• "Offenbares Geheimnis" oder "geheime Offenbarung"? Goethes Märchen und die Apokalypse

Die verderbte Welt kann darüber lachen," schrieb Fürst August von Sachsen-Gotha am 13. Dezember 1792 an Goethe, inspiriert von der Lektüre des soeben anonym in den Horen erschienenen Märchens: "Ich bin überzeugt, dass die Offenbarung Johanni und dieses sogenannte Mährchen aus ein und derselben Feder geflossen sind." Eindringlich wies der Fürst auf die seiner Meinung nach "prophetische Dunkelheit" des Textes hin und fand unverzeihlich, dass die Herausgeber sich unterstanden hatten, "das Wort Mährchen hin zu setzen, wo Offenbarung … hingehörte."1 In seiner Antwort zeigt Goethe sich gegenüber dieser "anfangs allzu verwegen scheinenden Hypothese" seiner Durchlaucht erstaunlich positiv und pflichtet den Hinweisen auf eine Verwandschaft des Märchens mit der Johannesoffenbarung vollkommen bei: "Nur ein so frevelhaftes Zeitalter als das unsere," schreibt er, könne "die besagte Schrift für ein Mährchen halten," weise sie doch "alle Kennzeichen einer Weissagung und das vorzüglichste Kennzeichen im höchsten Grad" auf, nämlich "daß sie sich auf das Vergangene wie auf das Gegenwärtige und Zukünftige bezieht" (WA 4.10:352).

Obwohl Goethe auch gegenüber Schiller, Herder und Riemer auf einen inneren Zusammenhang zwischen seinem Märchen und der Johannesoffenbarung hingedeutete,2 hat die Goethe-Forschung die Äußerungen Fürst Augusts wie auch Goethes Replik zumeist als humorvollironische Tändelei aufgefasst3 und ist so der ernsthaften Frage nach einer möglicherweise tiefgreifenden litera rischen Verwandschaft des Märchens zur Johannesoffenbarung ausgewichen. Ohly4 und Niggl5 beschäftigen sich zwar mit textuellen Bezügen zwischen beiden Texten, doch eher im Vorübergehen. Andere Autoren stellten wohl "Anklänge an die Offenbarung"6(Mommsen) und einen "eschatologischen Sinn"7 (Haff) innerhalb des Textes fest, ließen es jedoch bei solch allgemeinen Andeutungen bewenden. Man begnügte sich mit der Feststellung, dass es im Märchen um Offenbarung (gr: apokalypsis) im allgemeinen gehe und stritt darüber, was denn hier offenbar wird: Goethes Anschauungen zur Kunst, zur Natur, zur Politik, sein Verhältnis zu Schiller und vieles andere.8 Einzig Rudolf Steiner scheint den Dichter beim Wort genommen und die Märchendichtung im buchstäblichen Sinne als apokalyptischen Text, d.h. als literarische Darstellung eines Aufstiegs zu transzendenter Erkenntnis gelesen zu haben. In dem Essay Goethes geheime [End Page 239] Offenbarung nachgestellt von 1899 wertete Steiner das Märchen in dreifachem Sinne als "Goethes Apokalypse": 1. sei der Text Ausdruck von Goethes esoterischem, aus übersinnlicher Offenbarung geschöpftem Wissen, 2. habe der Dichter darin das sich entwickelnde Wesen des Menschen, "den inneren Entwicklungsgang der Menschheit"10 bildhaft dargestellt und 3. sei in der Erweckung des Prinzen und der Errichtung des Tempels die Herausbildung einer höheren Bewusstseinsstufe dargestellt, jenes "anschauende Denken" nämlich, aus dem heraus Goethe den Text geschaffen habe.11 Doch fehlt auch bei Steiner jeder Hinweis auf konkrete philologische Zusammenhänge, welche die Anwendung des Begriffs "Apokalypse" auf das Märchen im literaturtheoretischen Sinne rechtfertigen könnten.

