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Reviewed by:
  • Judentum in Leben und Werk von Franz Werfel by Hans Wagener, Wilhelm Hemecker, Hrsg.
  • Ulrike Schneider
Hans Wagener, Wilhelm Hemecker, Hrsg., Judentum in Leben und Werk von Franz Werfel. Berlin: Walter de Gruyter, 2011. 180 S.

Franz Werfels Position zwischen Christentum und Judentum bildet einen Hauptaspekt der Werfel-Forschung. Sein 1917 in dem Artikel “Die Christliche Sendung” enthaltenes öffentliches Bekenntnis zum Christentum ergänzte er im Sommer 1941 durch die Aussage, ein “christusgläubiger Jude” zu sein, verwies aber vor dem Hintergrund der historischen Ereignisse zugleich dezidiert auf seine Zugehörigkeit zur jüdischen Schicksalsgemeinschaft. Die VertreterInnen der Werfel-Forschung sehen die Aufnahme und Verarbeitung jüdischer Stoffe vor allem ab Mitte der 1920er Jahre gegeben, in der so genannten nach-expressionistischen Phase und nach seiner Reise nach Palästina 1925. Diese Periode zeichne sich zudem durch eine dialektische Zusammenführung von Erörterungen zu und Darstellungen von Christen- und Judentum [End Page 132] aus. An diese schloss sich nach 1933 die Thematisierung zeitgeschichtlicher jüdischer Erfahrungen an, die Werfel mit der Befragung kultureller Konzeptionen des Jüdischen in der Moderne verband.

In dem von Hans Wagener und Wilhelm Hemecker herausgegebenen Tagungsband steht vor allem die Bedeutung des Judentums im Vordergrund. Anstelle einer Einleitung wird der Band von Lionel B. Steiman mit einem Überblick zu Leben und Werk eröffnet, der gleichzeitig verdeutlicht, dass eine Fokussierung allein auf das Judentum ohne die Berücksichtung des Christentums bei Werfel kaum möglich ist. In Rückgriffauf Selbstaussagen Werfels beschreibt er den Schrift steller als “outsider” (3), der aufgrund seiner Prager Herkunftmit interkulturellen und interreligiösen Debatten vertraut war und in Bezug auf diese als Grenzüberschreiter auftrat. Weiterhin arbeitet Steiman Werfels Verpflichtung gegenüber beiden Religionen heraus, die jedoch gleichzeitig die Position des Zwischen-den-Religionen-Stehenden bedeutete, was sich auch in seinen Werken zeige. Einen interessanten Deutungsansatz unternimmt Steiman im Hinblick auf die weiblichen Heldinnen der Werke Barbara oder die Frömmigkeit (1929) und Das Lied von Bernadette (1941), deren Gestaltung er als “the superficiality and incomplete formation of their author’s identity” (15) versteht.

Helga Schreckenberger plädiert mit ihrer Interpretation des Romans Barbara oder die Frömmigkeit, eines der meist rezipierten Werke Werfels, für eine kritische Re-Lektüre des Romans. In Abgrenzung zu gängigen Forschungspositionen, die entweder auf die Befragung der autobiographischen Übereinstimmungen zwischen Autor und Hauptfigur ausgerichtet sind oder eine Fokussierung auf das Thema Katholizismus unternehmen, rückt sie die “Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten jüdischer Identität in der postemanzipatorischen Phase des Modernisierungsprozesses” (62) ins Zentrum. Mit seinen Darstellungsweisen der jüdischen Figuren bilde Werfel einen Querschnitt jüdischer Existenzweisen von der Orthodoxie bis zur Assimilation ab, denen ein Scheitern eingeschrieben sei, das sie an den kulturellen Kontext der Entstehungszeit zurückbindet. Im Gegensatz dazu steht die Konzeption der Romanfigur Ferdinand R., die für Schreckenberger weniger den “dogmatischen Katholizismus,” sondern den “österreichischen Menschen” (75) enthält, der “Frömmigkeit und Menschlichkeit” (75) in sich vereine.

Wie unterschiedlich die Darstellungen jüdischer Figuren gelesen werden können, verdeutlichen die beiden Aufsätze von Wynfrid Kriegleder und Frank Stern. In den Untersuchungskonzepten verschieden angelegt—Kriegleder unternimmt eine vergleichende Textanalyse, Stern erörtert ausgewählte [End Page 133] filmische Adaptionen von Werfels Werken—widmen sich beide der 1928 erschienenen Erzählung Der Abituriententag. Kriegleder misst der Frage der jüdischen Identität des Protagonisten Franz Adler keine größere Bedeutung für die Anlage der Handlung und den Konflikt mit dem Hautprotagonisten Ernst Sebastian bei. Er sieht die Problematisierung der “jüdische[n] Identität” (52) vielmehr erst, in Rekurs auf Werfels retrospektive Einordnung der Erzählung, durch die spätere Rezeption gegeben. Stern dagegen weist anhand prägnanter Textstellen auf die dezidiert jüdischen Eigenschaften hin, die Adler durch seinen Gegenspieler Sebastian zugeschrieben werden. In der Anlage Sebastians sieht er den “Werdegang des antijüdischen Bewusstseins” (176) repräsentiert und benennt damit einen wesentlichen Aspekt des Textes: die Thematisierung von Abgrenzung und Ausgrenzung, vollzogen über den Körper des “Anderen”, der als Jude identifiziert wird. Hinsichtlich der filmischen österreichischen Produktionen von Werfels Werken deckt Stern weiterhin zwei Inszenierungsstrategien auf, die z. T bis heute fortwirken: Zum einen seien die Verfilmungen von...

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