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Reviewed by:
  • Die mystische Lyrik des 14. und 15. Jahrhunderts
  • Hildegard Elisabeth Keller
Die mystische Lyrik des 14. und 15. Jahrhunderts. Untersuchungen – Texte – Repertorium. By Judith Theben. Kulturtopographie des alemannischen Raums, 2. Berlin/New York: De Gruyter 2010. Pp. XII + 586; 18 Abbildungen in Schwarz-Weiss. EUR 89.95.

Die Studie ist eine für den Druck überarbeitete mediävistische Dissertation an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, die von Hans-Jochen Schiewer und Nigel Palmer betreut wurde. Sie untersucht die aus dem deutschsprachigen Südwesten stammenden bzw. in dortigen Frauenklöstern überlieferten volkssprachlichen Lieder, welche die Annäherung und die Vereinigung mit dem Göttlichen in für die spätmittelalterliche Mystik typischen Ausdrucksformen fassen. Das gewichtige Buch erschien als zweiter Band in einer neuen, dieser europäischen Kulturlandschaft gewidmeten Reihe (von den beiden bereits Genannten gemeinsam mit Jeffrey F. Hamburger herausgegeben).

Die Einleitung vermag das Interesse der Leser für den faszinierenden, aber nicht besonders klar konturierten Gegenstand zu wecken, denn sie vermittelt auf anschauliche Weise, wie man sich die Gebrauchssituation der “kleinen Formen” in der spätmittelalterlichen Mystik – insbesondere im monastischen Kontext der üebunge durch Rezitation, Gesang, Meditation – vorzustellen hat. Die Verfasserin stützt sich hier (sowie in Kap. V) auf Aussagen in Schwesternbüchern und Gnadenviten, aber auch in Werken von Seelsorgern wie Meister Eckhart, Heinrich Seuse und Johannes Tauler.

Der anschliessende Untersuchungsteil ist mit gut 360 Seiten der umfangreichste und widmet sich der Auswahl der Texte, ihrer formalen Bestimmung und der Melodieüberlieferung (II. Textsortenbestimmung und Textauswahl), den Überlieferungsträgern und den Überlieferungsorten im Südwesten des deutschen Sprachgebiets sowie der Ordenszugehörigkeit der hier porträtierten Klöster (III: Handschriften mystischer Lieder); das nächste Kapitel dreht sich um überlieferungsgeschichtliche Fragen im engeren Sinne, welche auch Fragen der Materialität und Textualität miteinschliessen (Formen der Überlieferung, Sammelhandschriften, Überlieferungsgemeinschaften und textgeschichtliche Fragen bei Mehrfachüberlieferung, beispielsweise die Varianz einzelner Lieder bis hin zur Verschmelzung einzelner Lieder oder Gedichte zu neuen Einheiten (IV. Formen der Überlieferung). Das letzte Kapitel des Untersuchungsteils (V. Themen und Motive mystischer Lieder) will weder eine umfassende mystologische Untersuchung noch eine systematische Kontextualisierung der zahlreichen Einzeltexte leisten. Es geht vielmehr um die Frage: “Wer hat zu welchem Zweck mystische Lieder gesungen, aufgeschrieben, tradiert?” (S. 281). Ausgehend von zwei Texttraditionen (Freu dich tochter von Syon) sondiert sie Fragen zur Lexik (jubilieren, contemplieren, speculieren) und zu deren Erfahrungskontext (Selbstverständnis der Gottesbräute, Hoheliedexegese, Braut- und Passionsmystik) – mit allerdings recht mageren Bezugnahmen auf die relevante Forschung. Dieses letzte Kapitel erfüllt den Zweck, dass das Forschungsgebiet ein erstes Mal umrissen wird; Theben vermag beispielsweise zu zeigen, dass zahlreiche Kontaktpunkte zwischen den männlichen Seelsorgern (ausser den bereits genannten auch Heinrich von Nördlingen und Friedrich Sunder) und den Frauen in den Klöstern mit ihrer rezeptiven und produktiven Textpraxis gerade ihren Niederschlag in diesen“kleinen Formen” fanden.

An den Untersuchungsteil schliesst sich ein rund 50 Seiten langer Textteil an, der keine Edition sein will, sondern lediglich die“bislang unveröffentlichten Texte” abdruckt. Dies stimmt für die Mehrheit der Texte und auch in Bezug auf die zugunsten [End Page 113] der Lesbarkeit aufbereitete Graphematik sowie die editorischen Apparate. Es sind teils schon lange bekannte Texte, teils vermutlich von der Verfasserin neu aufgefundene (Armut des Geistes oder Mein geist will hoh fliegen). Jeder Textgruppe bzw. jedem Text geht eine sorgfältige überlieferungs- und textgeschichtliche Einleitung voraus; an die Textwiedergabe schliesst sich ein erschöpfender Lesartenapparat an.

Der dritte Teil bietet ein 100 Seiten langes „Repertorium der mystischen Lieder“, dessen Katalogfunktion in der Einleitung herausgestellt wird. Die ebendort genannten Ausschlusskriterien sind formaler (Reimgebete und Dialoggedichte wurden nicht aufgenommen) oder sprachgeografischer Natur (die niederdeutsche und niederländische Überlieferung wurde nur am Rande einbezogen; dies gilt leider auch für den Untersuchungsteil, wie in Bezug auf einer der wichtigsten Vorläufer für die Gattung, die mittelniederländischen Gedichte von Hadewijch, zu zeigen wäre). In thematischer Hinsicht musste dies zu Unvollständigkeiten führen; wichtige in den Kontext des Gedichts Von der minnenden Seele gehörende Vertreter sind Dialoggedichte (einige gattungsübergreifende Bemerkungen zu den spätmittelalterlichen Genres der Brautmystik finden sich auf S. 310–16, im Gegensatz zu den Ausführungen zu Seuse und Eckhart...

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