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  • Theater im Medienzeitalter. Das postdramatische Theater von Elfriede Jelinek und Heiner Müller
  • Heike Polster
Theater im Medienzeitalter. Das postdramatische Theater von Elfriede Jelinek und Heiner Müller. Von Dagmar Jaeger. Bielefeld: Aisthesis, 2007. 174 Seiten. €29,80.

Dagmar Jaeger bietet in ihrer Dissertationsstudie Theater im Medienzeitalter zu den Theatertexten von Heiner Müller und Elfriede Jelinek eine hervorragende Darstellung postdramatischer Theorie und Praxis, die das Verhältnis von Realität, Fiktion und Vorstellungskraft problematisiert. In der weit reichenden Zusammenfassung geschichtsphilosophischer Analysen von Walter Benjamin und dessen Arbeit zur veränderten Wahrnehmung im Zeitalter der Medienkultur finden sich relevante Ansatzpunkte, welche die Autorin durch eine Diskussion der Beiträge von Jean Baudrillard erweitert und geschickt mit detaillierten Analysen des politischen Theaters der beiden Dramatiker verbindet.

Jaeger präsentiert mit diesem Buch ein fundiertes und anregendes Plädoyer für ein Genre, das zeitgemäße Fragen zu Rezeptionsgewohnheiten und dem Nachleben des Faschismus stellt. In ihrem Einleitungskapitel, "Bestandsaufnahme postfaschistischer Gesellschaften," beschreibt Jaeger die soziohistorischen Hintergründe des postdramatischen Theaters. Sie identifiziert "die Verdrängung der Geschichte des Terrors des deutschen Faschismus" sowie "das Sich-Fremdstellen gegenüber der Wirkungskontinuität der nationalsozialistischen Ideologie" als das, wogegen sich sowohl Müllers als auch Jelineks Arbeit stellen.

Äußerst anschaulich umreißt Jaeger Konstellationen und Merkmale des post-dramatischen Theaters. Sie arbeitet heraus, wie die Methoden der Zitatmontage die Auflösung der dramatischen Figur bedingen. Beides sieht sie als Merkmale, die nach den Bedingungen der Bedeutungskonstruktion fragen, welche die Medien mit ihrer bildüberfluteten Wirklichkeitssimulation gerade verdecken möchten. Jaegers These, die postdramatischen Reflektionen über die "Mechanismen der Fiktionalisierungsvorgänge, die im Postdrama zur Sprache kommen," seien "Kritik an der Art der Bedeutungsproduktion der Massenmedien," zeigt nachhaltig, wie politisches Theater in der Postmoderne aussehen kann (8).

Für die Autorin besteht der Kern der Arbeit der Dramatiker darin, einen neuen Umgang mit der faschistischen Geschichte Deutschlands und Österreichs zu inszenieren, der im Dramentext vor allem durch Intertextualität vermittelt wird. Es wird [End Page 447] ausführlich erklärt, inwiefern dramentextliche Zitatmontage als Zeitmontage funktioniert. Müller und Jelinek, so Jaegers Analyse, schaffen in ihren Theatertexten einen Ort des Eingedenkens und wenden sich gegen offizielle Geschichtsdiskurse, die jegliche Verbindungen zur nationalsozialistischen Vergangenheit abwehren wollen. Durch das vergegenwärtigte Nebeneinander von "Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft wird dieser momentane Augenblick zu einem Raum, in dem die Erfahrung der eigenen Historizität die Wirklichkeit nicht länger als politisches Abbild erscheinen lässt. Das postdramatische Theater als politisches Theater entwickelt daher eine Befähigung mit dem Umgang des standardisierten Abbilds" (17).

Jaegers zweites Kapitel, "Postmoderne Medienlandschaft," ist besonders lesenswert. Die Autorin bietet Überlegungen zu den durch Massenmedien veränderten Wahrnehmungsmustern, die den Faschismus transportieren. Der analytische Fokus richtet sich hierbei vorrangig auf die Methoden, mit denen die Konstruktion von Bedeutung, Geschichte und Subjektivität sichtbar gemacht wird. Jaeger zeigt in dieser aufmerksamen Studie, wie der postdramatische Text dem Autor die Position des alleinigen Sinnstifters durch die Verschiebung der Ichreferenz und Diskursinstanz verwehrt.

Das abschließende Kapitel, "Das postdramatische Theater," bietet durch Jaegers anschauliche Abhandlungen eine handfeste Annäherung an eine Poetik des zeitgenössischen Theaters. Die hier dargelegte Kritik an den Wahrnehmungsmustern, die den Transfer ideologischer Inhalte erleichtern, ist politisch höchst relevant und zeitgemäß. Das zeitgenössische Theater, so Jaeger, "durchkreuzt die durch Massenmedien evozierte Tendenz der sofortigen Umsetzung visueller sowie akustischer Bilder und diskursiv vorgegebener Klassifikationen" (163). Die Rolle des Rezipienten verändert sich: sich seiner Sinn gebenden Instanz bewusst werdend, wird ihm der Umgang mit dem Gedächtnisraum des "Vergangenen, Vergessenen und Verdrängten" ermöglicht, den ihm das postdramatische Theater eröffnet (163).

Jaegers Interesse an einem "Gegenmodell zur Wahrnehmungspraxis und -ästhetik der Gegenwart" regt an zu einer Erweiterung der Begrifflichkeit des postdramatischen Theaters (163). Darüber hinaus umreißt diese Studie in ganz übersichtlicher Weise einen Fragenkomplex—zum Umgang mit der faschistischen Vergangenheit sowie zu strukturellen und inhaltlichen Methoden wie beispielsweise der Intertextualität—, mit dem derzeit die deutschsprachige Romanliteratur des späten 20. Jahrhunderts gelesen wird. Im Fazit lässt sich somit sagen, dass diese Studie eine wichtige Bereicherung für das Forschungsfeld des Theaters wie auch der postmodernen deutschsprachigen Literatur ist.

Heike Polster
The University of Memphis...

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