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  • Harte Lyrik. Zur Psychologie und Rhetorik lakonischer Dichtung in Texten von Günter Eich, Erich Fried und Reiner Kunze by Laura Cheie
  • Frank Pilipp
Laura Cheie, Harte Lyrik. Zur Psychologie und Rhetorik lakonischer Dichtung in Texten von Günter Eich, Erich Fried und Reiner Kunze. Innsbruck: Studienverlag, 2010. 194 S.

Lakonische Dichtung hat sich in der deutschsprachigen Literatur nach 1945 als ein neuer lyrischer Ton durchgesetzt, der, wie hier überzeugend dargestellt wird, bis heute seine Aktualität bewahrt hat. In großen Teilen der Gegenwartslyrik ist dieser Ton, so der Klappentext, “nicht nur eine Form der Abrechnung mit einer klanglich wie stilistisch überholten Sprache der Poesie, sondern auch Ausdruck einer neuen Gefühlskultur der Moderne.” Ganz offensichtlich wurde hier mit großer Gründlichkeit recherchiert. Es wird einschlägig zitiert, aufschlussreich analysiert und zwingend argumentiert. Bereits vorliegende Forschungsergebnisse werden sorgfältig ausgewertet und—in nahezu 500 Anmerkungen—sinnvoll herangezogen. Zudem ist das Buch anregend geschrieben und besticht sowohl im Detail als auch im Überblick. Heranführend an die Kapitel, in denen die drei im Titel genannten Schriftsteller behandelt werden, unternimmt die Autorin zunächst den Ver-such einer Begriffsbestimmung durch einen beeindruckenden geschichtli-chen Überblick von den Ursprüngen der Lakonik in der griechischen und römischen Antike über die Hauptepochen der deutschsprachigen Literatur bis hin zur lakonischen Lyrik der Gegenwart. Bei dieser Kontextualisierung berücksichtigt Cheie durchwegs auch historische, politische sowie literarische Aspekte, die diese Art von Dichtung formten bzw. für sie mitverantwortlich wurden. Auch in den Einzelanalysen zu Eich, Fried, Kunze und anderen Gegenwartsautoren wird immer kontrastiv gearbeitet. Darüber hinaus werden eine Vielzahl mit der Lakonie im Zusammenhang stehender textrhetorischer Stilformen, wie etwa Epigramm, Aphorismus, Fabel, Witz oder Haiku, sowie wissenschaftliche Strukturen, z.B. Tautologie, Definition oder Formel, in die Diskussion einbezogen. [End Page 169]

Cheie ist stets darauf bedacht, den Charakter und die Beschaffenheit lakonischer Dichtung zu präzisieren und auf den Punkt zu bringen. Als gemeinsamen Nenner dieser literarischen Variante erkennt sie eine “kühle, hart wirkende Sprech-Maske” (12), die durch knappes, prägnantes, pointiertes, oft humorvolles, ironisches, sarkastisches Sprechen wirkt und durch ihre “semantische Dichte” (15) bzw. “Breviloquenz” (29) als Ausdruck “emotionaler Unberührtheit” (29) intendiert ist. Dabei reflektiert das lakonische Sprechen “defekte Zustände” (14), sei es emotionaler oder gesellschaftlicher Natur, wobei die Härte der Lakonik zum Maß dieser Missstände wird, die, wie beispielsweise im Expressionismus, “von der kraftvollen Emphase über schnoddrige Ironie und dunkle Hermetik zum desillusionierten Zynismus” (61) reicht. Betont wird weiterhin das “Irritationspotential” (160) lakonischer Rhetorik sowie ihre “subversive[] Energie” (166). Bezeichnend für diese “sprachliche[n] Konzentrate” des “spröden Ton[s]” sind außerdem ihr spannungsreiches, “explosives Gleichgewicht” (180) sowie eine “unterkühlte Nüchternheit” und “pointierte Verhaltenheit”, wodurch das “offensive Potential” dieser “harten Lyrik” zu Tage tritt (179), das sie zu “eine[r] der riskantesten Formen der Lyrik” werden lässt, da sie sich “auf engstem Raum beweisen oder scheitern [muss]” (180).

In dem den Großteil des Buches ausmachenden literaturhistorischen Abriss geht die Autorin auf Hauptfiguren der literarischen Epochen vom Barock (Opitz) über die Aufklärung (Lessing, Descartes, Seume, Winckel-mann), Weimarer Klassik und Romantik (Hölderlin, Goethe, Novalis, Börne, Schopenhauer) bis zum 19. Jahrhundert (Nietzsche, Mach, Musil, Freud, Mauthner, Kraus, Hofmannsthal, Trakl, W. von Humboldt) ein, bisweilen mit Seitenblicken auf die französische und englischsprachige Literatur wie in den Beispielen Baudelaire und Poe. Es erfolgt eine Diskussion der Hauptströmungen des 20. Jahrhunderts vom Expressionismus (Schwitters, Toller) und der Neuen Sachlichkeit (Goll, Brecht) bis hin zum “vor allem aphoristischen Lakonismus der Nachkriegszeit” (Lasker-Schüler, Krolow, Celan), an der die Autorin einen “unlyrischen, nichtmelodischen, herben Ton” (69) und “gewaltige Fragmentierungen” der “poetischen Rede” (72) konstatiert. Neben renommierten Autoren geht Cheie auch auf eine noch weniger bekannte junge Generation lakonischer Lyriker wie Uwe Claus, Andreas Funke, Andreas Saurer, Heike Smets, Sabine Reber und Carsten Sebastian Henn ein, deren “Coolness” (76) die gegenwärtige Lyrik neu bestimmt. Besonders in der jüngsten Vergangenheit sieht Cheie den Lakonismus als eine “zynische Rede [End Page 170] des Widerstandes” bzw. als Ausdruck eines “phlegmatischen Unbehagens” einer postmodernen Unüberschaulichkeit und darin die literarische Manifestation “einer neuen Gefühlskultur” (14).

Was die im Buchtitel...

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