Die vorliegende Untersuchung zeigt, dass solche Zusammenhänge in der Tat bestehen und dass die Charakterisierung des Märchens als genuin apokalyptischem Text auch aus literarischer Sicht voll berechtigt ist. Sie zeigt, dass nicht nur eine deutliche intertextuelle Beziehung zwischen we sentlichen Motiven und Handlungselementen des Märchens mit denen der abendländischen Apokalypik besteht—vor allem der Johannesoffenbarung—, sondern dass beide Texte als Initiationsdarstellungen verstanden werden können, die zudem ihre Leser die geschilderte Initiation real mitvollziehen lassen wollen. Zwischen Goethes Verständnis der Poesie als Ort realer Offenbarung des Transzendenten und der in der Apokalyptik angestrebten Wirklichkeitserfahrung besteht somit eine tiefgreifende innere Verwandschaft. Die bisher kaum beachtete "apokalyptische" Dimension des Märchens und des goethesche Denkens als Dichter und Naturwissenschaftler insgesamt aufzuzeigen ist Ziel der vorliegenden Untersuchung. Sie tut dies in drei Schritten: Zunächst wird anhand einiger autobiographischer Zeugnisse nachgewiesen, dass für Goethe die Auseinandersetzung mit dem Apokalyptischen nicht primär theologischer Natur war, sondern stets im Zusammenhang mit epistemologischen und ästhetischen Überlegungen stand. Zweitens wird durch die Kontextualisierung des Märchens mit den Unterhaltungen deutscher Ausgewanderter sowie mit Schillers Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen gezeigt, dass sein zentrales Thema die poetische Darstellung und gleichzeitige Implementierung der bewusstseinserweiternden Kraft der Poesie und somit apokalypsis im ursprünglichen Sinne des Wortes ist. Drittens schließlich wird anhand einiger konkreter Beispiele der enge textuelle und gedankliche Bezug belegt, der zwischen dem Märchen, den ästhetischen Briefen und der Johannesoffenbarung besteht.

I. "Ewige Trümpfe, die nicht stechen": Goethes Auseinandersetzung mit der Apokalypse

Ein frühes Beispiel der Auseinandersetzung mit der Johannesoffenbarung finden wir in dem Gedicht Zwischen Lavater und Basedow aus dem Jahre 1774 (BA 1:470–71). Goethe schildert hier ein Gastmahl, an dem er selbst, Lavater und Basedow beteiligt waren. Basedow, Advokat einer liberal-rationalen Religiösitat, deutet hier einige symbolische Passagen der Johannesoffenbarung allegorisch aus, während Lavater als Vertreter eines [End Page 240] mystisch orientierten Christentums sich gegen eine solche rationalistische Auslegung wehrt. Der Dichter selbst distanziert sich ironisch von dem spekulativen Disput über die rechte Auslegung der apokalyptischen Bilder, indem er sich weltlicheren Dingen, nämlich seiner Mahlzeit, zuwendet. Doch ver speist er pikanterweise ausgerechnet einen "Salmen" (Lachs), das germanische Symboltier für höheres Wissen und Verwandlung, das zudem phonetisch an Salomon erinnert, jene Figur also, die in mehreren hebräischen Apokalypsen eine bedeutende Rolle spielt. Und während Lavater und Basedow weiter um die rechte Weise der Bibelauslegung streiten, verspeist Goethe genüsslich einen Hahn, also jenes Tier, das traditionell den Sieg des Lichts über die Finsternis und damit das Urmotiv der Apokalyptik symbolisiert. Subtil wird so das eigentliche Wesen des Apokalyptischen als Einweihung in eine höhere Form von Wissen in der Vordergrund gerückt, während der Versuch der beiden Theologen, durch rationalistische oder mystifizierende Auslegung diesem Wissen auf die Spur zu kommen, der Lächerlichkeit preisgegeben wird. Am Ende des Gedichts macht Goethe deutlich, dass es ihm hier vor allem um ästhetische Fragen geht, indem er sich selbst als "Weltkind" darstellt, das sich weder für Lavater noch für Basedow entscheidet, sondern in der Mitte zwischen rationalistischer und mystifizierender Bibelauslegung steht. Indem er dabei die bekannte Szene aus Lukas 24 parodiert und sich ironisch als figura Christi positioniert, postuliert er zugleich diese "Ästhetik der Mitte" als quasi göttlich legitimierten Standpunkt.

Und, wie nach Emmaus, weiter ging'sMit Geist- und Feuerschritten,Prophete rechts, Prophete links,Das Weltkind in der Mitten.

