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  • „Wenn du einmal im Sarg liegst, kommst du nicht mehr raus.“ Nach Vorlage genehmigte Niederschrift des Gesprächs mit dem Bundestagspräsidenten a.D., Dr. Philipp Jenninger, am Dienstag, 16. Mai 2006

Wie entstanden Ihre Reden in den 1980er Jahren grundsätzlich? Wer schrieb sie? Wie war der Entstehungsprozeß vom Schreiben bis zum Halten—grund-sätzlich—gegliedert?

Es gab eine Vielzahl von Reden, die ich halten mußte; jede Woche acht bis zehn—unterschiedlicher Qualität, angefangen von Begegnungen mit Men-schen in meinem Wahlkreis über Festreden, Reden im Bundestag, bis hin zu Anlässen, zu denen ich als zweiter Mann im Staat—als Bundestagspräsident—gebeten wurde. Das Spektrum war also sehr vielseitig. Das bedeutete, daß ich einige Reden vorbereiten ließ, viele hielt ich aber auch aus dem Stegreif. Ich hatte keinen Redenschreiber, wie ihn der Bundespräsident hat, sondern einen Büroleiter, der auch den Auftrag hatte, von den Mitarbeitern der Verwaltung des Bundestages Beiträge einzuholen und daraus Redentexte zu entwerfen. Diese legte er mir dann vor; häufig habe ich sie übernommen. Mein Büroleiter war Historiker und machte seine Sache sehr gut; gelegentlich habe ich den Entwürfen noch etwas hinzugefügt, insbesondere dann, wenn es um Sachver-halte ging, über die ich besser informiert war als meine Mitarbeiter. Es gab also keine feststehenden Regeln, wie in meiner Amtszeit die Reden entstehen sollten. Es gab, wie schon gesagt, eine Vielzahl von Reden unterschiedlichster Qualität und unterschiedlichster Anforderung. Der Entstehungsprozeß war je nach Qualität der Rede oder nach Auftrag verschieden; sicherlich fachgerecht gegliedert, aber feststehende Regeln gab es keine.

Welche sprachwissenschaftlichen und rhetorischen Modelle wurden bei der Entstehung einer Rede berücksichtigt?

Es wurden keine speziellen Modelle oder Regeln berücksichtigt. Die Rede hing vom jeweiligen Stil des Schreibers ab, gelegentlich fügte ich Persönliches [End Page 179] hinzu oder redete angepaßt an meine Zuhörer: zum Beispiel in meinem Wahlkreis in Hohenlohe, im nördlichen Teil von Baden-Württemberg. Dort mußte ich gelegentlich auch im Dialekt sprechen. Nur so konnte man seine Verbundenheit mit den Menschen ausdrücken und zeigen, daß man sich bei Ihnen zu Hause fühlt.

Inwieweit werden—grundsätzlich—Wirkungen für eine Rede geplant? Auf welche Arten wird versucht, eine bestimmte Wirkung zu erzielen?

Eigentlich wurden keine Wirkungen geplant. Meine Grundansicht für alle Reden war, ehrlich zu sein, Vertrauen zu erwecken, und auch, wenn sie kritisch sein mußten, sie dennoch diszipliniert und nicht beleidigend zu halten. Man wollte natürlich in jeder Rede versuchen, sich positiv darzustellen—das gehört zu jeder Rede dazu. Das heißt aber nicht, daß man es sozusagen darauf anlegte. Oft genug hieß es sonst: Die Rede war gut, er hat aber eigentlich nichts gesagt. Von daher legte ich immer auf den Inhalt mehr wert, als auf die Form.

Ist es Ihrer Meinung nach planbar, eine bestimmte Wirkung oder Wirkungen zu erreichen?

Natürlich kann man das schon machen. Erzählt man einen Witz, kann man selbstverständlich Beifall und Heiterkeit auslösen. Aber meine Reden mußten natürlich in die politische Landschaft passen, und in der Politik muß man da etwas disziplinierter sein und darf die Rede nicht nur auf Smalltalk be-schränken.

Wie entstand die Rede vom 9. November 1988?

Ich habe wie viele andere Spitzenpolitiker jedes Jahr vom Zentralrat der Juden die Einladung zu einer Gedenkstunde in einer jüdischen Gemeinde aus Anlaß des Jahrestages der sogenannten »Reichskristallnacht« erhalten. Ich hatte als langjähriger erster Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU / CSU- Fraktion von 1970 bis 1982 sehr engen und guten Kontakt zum damaligen Vorsitzenden des Zentralrates der Juden Herrn Werner Nachmann. Mit Herrn Nachmann habe ich mich auch des öfteren getroffen. Wenn er irgendwelche Anliegen an die CDU/CSU-Fraktion hatte, wendete er sich an mich, diese der Fraktion vorzutragen. Nachmann kam etwa ein Jahr vor der Gedenkstunde zum 50. Jahrestag der Reichspogromnacht 1988 zu mir und sagte, die Gedenkver-anstaltung aus Anlaß des 50. Jahrestags der „Reichskristallnacht“ müsse im nächsten Jahr im Bundestag stattfinden. Er wolle damit erreichen, daß nicht immer nur die „Vertreter der Opfer“, sondern auch die „Vertreter der Täter“ die Gedenkstunde einmal gestalten...

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