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  • Schriftsteller-Inszenierungen
  • Wolfgang Emmerich
Schriftsteller-Inszenierungen. Herausgegeben von Gunter E. Grimm und Christian Schärf. Bielefeld: Aisthesis, 2008. 293 Seiten + 15 s/w und 10 farbige Abbildungen. €29,80.

"Dichterlesungen boomen." So lautet der erste Satz des inhaltsreichen Aufsatzes von Bandherausgeber Gunter E. Grimm, der "Deutschen Autorenlesungen zwischen Marketing und Selbstpräsentation" gewidmet ist (141). So ist es—und damit ist auch schon gesagt, dass der Sammelband, hervorgegangen aus einer Tagung vom Oktober 2006 in Mülheim an der Ruhr, seine Berechtigung hat, gerade von der unmittelbaren Gegenwart her gesehen. "Schriftsteller-Inszenierungen sind integrale Bestandteile in der Selbstdarstellung des Systems Literatur," so stellen die Herausgeber einleitend fest (7).

Der Strauß von 16 Einzelstudien geht zwar nicht bis in die Antike zurück (was plausibel wäre), aber immerhin setzt er im hohen Mittelalter ein. Gaby Harprecht zeigt, wie sich einige Autoren großer Epen vor allem in drei typischen Weisen der Selbstdarstellung präsentierten: als Zeuge der Überlieferung, als Augenzeuge und als Protagonist der Erzählung selbst. Der zweite Aufsatz von Rolf Selbmann ist "Goethes Denkmälern" gewidmet (des Dichters eigene Vorstellungen vom rechten 'Denkmal' steuern die hernach gängigen Formen der Ikonographie des Dichters). Aber danach geht es im Sauseschritt in die Moderne, und das mit guten Gründen. Denn die Herausgeber sehen zu Recht in den Avantgardebewegungen um 1900 bis 1920 ein stürmisches Vordrängen der auktorialen Selbstinszenierung mit aktionistischen Akzenten, wodurch das "performative Fundament der Autorschaft" (8) entschieden forciert wird. Aufsätze zu Else Lasker-Schüler (Ruth Florack) und Raoul Hausmann (Yvonne-Patricia Alefeld) tragen dieser Tendenz Rechnung, aber auch ein kenntnisreicher Beitrag zu Karl May [End Page 405] (Helmut Schmiedt) als genialem Hochstapler und "frühem Popstar der deutschen Literatur" gehört hierher. Dass im Weiteren Thomas Mann ("Der Autor als Repräsentant, Thomas Mann als Star" von Walter Delabar) und Bertolt Brecht ("Wer immer es ist, den ihr sucht: ich bin es nicht" von Jan Knopf) exemplarisch für zwei gegensätzliche Tendenzen für Autorschaft in der klassischen Moderne stehen, ist einleuchtend, aber zugleich auch alles andere als originell. Wichtig und anregend ist dagegen der Aufsatz des anderen Bandherausgebers Christian Schärf, der unter dem Titel "Belichtungszeit" das "Verhältnis von dichterischer Imagologie und Fotografie" erörtert. Mit dem Auftreten der Fotografie um die Mitte des 19. Jahrhunderts ist eine bisher nie da gewesene "Beglaubigung von Präsenz" (so Roland Barthes, Schärfs Kronzeuge, in Die helle Kammer. Bemerkungen zur Fotografie, hier 52) gegeben, die auch in der öffentlichen Wahrnehmung von Schriftstellern eine entscheidende Wende herbeiführt: Die Literatur tritt, so Schärf, ins "Zeitalter der Ikonostase," den "vollendeten Zustand artifizieller Präsenz" (57) ein. Der Autor kann von nun an der Veröffentlichung seiner Person im unmittelbare Realität suggerierenden Bild (zumeist als Porträt) kaum noch entrinnen.

Dieser Sachverhalt steht in einem gewissen Spannungsverhältnis zu den bekannten Thesen Foucaults und Barthes', die das Verschwinden des personalen Autors in der Spät-und Postmoderne suggerieren—ein Widerspruch, der den Herausgebern zwar nicht entgangen ist, den sie jedoch nicht aus der Welt schaffen können. In der Tat spricht ja ihre eigene Fokussierung der Selbstinszenierung des Autors—mit zunehmender Tendenz zur Gegenwart hin—mehr für die von Fotis Jannidis, Gerhard Lauer, Matias Martinez und Simone Winko behauptete "Rückkehr des Autors" als für dessen Verschwinden. Aufsätze zu Peter Handke (Dieter Heimböckel), Rainald Goetz (Petra Gropp) oder der Poetry Slam-Bewegung (Stephan Ditschke) wie auch die Einzelstudien zu Helmut Krausser (Volker Wehdeking) und John von Düffel (Wilhelm Amann) zum literarischen Autor im Zeichen zunehmender Intermedialität passen bestens in das Konzept der forcierten Selbstinszenierung des Autors in unseren Tagen. Und Grimms bereits erwähnte Überblicksdarstellung zum Status von Autorenlesungen beglaubigt es auf breiter Front (ein Beitrag zu den Lesewettbewerben von der Gruppe 47 bis zu Klagenfurt fehlt dem Band allerdings). Selbst—und gerade—Alexander Kluges strategisch-kritische Reflexion und Praxis der Intellektuellenrolle heute (dazu kundig Christoph Ernst) konstituiert personale Autorschaft in ganz eigener Weise und demonstriert deren Unverzichtbarkeit.

Bei allem Lob: Eines vermisst man denn doch bei der Lektüre dieses Buches (von Registern einmal abgesehen). Das ist die fundierende Einbeziehung von Theoremen, die die...

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