(BA 1:471)

Auch fünf Jahre später, als Goethe sich mit Lavaters poetischer Bearbeitung der Apokalypse des Johannes beschäftigte, interessieren ihn vor allem poetologische und ästhetische Probleme. Nachdem er das Manuskript dieses Werkes eingesehen hatte, schrieb er am 18. Oktober 1779, dass er darin "das göttliche nirgends und das poetische nur hie und da finden" könne und kritisiert die unvermittelte Übernahme biblischer Figuren und Motive in neuzeitliche Dichtung: "Wozu denn aber," fragt er pointiert, "die ewigen Trümpfe mit denen man nicht sticht und kein Spiel gewinnt, weil sie kein Mensch gelten lässt."12 Was mit diesen "ewigen Trümpfen" gemeint ist, erläutert Goethe rückblickend in Dichtung und Wahrheit, wo er Lavaters Dichtung charaktierisiert als Ausdruck einer "Dichtungsart, durch welche man die altund neutestamentlichen Mythen dem Anschauen und Gefühl näher zu bringen glaubte, wenn man sie völlig ins Moderne travestierte, und ihnen aus dem gegenwärtigen Leben, es sei nun gemeiner oder vornehmer, ein Gewand umhinge" (HA 9:185). Goethe störte die Tendenz, die biblischen Bilder durch Allegorisierung dem modernen Publikum begreiflich und schmackhaft zu machen, wie aus einem weiteren Brief an Lavater vom 2. November 1779 hervorgeht, in dem er dessen "apokalyptische Ungeheuer" als "allegorischen Dampf"13 bezeichnete. Offenbar fand Goethe, dass das Apokalyptische nach einer symbolischen Darstellung verlangt, in der das einzelne Bild nicht Illustration eines Begriffs ist, sondern für unendliche Interpretationen offen [End Page 241] bleibt. Seine eigene "Apokalypse" im Märchen kennzeichnet er denn auch (im Brief an Humboldt vom 27. Mai 1796) als eine ganz im Symbolischen verbleibende Dichtung.14

Als letztes Zeugnis von Goethes ästhetischem Interesse an der Apokalyptik sei jene Passage aus Dichtung und Wahrheit angeführt, die sich auf Johann Bengels Auslegung der Johannesoffenbarung bezieht. Besonders interessieren ihn hier die Bemerkungen Bengels, dass es zum Wesen apokalyptischer Texte gehöre, die gewöhnlichen Dimensionen der Zeit aufzuheben. Die Johannesoffenbarung sei so zu lesen, fand Bengel, "als ob alles darin auf einen Augenblick ausgesprochen würde."15 Diesen Gedanken aufgreifend schreibt Goethe, dass es eine charakteristische Eigenschaft "tieferer Gemüther" sei, "in der Vergangenheit so wie in der Zukunft zu leben." Solche Geister sähen in allem Gegenwärtigen Spiegelungen sowohl der Vergangenheit wie der Zukunft, deuteten alle Phänomene als "enthüllte Prophezeiungen" und "verhüllte Weissagungen" (HA 9:276). Daran anschließend berichtet er über Auseinandersetzungen im Freundeskreis, in der es wiederum um die Debatte zwischen rationalistischer und mystifizierender Bibelauslegung ging. Goethe bekennt, dass er selbst sich zwar mehr zur "klaren Partei" der Ausdeuter hielt und sich die Grundsätze und Vorteile ihrer Interpretationsweise anzueignen suchte, dass er jedoch zugleich ahnte, dass durch solche Rationalisierung "zuletzt der poetische Gehalt jener Schriften mit dem prophetischen verloren gehen müsse." (HA 9:276)

Nicht zufällig nennt Goethe hier das "Poetische" und das "Prophetische" in einem Atemzug, denn beiden ist seiner Auffassung nach die existentielle Erfahrung der Verschmelzung von Vergangenheit und Zukunft gemein. Der Gedanke als solcher hatte Goethe bereits lange beschäftigt, etwa in dem Aufsatz Die Natur aus dem Jahre 1774, wo es heißt: "Alles ist immer da in ihr. Vergangenheit und Zukunft kennt sie nicht. Gegenwart ist ihr Ewigkeit" (HA 13:47). Zwar ist hier von der Natur die Rede, doch da nach Goethes Auffassung die Kunst letztlich danach strebt, den schöpferischen Prozess der Natur nachzuahmen, so kann der Ausdruck durchaus als ästhetisches Credo gelesen werden.16 Deutlich zeigt sich dies in den Lehrjahren, wo der junge Wilhelm die Aufhebung der Zeitdimensionen ausdrücklich als wesentliches Charakteristikum der Poesie kennzeichnet. Der Dichter wird hier gradezu als Seher und Prophet charakterisiert: "so lebt er den Traum des Lebens als Wachender, und das Seltenste, was geschieht, ist ihm zugleich Vergangenheit und Zukunft. Und so ist der Dichter zugleich Lehrer, Wahrsager, Freund der Götter und der Menschen." (HA 7:83)

