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  • Gellert und die empfindsame Aufklärung. Vermittlungs-, Austausch- und Rezeptionsprozesse in Wissenschaft, Kunst und Kultur
  • Gerhard Sauder
Gellert und die empfindsame Aufklärung. Vermittlungs-, Austausch- und Rezeptionsprozesse in Wissenschaft, Kunst und Kultur. Herausgegeben von Sibylle Schönborn und Vera Viehöver. Berlin: Erich Schmidt, 2009. 308 Seiten. €39,80.

Der Sammelband enthält 17 Vorträge, die während der Tagung “Gellert und die empfindsame Aufklärung. Wissens- und Kulturtransfer um 1750” im Gleimhaus zu Halberstadt vom 4.–7. Juli 2007 gehalten wurden. Fast zwanzig Jahre nach der letzten Gellert-Tagung 1988 an der University of Virginia in Charlottesville (USA) (vgl. “Ein Lehrer der ganzen Nation”. Leben und Werk Christian Fürchtegott Gellerts, hg. Bernd Witte, München 1990) wird die Diskussion über den nicht immer positiv beurteilten Autor wieder aufgenommen. Die inzwischen etablierten Paradigmen einer um anthropologische, medien- und kulturwissenschaftliche Ansätze erweiterten Literaturwissenschaft sollen auf Gellert appliziert werden. Seit 2000 seien zahlreiche Studien erschienen, die sich unter neuen theoretischen Prämissen mit Gellert befassen. Seine epistolographischen Schriften und sein Roman wurden mehrfach beleuchtet. Jetzt soll auch nichtliterarisches Material aus Gellerts Nachlass berücksichtigt werden. Das Stichwort ‘Wissensordnung’ bezieht sich auf Joseph Vogls Poetologien des Wissens um 1800 (1999). Eigentlicher Anlass der Tagung 2007 war der Abschluss der kritischen Gellert-Ausgabe mit dem VII. Band (Berlin/ New York 2008). Über die Editionsprobleme des Bandes berichtet eine der Herausgeberinnen, Kerstin Reimann. Die nun vorliegende Gellert-Ausgabe enthält in den Bänden I–VI die zu Lebzeiten publizierten Schriften, in Bd. VII Dokumente aus dem Nachlass, die im Gegensatz zu den früheren Bänden mit wenigen Ausnahmen auf Handschriften beruhen (mehr als 230 Blätter). Gellerts christliches Bekenntnis und seine Frömmigkeitspraxis nehmen hier breiten Raum ein: Die “Beicht- und Gebetstexte” und “Täglichen Aufzeichnungen” sind als Formulierungen pietistischer Selbsterforschung, nicht aber als literarische Texte bedeutsam. Durch den Abdruck von Materialien für Gellerts Vorlesungen und von Vorlesungsnachschriften kann seine Rolle im Wissenschaftsbetrieb seiner Zeit präziser als bisher bestimmt werden.

Die drei ersten Beiträge sind dem Theoretiker Gellert gewidmet. Jutta Heinz untersucht in dessen Leipziger Antritts- und Abschlussvorlesung die Elemente ‘empfindsamer Wissenschaft’—einer Lebensform, die Gellert am Ende seiner akademischen Laufbahn mit kritischen Augen sieht und die nur noch in der Religiosität ihr Fundament findet. Dietmar Till situiert den Dichter in dem “schleichenden Prozess” (42) des Untergangs der Rhetorik, die in der Frühen Neuzeit vor allem Schulrhetorik war. Gellert kritisiert sie wegen ihrer Fixiertheit auf Regeln, nicht die Rhetorik überhaupt. Mit Quintilian hält er es mit der ‘aemulatio.’ Auf die “Schönheiten jenseits [End Page 446] der Regeln” zielt er in seiner Abhandlung über den “Vorzug der Alten vor den Neuern.” Er bleibt innerhalb der antiken Tradition. Von einer ‘Entrhetorisierung’ könne bei ihm noch nicht die Rede sein. Mark- Georg Dehrmann deutet die “Moralischen Vorlesungen” im Hinblick auf die Begründung der Moral, wobei ihm die Positionen von Spalding, Chladenius und Mendelssohn zum Vergleich dienen. Bei Gellert gehe es um ein “moralphilosophisches Dreieck” (54) mit den Begriffen ‘moralische Empfindung,’ ‘Vernunft’ und ‘Offenbarung.’ Spalding rezipiert Shaftesbury und die Moral Sense-Theorie—Chladenius und Mendelssohn kritisieren diese Auffassung zugunsten der Vernunft. Während Gellert zunächst eine Spalding ähnliche Position vertritt, wird in den “Vorlesungen” die moralische Empfindung durch den Verstand eingeschränkt. Bis zuletzt behält Gellert den Moral Sense bei, allerdings nicht mehr im Sinne einer natürlichen Ausstattung des Menschen, sondern als Wirkung der göttlichen Gnade. Auf diese begriffliche Inkonsistenz wird hingewiesen.

Bernd Witte charakterisiert Gellert als sächsischen Patrioten und entschiedenen Kriegsgegner. In Berlin habe man ihm viel Ehre erwiesen, aber den Sachsen in ihm gedemütigt. Nachrichten vom Krieg und Tod so vieler Menschen und eigene existenzielle Erfahrungen motivierten ihn seit 1757, die Evokation des eigenen Todes ins Zentrum seines religiösen Lebens zu rücken. Er setzte sich für eine Erziehung des Militärs zum Frieden ein und wendete sich gegen Friedrichs Kriegspolitik. Mit dieser “einfachen Botschaft” erschloss er sich neue Leser im einfachen Volk. Wittes Beitrag übertrifft alle übrigen an Überzeugungskraft. Auch Claudia Neumann nimmt sich des Pazifisten Gellert an. In seinen Briefen aus der Kriegszeit finden sich zahlreiche Äußerungen für den...

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