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  • Germanistik in der DDR. Literaturwissenschaft zwischen “gesellschaftlichem Auftrag” und disziplinärer Eigenlogik
  • Michael Eckardt
Germanistik in der DDR. Literaturwissenschaft zwischen “gesellschaftlichem Auftrag” und disziplinärer Eigenlogik. Von Jens Saadhoff. Heidelberg: Synchron, 2007. 453 Seiten. € 47,80.

Mit dieser an der Universität Siegen angenommenen Dissertation liegt erstmals eine umfassende Studie zur literaturwissenschaftlichen Germanistik der DDR vor, die sich nicht auf eine einzelne Hochschule oder einen kürzeren Zeitraum beschränkt, sondern die gesamte DDR-Zeit sowie die an den Universitäten und der Akademie der Wissenschaften institutionalisierte Germanistik systematisch abdeckt. Ziel der Unter-suchung ist die Beantwortung der Frage, ob, wie und in welchem Maß sich das Fach in seinen Gegenständen, Theorien, Methoden und Argumentationsstrategien an den Forderungen des “gesellschaftlichen Auftraggebers”—also der SED-Machtelite und ihrer Verbündeten—orientierte bzw. orientieren musste.

Saadhoff stellt klar, dass es für die DDR-Germanistik keine kategoriale Trennung von wissenschaftlicher und nicht-wissenschaftlicher Praxis geben konnte, da sich die SED uneingeschränkt der Vorstellung verschrieb, in allen Bereichen der Literatur-und Sprachwissenschaften den dialektischen und historischen Materialismus zur festen theoretischen Grundlage der gesamten Arbeit zu machen und bürgerliche sowie andere falsche Ideologien zu überwinden (146). Dass es dennoch Phasen der strikten bzw. gelockerten marxistischen Dogmatik gab, erklärt Saadhoff durch sich abwechselnde “semantische Umbauten” innerhalb der DDR-Germanistik, die am wirksamsten durch die zuerst verabsolutierend rezipierte und später verdammte Literaturtheorie Georg Lukács’ beeinflusst wurden. Begleitet wurden diese “Umbauten” vom Gene-rationenwechsel der Germanisten Ende der 1960er Jahre, als die nach Kriegsende neu berufenen und vielfach abwertend als “bürgerlich” klassifizierten Professoren von vollmarxistischen Nachwuchskadern marginalisiert und verdrängt wurden. [End Page 316]

Mit dem formelhaften Gebrauch einer marxistisch-leninistischen Basissemantik (“rituell eingesetzte Diskursmerkmale”) war es den “bürgerlichen Aufbauhelfern” zunächst gelungen, sich mit der offiziellen marxistischen Deutungshoheit der SED-Wissenschaftsbürokratie zu arrangieren. Dies wandelte sich mit der Generation der “Genossen Nachwuchswissenschaftler,” die nicht mehr über das Korrektiv einer Schulenpluralität während des Studiums verfügten und die verordnete Basissemantik so verinnerlicht hatten, dass jenseits des marxistisch-leninistischen Tunnelblickes kaum etwas entstehen konnte, was von diesem Schema abwich. Dies führte im politisch institutionalisierten Wissenschaftsdiskurs der DDR zu Scheindebatten über die Realismus- und Widerspiegelungstheorie, einer ausufernden Klassik-Verehrung und letzten Endes zu einer Hinwendung zu rezeptionstheoretischen Fragestellungen als Antwort auf die Entfremdung der Literaturwissenschaft von Autoren und Lesern.

Eine Art “kopernikanische Wende” leitete das vom Zentralinstitut für Litera-turgeschichte der Akademie der Wissenschaften der DDR erarbeitete Buch Gesell-schaft—Literatur—Leser (1973) ein, mit dem ein Entdogmatisierungsschub für die Literaturwissenschaften begann und für eine gewisse Mehrstimmigkeit in den literaturtheoretischen Debatten sorgte. Von nun an musste der Grad der “Wahrheit” eines Kunstwerkes nicht mehr an seiner größtmöglichen Wirklichkeitstreue gemessen werden, sondern der Realitätsgehalt eines literarischen Werkes wurde als komplexes Verhältnis verschiedener Relationen (Autor / Werk usw.) begriffen, um die traditionelle Widerspiegelungstheorie zu einer Kategorie umzubauen, in welche die künstlerische Subjektivität, der subjektive Faktor des Aneignungsprozesses sowie die vielschichtigen Beziehungen zwischen Werk und Wirklichkeit einbezogen werden konnten (286). Am Ende dieser Entwicklung stand viel zu spät die Erkenntnis, “dass auch eine Literaturwissenschaft, die sich als marxistisch versteht, nicht nur eine Methode hervorbringt, sondern Methodenvielfalt verträgt und braucht” (397).

Diesen Modernisierungsprozess innerhalb der DDR- Germanistik in all seinen Phasen nachvollziehbar gemacht zu haben, ist das große Verdienst der vorlie-genden Arbeit. Besonders interessant ist die Rekonstruktion der jeweils herrschenden Resonanz- und Ressourcenkonstellationen zwischen Wissenschaft und Politik, an denen die Fachvertreter ihr Handeln auszurichten suchten. Welche Zwänge damit für einflussreiche Literaturwissenschaftler wie Hans Meyer, Joachim Müller oder Gerhard Scholz einhergingen, wird in Einzelporträts überzeugend rekonstruiert. So erfährt der Leser beispielsweise, dass Joachim Müller als Ordinarius in Jena kein Mitglied der SED sondern der NDPD (National Demokratische Partei Deutschlands) war, einer auf Weisung der SED gegründeten Partei zu Integration ehemaliger Wehrmachtsoffiziere oder kleinerer NSDAP-Mitglieder zur Schwächung der bürgerlichen Parteien LDPD (Liberal Demokratische Partei Deutschlands) und CDU.

Bei aller Sympathie des Autors für die oft unter schwierigen Bedingungen statt-findende Neuorientierung des Fachs wird nicht verschwiegen, dass die Wissenschaftler sich einerseits den eigenen hohen disziplinären Ansprüchen...

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