niemand mehr mit seinem geradezu unüberschaubaren OEuvre. Eine erneute Auseinandersetzung mit Gutzkows Schriften begann—nach langen Jahren einer nationalpädagogisch, völkisch, konservativ oder formalistisch ausgerichteten Literaturgeschichtsschreibung—erst wieder in der frühen DDR und dann während der späten sechziger Jahre in der BRD, als es auch dort im Zuge einer liberalen Welle zu einer allmählichen Aufwertung der Literatur des Jungen Deutschland und des Vormärz kam. Erst jetzt wurden Gutzkows Werke nicht mehr wie in der NS-Zeit als frankophil, zersetzend, wenn nicht gar artfremd diffamiert oder von den westlichen Kunstschmusern Staiger'scher Prägung als im schlechten Sinne "journalistisch" hingestellt, sondern wieder als Dokumente jener demokratischen Traditionen in der deutschen Literatur gewürdigt, die man allzulange ungebührlich vernachlässigt habe. Doch selbst dann dauerte es noch weitere 20 Jahre, bis es zu einer ernsthaften germanistischen Erforschung seiner Werke kam. Zeugnisse dafür sind die Kommentierte Digitale Gesamtausgabe seiner Werke und Briefe, die seit 2001 erscheint, die drei Gutzkow-Konferenzen, welche anschließend stattfanden, und die vom Bielefelder Aisthesis-Verlag herausgegebenen höchst verdienstvollen Forum Vormärz-Bände.

Eine zentrale Rolle im Rahmen dieser Bemühungen spielte und spielt dabei Wolfgang Rasch, der nicht nur an der Kommentierten Digitalen Gesamtausgabe von Gutzkows Werken mitwirkt, sondern auch eine umfassende Gutzkow-Bibliographie in zwei Bänden sowie seit 1998 mehrere Einzelstudien zu diesem Autor und den Briefwechsel zwischen Gutzkow und Levin Schücking vorgelegt hat. Und in diesem Umfeld muss auch sein 2011 herausgekommener Band Karl Gutzkow. Erinnerungen, Berichte und Urteile seiner Zeitgenossen gesehen werden, der an Fülle und Gründlichkeit viele, wenn nicht alle bisherigen Bemühungen um eine Neubewertung Gutzkows übertrifft. Diese Dokumentation erschließt auf über 400 Seiten anhand von Berichten, [End Page 661] Erinnerungen, Tagebüchern, Zeitungsartikeln, Briefen, Spitzelberichten und Nekrologen erstmals geradezu alles, was sich an zeitgenössischen Zeugnissen über Gutzkow finden lässt, woraus sich ein höchst lebendiges Bild von Gutzkows Leben und den wechselvollen Beziehungen zu seiner privaten und literarischen Umwelt ergibt.

Doch nicht genug damit. Darauf folgen sowohl minutiöse Anmerkungen und ein Quellenverzeichnis als auch ein aufschlussreiches Autoren-und Literaturverzeichnis sowie ein makelloses Werk-und Personenregister. Besonders zu loben ist die 40 Seiten umfassende Lebenschronik Gutzkows, die einen überaus fesselnden Einblick in die persönlichen Schicksale dieses Autors und seiner ausgesprochen vielfältigen literarischen Aktivitäten bietet. Neben den 540 in diesem Band zusammengetragenen Dokumenten bildet dieser Lebensabriss eine äußerst nützliche Grundlage für eine hoffentlich bald erscheinende Gutzkow-Biographie. Man wünschte sich eine solche im besten Sinne neopositivistisch angelegte Lebens-und Schaffensgeschichte am liebsten von Wolfgang Rasch. Aufgrund seiner immensen Vorkenntnisse auf diesem Gebiet wäre er wie kaum ein anderer befähigt, uns endlich ein fundiertes und zugleich gerechteres Bild von diesem lange Zeit recht stiefmütterlich behandelten Autor zu geben, der nicht nur Wally, die Zweiflerin und Die Ritter vom Geiste geschrieben hat, sondern auch sonst zu den wichtigsten Vertretern der deutschen Literatur des 19. Jahrhunderts gehört.

Jost Hermand
University of Wisconsin-Madison
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