II. "An alles und an nichts erinnert werden"— Ästhetische Erfahrung als apokalyptisches Ereignis

Die biographischen Zeugnisse belegen, dass für Goethe eine innere Beziehung des Poetischen mit dem Apokalyptischen bestand und dass ihm die Auseinandersetzung mit der Apokalypse Medium ästhetischer und künstlerischer Selbstreflexion war. Das Märchen von 1795 kann als Kumulationspunkt dieser Selbstvergewisserung verstanden werden. In ihm fasste Goethe, als Reaktion auf Schillers soeben erschienene Briefe über [End Page 242] die ästhetische Erziehung des Menschen, seine bisherigen Überlegungen über Wesen und Aufgabe der Kunst in einem poetischen Bildreigen zusammen. Darin wird, wie Rudolf Steiner gezeigt hat, die ästhetische Erfahrung gewissermaßen als apokalyptisches Ereignis in Szene gesetzt.

Steiner formulierte um 1899 zwei Grundsätze, die bis heute als Leitfäden der Deutung des goetheschen Märchens gelten können. Der Text, lesen wir in Goethes Geistesart, sei zum einen im Kontext der Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten zu lesen und zum anderen als Goethes poetisches Pendant zu Schillers ästhetischen Briefen zu verstehen.17 Nach Steiner drehen sich beide Texte um die anthropologische Grundfrage "nach dem Zusammenhange der Menschenseele mit der sinnlichen Welt einer- und der übersinnlichen andererseits,"18 d.h. ob und wie das auf sinnliche Erfahrung angewiesene Denkvermögen des Menschen eine unsinnliche Wirklichkeit wahrnehmen und erkennen kann. Kantisch gesprochen: was sind die Bedingungen der Möglichkeit apokalyptischer Erfahrung? Steiner sieht in beiden Texte dieselbe Grundüberzeugung ausgedrückt, einmal abstrakt-philosophisch und einmal poetisch-bildhaft ausgedrückt, dass nämlich dem ästhetischen Erlebnis zugetraut wird, die Entfremdung des modernen Menschen zu überwinden und ihn mit seinen beiden Naturen und somit letztlich auch mit Natur und Gesellschaft wieder zu versöhnen.

Neuere Deutungen folgen Steiner zwar in seinem doppelten Forschungsansatz, kommen aber hinsichtlich der Kompatibilität von Goethes und Schillers Kunstauffassungen fast übereinstimmend zu anderen Ergebnissen. Bernd Bräutigam19 findet, dass die Unterhaltungen und das Märchen keineswegs als Pendant zu Schillers Idee einer Erziehung durch Kunst zu deuten sind, sondern im Gegegenteil als Kritik derselben. "Das Projekt des Erziehens durch Erzählen scheitert im Roman," schreibt er, und "der Utopie ästhetischer Versöhnung gilt Goethes Skepsis."20 Auch Peter Haff liest Märchen und Unterhaltungen als poetisch verhüllte Kritik an Schiller. Goethe habe "den Freund überreden wollen, den ästhetischen und praktischen Idealismus aufzugeben,"21 da Kunst seiner Auffassung nach den Bereich des Empirischen nicht transzendieren könne. Katharina Mommsen22 sieht das ähnlich, indem sie das Märchen deutet als "Versuch Goethes, sich mit dem Freunde zu verständigen auf einem Gebiet, wo ihre größten Gegensätze lagen."23 Goethe habe zum Ausdruck bringen wollen: "alles philosophische Bemühen Schillers um Veredelung und Erneuerung der Menschheit, ist Märchen, muß Utopie bleiben." Bernd Witte24 konstatiert "eine grundsätzlich verschiedene Auffassung von Wesen und Funktion der Literatur"25 bei Schiller und Goethe. Während es dem jungen Philosophen um die Erziehung des Menschen insgesamt gegangen sei, habe Goethe dies "als idealistische Selbsttäuschung entlarvt." Ihm sei es letztlich "allein um die ästhetische Bildung des Schriftstellers" gegangen.26 Ulrich Gaier27 schließlich geht so weit, in den Unterhaltungen eine "satirische Antithese zu Schillers ästhetischen Briefen" zu sehen.28

