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Reviewed by:
  • Das Wissen vom Menschen. Franz Kafka und die Biopolitik by Markus Jansen
  • Elmar Lenhart
Markus Jansen, Das Wissen vom Menschen. Franz Kafka und die Biopolitik. Studien zur Kulturpoetik 16. Würzburg: Königshausen und Neumann, 2012. 434 S.

Franz Kafka kommt im deutschsprachigen Raum eine Sonderstellung zu. Nicht nur ist er der weltweit wohl meistrezipierte deutschsprachige Autor seiner Generation, sein Werk wird auch regelmäßig als die literarische Figuration seiner—und das ist die gegenwärtige—Epoche gelesen. Trotz der inzwischen kaum noch überschaubaren Forschungstätigkeit sowohl zum Werk Kafkas wie auch zu seiner Zeit entdecken neue Forschergenerationen immer neue Aspekte in Texten wie “Die Verwandlung,” “Die Strafkolonie” oder “Der Heizer,” und konstatieren deren Aktualität und gleichzeitige universale Gültigkeit, wenn es darum geht, die Aporien der Moderne zu fassen.

Ohne Zweifel erlebte Kafka aufregende Zeiten. Das Ineinandergreifen von technischem und naturwissenschaftlichem Fortschritt produzierte Allmachtsfantasien, wesentliche Ängste des Menschen schienen gebannt, andere wurden dagegen neu geschaffen. Kafka lebte und schrieb in einer Zeit, als die Hollerith-Maschine die Datenverarbeitung revolutionierte, Anthropometrie und Daktyloskopie die Kriminalistik veränderte und sich Zyklon B als Standard der Schädlingsbekämpfung etablierte. Mit einem Mal war man in der Lage, große Mengen an personenbezogenen Daten zu verarbeiten und statistisch auszuwerten, Menschen anhand einer Beschreibung ihres Körpers zu identifizieren und man konnte mit Schädlingen verseuchte Räume von dieser Plage befreien. Diese drei Beispiele technischer Entwicklung scheinen auf den ersten Blick arbiträr, doch teilen sie sich eine Stoßrichtung der Moderne, die Michel Foucault mit dem Begriff der Biopolitik populär machte. Sozialdarwinismus, Eugenik und Bakteriologie sind die Diskurse, die um die neu definierten Begriffe von Masse und Bevölkerung herum gebaut sind.

Hier setzt das 2012 erschienene Buch von Markus Jansen an und kommt damit einer Forschungsfrage nach, die nach dem nun schon einige Zeit dauernden Einfluss Michel Foucaults auf die deutschsprachige Geisteswissenschaft in der Luft zu liegen schien. Tatsächlich haben sich hier zwei umfangreiche Diskurse getroffen, denn auch das Konzept der Biopolitik erlebt seit einiger Zeit einen wahren Boom. Jansen beginnt denn auch mit den theoretischen Grundlagen, die nicht zufällig die beiden prominentesten Proponenten des Konzepts unter die Lupe nehmen: Michel Foucault und Giorgio Agamben. Aus diesen ersten etwa 40 Seiten erwachsen kaum neue Erkenntnisse, [End Page 128] dazu fehlt es schon an Umfang, und es ist dezidiert nicht Jansens Ziel hier einen Opponenten zu geben. Bei weitem ausführlicher gestaltet sich der zweite Abschnitt, “Das Wissen vom Menschen,” der Kafkas Texte mit diskursanalytischen Methoden umkreist. Eine Analyse von “Die Verwandlung” ist als Klammer um den ersten und den letzten Teil des Buches gelegt. Die Hauptfigur Gregor Samsa wird als biopolitische Figur gelesen, ein Sozialparasit oder homo sacer, ein Mensch/Tier, der/das zwar getötet aber nicht geopfert werden darf. Andere Schlüsseltexte für Jansens Theorie sind unter anderen Der Bau, Der Heizer und Das Schloß in der Primärliteratur.

Bevor er an diesen Exempeln die Spuren der Biopolitik festmacht, arbeitet Jansen minutiös die diskursiven Maschinen durch, wie sie im deutschsprachigen Mitteleuropa im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert arbeiteten: den biologistisch-anthropologischen Diskurs der Sozialdarwinisten, die Umlegung der Bakteriologie auf die Gesellschaft (in beiden Fällen handelt es sich um Massen!) und die ökonomischen Diskurse der Normalisierung, die den Nukleus der Kafkaschen Figurenkonzeption darstellen.

Die Stärke des Buches besteht in der genauen Nachzeichnung dieser Strategien, die lückenlos funktioniert. Als anschauliches Beispiel sei die Bakteriologie genannt: “Die Bakteriologie ist keine reine Forschungsinstitution, sie befindet sich mitten im Krieg, im Kampf gegen ihr eigentliches Forschungsobjekt” (136). Die Kriegsmetapher bemühte schon der Nobelpreisträger Robert Koch. Das Bakterium als epistemischer Gegenstand erzeugte Xenophobie und Rassismus als man den sozialen Körper mit dem biologischen zu identifizieren begann und Migranten mit Bazillen. Der Kampf gegen die unsichtbaren Gegner ist in Kafkas Der Bau ebenso nachzulesen wie in einem Buch des Sozialdarwinisten Alexander Tille von 1895. Der “Bau” als Metapher für die “Versicherungsgesellschaft” (François Ewald), eines immer wahnsinniger werdenden Bemühens, Garantien im “survival of the fittest” zu erzeugen und schließlich die Vergeblichkeit, darin zum Ziel zu kommen, lassen in Kafkas Texten die Sprache der Biopolitik wiederhallen. In gleicher...

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