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  • Photographie, Malerei und visuelle Wahrnehmung bei Theodor Fontane
  • Sabine Gross
Photographie, Malerei und visuelle Wahrnehmung bei Theodor Fontane. Von Nora Hoffmann. Berlin und Boston: de Gruyter, 2011. vii + 376 Seiten. €99,95.

Visuelle Aspekte realistischen Schreibens sind ein ergiebiges Thema. Nora Hoffmanns solide recherchierte und informative Studie setzt sich das Ziel, die "prägende Bedeutung der Visualität für das 19. Jahrhundert" in ausgewählten Texten Theodor Fontanes "nachzuweisen" (1) und dabei insbesondere den Niederschlag der Photographie (neben der bereits ausführlicher zur Kenntnis genommenen Malerei) sowie eines neu entwickelten Wahrnehmungsbewusstseins (mit Betonung ihrer Subjektivität und der Frage nach ihrer Verlässlichkeit) herauszuarbeiten. Sie strebt damit explizit nicht einen Beitrag zur Theorie an, sondern eine Anwendung theoretischer Erkenntnisse zum besseren Verständnis Fontanes—ein Anspruch, den die Studie zum Teil einlöst. Nicht nur Fontanes Wanderungen durch die Mark Brandenburg, sondern auch seine Tätigkeit als Kriegsberichterstatter und Theaterkritiker sowie sein Verhältnis zur Malerei werden mit fundierter Textkenntnis einbezogen, wie andererseits der Ansatz über die Visual Studies insbesondere auch Gender-Aspekte in den Romanen in den Blick nimmt.

Eingerahmt von einer Einleitung mit Überblick und "Zusammenfassung und Ausblick" (mit Nennung einiger Forschungsdesiderate) legt Hoffmann vier substanzielle Kapitel vor: Kapitel 2 skizziert das "Forschungsumfeld" (Visual Studies und Intermedialitätsforschung), Kapitel 3 den historischen Hintergrund—die Entwicklung von Bildmedien im 19. Jahrhundert mit einem Abriss zu Wahrnehmungstheorien sowie dem Verhältnis des Realismus zu Malerei und Photographie—, Kapitel 4 ist Fontanes Wanderungen durch die Mark Brandenburg gewidmet, und in Kapitel 5 schließlich folgen Analysen ausgewählter Romane—Cécile, L'Adultera, Effi Briest und Mathilde Möhring—, wobei das letztere Kapitel fast die Hälfte des Bandes ausmacht. Ein Register hat der Band nicht, doch eine systematisch-vielgliedrige Kapitelunterteilung, die "Zusammenfassungen" (Kapitel 4, 6) und "Fazits" (am Ende der Roman-Unterkapitel in Kapitel 5) sowie die abschließende Bibliographie der Forschung erleichtern immerhin den Überblick, und ein Netz von Verweisen innerhalb des Textes trägt zur Orientierung bei.

Kapitel 2 und 3 stellen im Rahmen ihrer Orientierungs- und Überblicksfunktion [End Page 667] verhältnismäßig gründliche Einführungen zum einen in den theoretischen Zugang zum Thema und zum anderen in die kulturhistorische Dimension des Komplexes von Wahrnehmung, Medien und Visualität dar. Ohne den Anspruch, hier neue Erkenntnisse zu erarbeiten, präsentieren die Darstellungen zu Visual Studies und Intermedialitätsforschung im zweiten Kapitel wichtige Positionen klar verständlich, gelegentlich schon mit Ausblick auf das Fontane-Vorhaben. Auf der Basis der ausführlich und aufmerksam-kritisch referierten Kategorisierung von Irina O. Rajewsky (v.a. 29-36) entwickelt Hoffmann eine Klassifizierung von Inter- und Transmedialität sowie Medienkombination (39-41), die auch im weiteren Verlauf ihrer Studie zum Tragen kommt.

Auch das folgende Kapitel 3 verbindet solide Kenntnis relevanter Forschungsansätze mit einem systematischen Überblick neuerer medientheoretischer wie kulturhistorischer Erkenntnisse. Beginnend mit einer historischen Skizze zu Panorama, Diorama, Moving Panorama und Photographie und abgeschlossen durch drei Unterkapitel zu Wahrnehmungstheorien, insbesondere der Helmholtz'schen, konzentriert Hoffmann ihre Aufmerksamkeit auf die Rezeption von Malerei und Photographie in der Literatur, wobei sie durchaus konzediert, dass es sich bei Korrespondenzen und Parallelen nicht unbedingt um Rezeption im Sinne eines direkten Einflusses handelt, sondern um komplexere, soziokulturell stärker vermittelte Wechselwirkungen (beispielsweise 21, 33; eine Einsicht, die allerdings nicht durchgängig Eingang in die textorientierten Folgekapitel gefunden hat). Insbesondere unternimmt sie willkommene erste Schritte zu einer Begriffsdifferenzierung und -klärung im Bereich dessen, was es denn bedeute "photographisch" zu sehen (und zu schreiben). Wie Hoffmann in einer verdienstvollen kontrastiven Zusammenstellung und Zusammenfassung der Vorstellungen von (vor allem) Heinz Buddemeier und Erwin Koppen, Rolf Krauss, Gottfried Willems, Bernd Stiegler, Harro Segeberg und Volker Mergenthaler (81-86) darlegt, bestehen bei einer nur scheinbaren Präzision des Begriffs erhebliche Unschärfen und Diskrepanzen zwischen unterschiedlichen Verwendungen des Terminus "photographisch," die in verschiedenen historischen wie theoretischen Modellen erstaunlich divergieren. Sinnvoll erscheint in diesem Kontext insbesondere eine von Hoffmann eingeführte klärende und präzisierende Unterscheidung zwischen "photographischem" und "photographieanalogem" Sehen, wobei letzteres alle übertragenen Verwendungen meint, die nicht tatsächlich den Blick durch eine Kamera oder das Betrachten einer Photographie bezeichnen (verwunderlich und bedauerlich aller dings wiederum, dass Hoffmann diese beiden letzteren Sehakte—mit ihrer...

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