Betrachten wir einmal den kunsttheoretischen Diskurs in den Unterhaltungen, der Anlass zu so widersprüchlichen Deutungen gegeben hat. In dem zentralen Kunstgespräch gegen Ende des Romans macht die Figur des Karl folgende Aussage: [End Page 243]

Die Einbildungskraft ist ein schönes Vermögen, nur mag ich nicht gern, wenn sie das, was wirklich geschehen ist, verarbeiten will. Die luftigen Gestalten, die sie erschafft, sind uns als Wesen einer eigenen Gattung sehr willkommen; verbunden mit der Wahrheit, bringt sie meist nur Ungeheuer hervor und scheint mir alsdann gewöhnlich mit dem Verstand und der Vernunft im Widerspruche zu stehen. Sie muß sich, deucht mich, an keinen Gegenstand hängen, sie muß uns keinen Gegenstand aufdringen wollen, sie soll, wenn sie Kunstwerke hervorbringt, nur wie eine Musik auf uns selbst spielen, uns in uns selbst bewegen, und zwar so, daß wir vergessen, daß etwas außer uns sei, das diese Bewegung hervorbringt.

(BA 12:370)

Der Geistliche, der am Ende des Romans auch das Märchen erzählen wird, widerspricht dieser Beschreibung der poetischen Imagination nicht, fügt aber hinzu, dass er vom Theoretisieren über die Poesie wenig halte. Statt dessen wolle er, bevor er am Abend das Märchen erzählen wird, zuerst einen Spaziergang unternehmen, um "die sonderbaren Bilder" des Märchens in seiner Seele "lebendig werden" zu lassen. Von der Schilderung solcher in der Seele lebendig gewordener Phantasiebilder verspricht er sich eine geradezu wundersame Wirkung: "Diesen Abend," verkündet er seinem Publikum, "verspreche ich Ihnen ein Märchen, durch das Sie an nichts und an alles erinnert werden sollen."

Bernd Bräutigam versteht Karls Äußerungen als deutliche Kritik Goethes an Schillers Programm ästhetischer Erziehung. Die Darlegungen über das Wesen der freien Imagination seien Ausdruck einer "künstlichen Trennung von imaginärer Welt und Alltagswelt,"29 wie sie für Schillers Position kennzeichnend sei. Schillers Projekt der Erziehung durch Kunst führe sich somit letztlich selbst ad absurdum, da eine Ästhetik der Abkehr vom Wirklichen "letztlich die Absage an die Bildungsbedeutung der Kunst"30 bedeute. Goethe habe gerade das Gegenteil gesucht, nämlich die imaginative Verarbeitung der Wirklichkeit, die "Reproduktion der Welt um mich, durch die innere Welt."31Diese Deutung Karls als Spiegel goethescher Kritik an Schillers ästhetischer Position basiert jedoch selbst auf einer "künstlichen Trennung," indem sie einen Gegensatz zwischen "wirklichkeitsscheuer" Kunst bei Schiller und "erfahrungsorientierter" Imagination bei Goethe konstruiert, der sich bei näherem Hinsehen als Zerrbild erweist. Schillers Ästhetik ist durchaus nicht so wirklichkeitsfeindlich, wie hier unterstellt wird. Seine Forderung nach dem rein immanenten ästhetischen Erlebnis ist letztlich die Forderung nach Auseinandersetzung mit der inneren Wirklichkeit des menschlichen Wesens, aus der—jedenfalls für gute Kantianer wie Schiller—die sogenannte "äußere Wirklichkeit" letztlich hervorgeht. Die in den Briefen geforderte vorläufige ästhetische Wendung nach innen ist somit keineswegs Abkehr sondern Hinwendung zu den gesellschaftlichen und sozialen Grundproblemen der Zeit:32 Für Schiller waren, um mit Joseph Beuys zu sprechen, die grundlegenden Fragen von Gesellschaft und Politik Wahrnehmungs- und Gestaltungsfragen, weshalb er die Notwendigkeit betonte, nicht nur über Politik und Gesellschaft zu theoretisieren, sondern den Menschen durch ästhetische Erziehung praktisch zum "sozialen Künstler" auszubilden, damit er den Forderungen der Zeit gerecht werden kann.33 Umgekehrt bedeuten [End Page 244] Goethes Äußerungen über den Wert der Erfahrung für den künstlerischen Prozesses nicht, dass die äußere Wirklichkeit der eigentliche Gegenstand der Kunst sei. Im Gegenteil solle die Kunst nicht die "Natur" sondern die "höhere Natur in der Natur" (HA 9:491) erfassen. Goethe will als Künstler nicht die Welt, wie sie sich dem gewöhnlichen Bewusstsein darstellt, poetisch noch einmal nachschaffen, sondern dasjenige Unnennbare, was diese Welt hervorbringt und "im Innersten zusammenhält" in Symbole bringen und so erlebbar machen.

