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  • Ironie—Komik—Skepsis. Studien zum Werk Adalbert Stifters
  • Elisabeth Strowick
Ironie—Komik—Skepsis. Studien zum Werk Adalbert Stifters. Von Jochen Berendes. Tübingen: Niemeyer, 2009. viii + 410 Seiten. €89,95.

Jochen Berendes’ Studie nimmt eine “eingehende Analyse ironischen Stils” (1) bei Stifter vor und reagiert damit auf ein Desiderat in der bisherigen Stifter- Forschung. Anhand von Stifters Ironie arbeitet Berendes dessen “Modernität” heraus, womit er seine Untersuchung zugleich in den Kontext der an der Modernität der Stifter’schen Texte interessierten, literaturtheoretisch instruierten Stifterforschung seit den 1990er Jahren stellt. Ausgehend von Ironiekonzepten der Frühromantik entwickelt Berendes einen strukturellen Ironiebegriff, den er epistemologisch—insbesondere in Hinsicht auf das Verhältnis von Ironie und Skepsis bei Stifter—zuspitzt. Skepsis, so Berendes, findet ihren Einsatz in der poetologischen Verhandlung von Diskursen: Mittels der Wiederholung und affirmativen Zitation betreibt Stifter zugleich die Suspension und komische Kontrastierung von Diskursen über Bildung, Patriotismus, Tradition und Recht.

Die gleichermaßen kenntnis- wie umfangreiche Studie gliedert sich in ausführliche Analysen einzelner literarischer Texte wie u.a. Die Mappe meines Urgroßvaters, Bergmilch, Der Kuß von Sentze, Bergkristall, Witiko oder Der Nachsommer. Mit großer Aufmerksamkeit für Details legt die Lektüre der vier Fassungen der Mappe meines Urgroßvaters eine genaue Untersuchung der komplexen zeitlichen Struktur und palimpsesthaften Schichtung des Erzählens vor. Die Mappe als “Aufschreibesystem” bildet dabei den Ansatzpunkt für eine ironische Lesart des Textes, wobei Berendes den Akzent insbesondere auf die Diskrepanz zwischen Aufschreibeprogramm und -realisation setzt. Anhand der präzisen Analyse von erzählter Zeit und Erzählzeit rekonstruiert [End Page 458] Berendes die Genese des Textes als Prozess von Aufzeichnung, Unterbrechung, Relektüre, Nachtrag und Überarbeitung. Auch die Lektüre von Bergmilch verbindet genaue Textbeobachtungen mit instruktiven poetologischen Reflexionen und eröffnet auf diese Weise die innovative Rezeption dieser Erzählung als “narratives Pendant zur ‘Vorrede’ der ‘Bunten Steine’ ” (91). Wird die “Vorrede” dadurch ihrerseits neu lesbar, eröffnet Berendes’ Akzentuierung der Skepsis dieses Textes noch einen weiteren Zugang: In methodologisch-konsequenter Weise analysiert er die verschiedentlich konstatierte “erkenntniskritische” Ausrichtung der “Vorrede” auf der Ebene ihrer Performanz. Ausgehend von dem letzten Absatz, der die “Harmlosigkeit” des Folgenden ankündigt und den Berendes als ironischen Selbstkommentar liest, welcher nachträglich das so gar nicht Harmlose des Vorangegangenen benennt, arbeitet Berendes das in der “Vorrede” entwickelte “Mißtrauen[ ] gegenüber vertrauten Topoi” (151) wie z. B. Maß, Gesetz, Natur heraus. In einem überzeugenden close reading zeigt Berendes, dass die “Vorrede” nicht etwa einen normativen Begriff von “Maß” entwickelt, sondern vielmehr dessen Historisierung und Pluralisierung betreibt. Erhellend ist des Weiteren die Aufwertung der häufig vernachlässigten “Einleitung,” welche Berendes in produktiver Weise in seine poetologischen Überlegungen einbezieht. Die von Berendes als skeptisch qualifizierte Dynamik der Stifter’schen Texte, normative Orientierungen qua Verfahren von Zitation zugleich herzustellen wie in Zweifel zu ziehen, arbeitet der Autor auch an Bergkristall—in Hinsicht auf Ökonomie—, am Witiko—in Hinsicht auf Geschichtsmodelle—und am Nachsommer —in Hinsicht auf Bildung—heraus. Eine Reflexion der Stifter’schen Skepsis in Bezug auf Hegels Konzeption des “objektiven Humors” sowie Preisendanz’ Überlegungen zum “objektiven Humor” als poetischem Prinzip des Realismus knüpfen an die theoretischen Ausführungen in der Einleitung an und schließen das Buch ab.

Die Stärken der Studie sollten schon anhand dieser kursorischen Darstellung deutlich geworden sein: ein großes Augenmerk für Details, das sich auch in der Gliederung widerspiegelt (z. B. “Pferd—Haus—Tod,” “Eheanbahnung,” “Der Schuster,” “Zum Jagen getragen” oder “Stürzende Kulissen”), die überzeugende Analyse poetologischer Verfahren, performativer Dynamiken und struktureller Aspekte von Stifters Texten sowie die Reflexion des doppelgesichtigen Verhältnisses von Stifters literarischen Verfahren zu verschiedenen Diskursen. Bemerkenswert ist die subtile Aufmerksamkeit für temporale Aspekte des Stifter’schen Erzählens, welche in der Forschung nach wie vor häufig nur in Form des Klischees eines “Stillstands der Zeit” Erwähnung finden: So charakterisiert Berendes die Zeitlichkeit der strukturellen Komik von Stifters Texten anhand des Oxymorons “zerdehnte[ ] Witze” (13). “Verweigert Langsamkeit Komik,” so Berendes, “erweist Langsamkeit sich letztlich wiederum als deren Medium” (13). Zudem formuliert er die poetologisch weitreichende Beobachtung, dass Stifters epische Langform Sätze epigrammatischer Kürze einschließt (20f.), was nicht zuletzt eine spezifische Rhythmisierung...

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