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  • Die Geburt des Autors aus dem Geist der Herausgeberfunktion. Editoriale Rahmung im Roman um 1800
  • Malte Wessels (bio)
Uwe Wirth, Die Geburt des Autors aus dem Geist der Herausgeberfunktion. Editoriale Rahmung im Roman um 1800. München: Wilhelm Fink, 2008. 473 pages.

Uwe Wirth beschäftigt sich in seiner umfangreichen Studie zur „editoriale[n] Rahmung im Roman um 1800“ mit der literarischen Strategie der Herausgeberfiktion, also jener Strategie, die die literarische Kommunikation beherrschte vor und während der Entfaltung des modernen Autorbegriffs, der den Auftritt des auktorialen Erzählers ermöglichte. Jener notorische Zeitraum ‚um 1800‘ wird bei Wirth durch Wielands Geschichte des Agathon (1765) und Hoffmanns Lebensbeschreibungen des Katers Murr (1819/21) abgesteckt. Dazwischen liegen Studien zu Goethes Werther, Brentanos Godwi und Jean Pauls Romanen Siebenkäs, Hesperus und Leben Fibels. An diesen Werken exemplifiziert Wirth seine These, dass der moderne Begriff auktorialer Autorschaft sich aus dem fiktiven Herausgeber als einer Figuration von Autorschaft ex negativo entwickelt hat und dass die Genese moderner Autorschaft sich im Spannungsfeld zwischen ‚Roman‘ und Paratext abspielt, also Fußnoten und Einschaltungen des Herausgebers [End Page 712] in den Fließtext. Vor allem aber in der Vorrede, deren Tradition in die Antike zurückreicht.1

Diese Paratexte konstituieren, was Wirth die ‚editoriale Rahmung‘ nennt, wobei er ‚Rahmung‘ mit Derridas Begriff des Parergons als „den dynamischen Prozess der Rahmung, des Rahmenwechsels aber auch des Zum Verschwinden bringen des Rahmens“ (83) versteht. Die Vorrede selbst wird zum Element eines ‚editorischen Dispositivs,‘ das, so Wirths These, für die Konstitution literarischer Fiktion ‚um 1800‘ entscheidend ist. Die Epoche des ‚Abtretens der Vorrede vom literarischen Schauplatz‘ (Ehrenzeller) wird von Wirth also umgedeutet zu der Epoche, in der die traditionellen performativen Leistungen der Vorrede die literarische Form—den Roman—mitbegründen, die ihrer Authentizitätsfunktion als Authentizitätsfiktion genau entgegensteht.

Wirth untersucht das editorische Dispositiv, das der Herausgeberfiktion zugrunde liegt und die Stiftung von Fiktion durch die Vorrede, i.e. den Paratext, ermöglicht. Er identifiziert drei Aspekte, unter denen das editoriale Dispositiv als Herausgeberfiktion wirksam wird. Erstens ist es parergonales und performatives Rahmungsverfahren zugleich, d.h., es ist eine vom editorischen Außen her im Inneren des Textes wirksame Strategie der Leserlenkung (parergonal) und zugleich performativ als ‚Inszenierung‘ des editorischen Verfahrens. Zweitens ist das editoriale Dispositiv Element der „Verkörperungsbedingungen“ (189) von Texten zwischen singulärem Original und drucktechnisch vervielfältigter Edition. Drittens ist das editorische Dispositiv als das „Zitieren, Arrangieren und Kommentieren von Schreibspuren“ (ebd.) ein semiotischer Prozess, in dem die ‚Spur‘ des ‚originalen Dokuments‘ in der Rahmung durch ‚editorische Indices‘ als „signifikante Struktur“ (vgl. 71) rekonstruiert wird. Wirth entwickelt diese drei Aspekte in vier Kapiteln, die die Hauptlinie seines Arguments recht genau abbilden: Nach einer Untersuchung funktionaler Überschneidungen von Autor und Herausgeber im ersten Kapitel (Die Frage nach dem Autor als Frage nach dem Herausgeber) beschreibt Wirth das editorische Dispositiv im zweiten Kapitel als einen Akt, der im Paratext (editorische) Performanz und (fingierte) Schrift zusammenführt. Den Paratext untersucht Wirth dann als Rahmungsfunktion im oben angedeuteten Sinne (Die Rahmungsfunktion des Paratextes), um schließlich die editoriale Rahmung und ihre Funktion für die Romanfiktion aus erzähltheoretischer Perspektive zu diskutieren, wobei er sich vor allem auf die narratologische Terminologie Gérard Genettes stützt (Die narrativen Funktionen performativer Rahmung). Die Weite des Diskussionshorizontes, den Wirth in diesen vier Kapiteln abschreitet (Austin, Barthes, Derrida, Foucault, Frege, Kristeva, Luhmann, Peirce und Searle, um nur einige Referenzen zu nennen) empfiehlt es, sich im Folgenden auf die ersten zwei Kapitel zu konzentrieren, in denen Wirth die Herausgeberfunktion in ihrer Bedeutung für literarische Fiktion etabliert.

Wirth beginnt seine Argumentation damit, „die Frage nach dem Autor [End Page 713] als Frage nach dem Herausgeber zu reformulieren“ (19). Ausgehend von Foucaults Was ist ein Autor? und Barthes‘ Der Tod des Autors ordnet Wirth den Autor als Autorfunktion dem Dispositiv des Textes unter. Die Kohärenz eines Textes ebenso wie seine Identifizierbarkeit als ‚Werk‘ sind dabei Produktionen der Autorfunktion, die mit denjenigen der Herausgeberfunktion deckungsgleich sind: Es ist der Herausgeber, der gefundene oder ererbte Schriftstücke zusammenstellt und als kohärenten Text herausgibt und es ist der Herausgeber, der im Akt des Zusammenstellens und Herausgebens die Texte als ‚Werk...

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