Diese Auffassung von der "Erkenntnisfähigkeit der Phantasie"34 ist, wie Rudolf Steiner zuerst erkannte35 und wie neuerdings wiederentdeckt wird,36Grundlage nicht nur des poetischen, sondern auch des naturwissenschaftlichen Denkens bei Goethe. Poetologische Begriff wie "Symbol" und "Apercų" und wissenschaftliche wie "Urphänomen" und "Typus" können durchaus als analog verstanden werden.37 Die Urpflanze etwa, die Goethe gegenüber Schiller als "symbolische Pflanze" bezeichnete, kann als Beispiel eines solchen "anschauenden Denkens" verstanden werden. Obzwar wie die Schöpfungen der künstlerischen Imagination ein reines Phantasieprodukt, leistet sie nach Goethes Auffassung doch mehr zur Erkenntnis der lebendigen Natur, als jede wissenschaftliche Definition, indem sie die beweglichen Wachtums- und Bildungsgesetze des pflanzlichen Lebens, die sich dem starren Begriffswesen traditioneller Wissenschaft entziehen, in einem Bild anschaubar und erlebbar macht. Im anschauenden Denken sollen wir "mit den Augen denken lernen," wie Peter Sachtleben seine Darstellung der Naturstudien Goethes treffend betitelt.38 Mit seiner Hilfe wollte Goethe der Natur ihre geheimen Absichten ablauschen und "Pflanzen ins unendliche erfinden, die konsequent seyn müßen, das heißt: die, wenn sie auch nicht existiren, doch existiren könn ten."39 So zeigt sich, wie in der Ästhetik, auch in der naturwissenschaftlichen Methode Goethes eine "apokalyptische" Dimension. Dem Künstler wie dem Forscher Goethe geht es um Offenbarung einer "höheren Natur in der Natur," deren Wahrnehmung jedoch den "Tod" des gewöhnlichen abstrakten Denkens und die "Geburt" ganz neuer Erkenntnisorgane erfordert. Was Kant in der Kritik der reinen Vernunft als unmögliches "Abenteuer der Vernunft"40 be zeichnet hatte, nämlich von der Beschreibung des Lebendigen zur Anschauung der darin wirkenden Bildekräfte des Lebens selbst zu gelangen und somit der schöpferischen Natur ihre innersten Absichten und Ziele ablauschen zu können, glaubte Goethe im anschauenden Denken "sehr wohl bestehen zu können" (HA 13:31). Der bildschaffenden Phantasie des Menschen weist er somit eine fast hellseherisch bzw. prophetisch zu nennende Rolle zu: sie er kennt nicht nur das Bestehende, sondern die darin waltende Entelechie; nicht nur, was die Natur ist, sondern was die Natur will, wohin sie ihrem innersten Wesen nach strebt.

