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  • Versuch, kubistische Lyrik zu übertragen:Vier Gedichte von August Stramm auf Englisch
  • Reinhold Grimm

Wie bekannt, erweist sich gerade im Bereich der expressionistischen Lyrik ein Blick auf die gleichzeitige Malerei als höchst aufschlussreich; ja, er drängt sich einem geradezu auf. Ich brauche dazu lediglich an Franz Marc (1880–1916) und dessen Turm der blauen Pferde zu erinnern—ein Bild, das beispielsweise in den für Georg Trakl so bezeichnenden Prägungen wie "blaues Wild" (aus dem Gedicht "Sommersneige") seine genaue lyrische Entsprechung besitzt. Die Belege, und zwar keineswegs bloß aus dem Schaffen Trakls, ließen sich vermehren. Was demnach solch verfremdende Farbgebung oder 'farbliche Verfremdung'1 betrifft, so stimmen Bildkunst und Wortkunst des Expressionismus vollkommen überein. Wie aber steht es mit der verfremdenden Form-gebung der expressionistischen Malerei oder—wie wir nunmehr hinzusetzen müssen—auch Graphik in ihren jeweligen Gestaltungen? Finden sich zu ihnen ebenfalls genaue lyrische Entsprechungen? Doch vielleicht sollten wir hier eher auf die Parellelerscheinung des Kubismus mit seiner Auflösung des Organischen in geometrische Gebilde blicken, nicht so sehr auf den bildkünstlerischen Expressionismus, obschon man ihn unschwer zur Ergänzung beiziehen könnte und im Grunde wohl müsste. Indes, der Vergleich mit dem Kubismus liegt, wie ich meine, trotzdem näher und enthüllt sich jedenfalls als ergiebiger. Finden sich also, nochmals gefragt, auch solch kubistische Auflösungen oder zumindest Teilauflösungen in der expressionistischen Lyrik?

Diese Frage ist unbedingt zu bejahen . . . und der Dichter, dessen lyrisches Werk die Antwort darauf enthält, ist ohne jeden Zweifel August Stramm, und zwar als einziger, soweit ich feststellen kann. Einzig und allein die Gedichte Stramms sind offenbar nach Art der Kubisten durch entsprechende Verzerrungen und Entstellungen oder eben strukturelle Verfremdungen des organischen Sprachleibs gekennzeichnet; sie allein, so scheint es, behaupten [End Page 323] sich als verfremdete und mehr oder minder aufgelöste, aber dennoch erkennbare Wortgebilde zwischen dem (von Traklscher Farbgebung abgesehen) noch vielfach konventionellen Sprachgebrauch der Mehrzahl der Expressionisten einerseits und andererseits dem Lallen, Gurgeln und Zischen der Dadaisten, deren sprachliche Totalverfremdung nicht mehr—man denke etwa an Hugo Ball—aus ihrer gänzlichen Wort-und Satzauflösung, ja schon verbalen, nicht erst grammatisch-syntaktischen Zerstörung zurückzukehren vermag. Kurzum, die Strammschen Verse dürften in diesem Sinne eine einzigartige Mittelstellung innehaben.2

Lässt sich derlei jedoch—das ist für uns nun die nächste und entscheidende Frage—einigermaßen befriedigend oder auch nur annähernd übertragen, zum Beispiel ins Englische? Die Bejahung auch dieser Frage ist schwierig und kann bloß zögernd und mit allen gebotenen Vorbehalten erfolgen, soll indes nachstehend gleichwohl einmal versucht werden. Denn kongeniale Versübertragungen, ob durch englische oder amerikanische Übersetzer, sind meines Wissens bisher noch nirgends aufgetaucht.3 Ich wähle deshalb als Probetexte vier aus Stramms Schaffen, von denen mindestens zwei zu seinen bekanntesten und am häufigsten zitierten und kommentierten Gedichten zählen: nämlich die drei Kriegsgedichte "Patrouille," "Sturmangriff" und "Krieggrab" (sic) sowie das Liebesgedicht "Blüte." Sie gilt es der Reihe nach im einzelnen zu betrachten.

Der Text von "Patrouille" lautet wie folgt:

Die Steine feindenFenster grinst VerratÄste würgenBerge Sträucher blättern raschligGellenTod.4

Im Englischen hat der Titel dieser Verse zweifellos "Reconnaissance Patrol" zu heißen; ihr Text hingegen hat bei mir folgenden—durchaus versuchsweisen—Wortlaut (und dieselbe Einschränkung gilt natürlich auch für meine restlichen 'Übertagungen'):

The stones inimicWindow grins betrayBranches chokingScreeny bushes leafing rustlyYellingDeath

Die von mir hier, ganz gemäß Stramms Verfahren, vorgenommenen drastischen Eingriffe in den englischen Sprachleib müssen, denke ich, in die Augen springen. Sie betreffen vor allem die Verse 1, 2 und 4, während die Ersetzung [End Page 324] der deutschen Verbformen (3. Pers. Pl.) durch die im Englischen ja viel gängigeren absoluten Partizipialkonstruktionen in den Versen 3, 4 und 5 weitaus weniger gravierend wirkt. Was freilich umgekehrt jene sozusagen 'kubistischen' Eingriffe, erst durch den Dichter und dann durch mich, anbelangt, so stoßen wir, Zeile für Zeile vergleichend, sofort auf Stramms kühne Umprägung "feinden." Denn es gibt in der deutschen Sprache bekanntlich kein solches Verb; worüber sie statt dessen verfügt...

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