Ausgehend von der Einsicht in den Zusammenhang von Naturforschung und Poesie bei Goethe hat Rudolf Steiner vorgeschlagen—analog zur "Urpflanze" als Bild der im Pflanzlichen wirkenden Lebenskräfte und Entwicklungstendenzen—das Märchen als "Ur-Menschen," d.h. als symbolische Repräsentation der gesamten geistig-seelischen Natur des Menschen und der in ihm liegenden Entwicklungsmöglichkeiten aufzufassen.41 Seine mannigfaltigen Figuren deutet er als lebendige Bilder des inneren geistigseelischen [End Page 245] Lebens. Dieses zeigt sich, unter den Bedingungen des gewöhnlichen Bewusstseins, zunächst als geteiltes Reich, das stets in Subjekt und Objekt, Geist und Natur, Himmel und Erde zerfällt. In dem aber, wonach diese Märchenfiguren sich sehnen, wird deutlich, wonach die menschliche Natur aus ihren innersten Entwicklungsgesetzten heraus strebt, nämlich nach einer Metamorphose des abstrakt-dualistischen Denkens in eine ganzheitliche Form der Wirklichkeitserfassung. Das "gegenseitige Hülfeleisten aller Kräfte,"42wodurch nach Schiller alle Figuren im Märchen harmonisch zusammenwirken um den Prinzen zu erwecken, macht dieses Ziel möglich. Wie die Urpflanze veranschaulicht, wohin die inneren Bildungsgesetze des Pflanzlichen streben, so illustriert in Steiners Lesart das Märchen, wohin das Menschenwesen aus seinen eigenen Existenzbedingungen heraus strebt, nämlich nach jenem durch Kunst zu realisierenden "idealischen Menschen" und "ästhetischen Staat," den Goethe und Schiller als im Menschen angelegtes Entwicklungsziel betrachteten.

Die bildschaffende Phantasie ist bei Goethe nicht nur prophetisches Wahrnehmungsorgan für Kommendes, erst im Keim Befindliches, sondern auch Organ individueller und kollektiver Erinnerung. Wie die Äußerungen Karls, können auch die Bemerkungen des Geistlichen in den Unterhaltungen als Ausdruck der goetheschen Kunstauffassung interpretiert werden. Wenn dieser etwa andeutet, dass sein Märchen seine Hörer "an alles und an nichts erinnern" werde, so entspricht dem Goethes Anschauung von der Zeit und Raum aufhebenden Natur der poetischen Erfahrung. Oftmals, wenn der Dichter das Wesen der Poesie poetisch ins Bild setzt, beschreibt er diese als ein Zwitterwesen von Erinnerung und prophetischer Ahnung, etwa im Schauspiel von Prometheus und Epimetheus, dem "Vorausdenker" und dem "Zurückdenker," in dem die Janusköpfigkeit der Poesie als Erinnerung und Prophezeihung dramatisch in Szene gesetzt wird. Auch viele der goetheschen Aphorismen beschreiben diese Verschmelzung von Erinnerung und Prophetie im inspirierten Moment:

Alles was wir Erfinden, Entdecken im höheren Sinne nennen, ist eine bedeutende Ausübung, Betätigung eines originalen Wahrheitsgefühles, das, im stillen längst ausgebildet, unversehens mit Blitzesschnelle zu einer fruchtbaren Erkenntnis führt. Es ist eine aus dem Innern am Äußern sich entwickelnde Offenbarung, die den Menschen seine Gottähnlichkeit vorahnen läßt.

(HA 8:302)

Die Reichweite der poetischen Erinnerung ist für Goethe—vergleichbar der platonischen memnosyne—nicht auf den Zeitraum zwischen Geburt und Tod beschränkt, sondern transzendiert die individuelle empirische Existenz. Als Beispiel mag das Gedicht Warum gabst du uns die tiefen Blicke (BA 2:210–11) dienen, in dem der Dichter sein inneres Erleben in der Begegnung mit Charlotte von Stein beschreibt. Hier fließen Wesenserkenntnis ("Uns einander in das Herz zu sehen"), Zukunftsahnung ("Unsre Zukunft ahndungsvoll zu schaun") und Erinnerung an ein früheres Dasein ("Und von allem dem schwebt ein Erinnern") in ein Erlebnis zusammen, das—wie die apokalyptische Erfahrung—zugleich "Wahrheit" offenbart und einen "neuen Zustand" herbeiführt, der als "Schmerz" empfunden wird. Goethes Beschreibung dieses déjà-vu charakterisiert in treffender Weise nicht nur, wie Ilse Graham [End Page 246] gezeigt hat, seine Haltung als Naturforscher, der den Ausgleich zwischen Subjekt und Objekt sucht,43 sondern auch sein Verständnis der Poesie als Verschmelzen von Vergangenheit und Zukunft, Wiedererinnerung und Prophetie in einem Moment intensivster Gegenwärtigkeit. Im Gegensatz zur sinnlichen Wahrnehmung, die nur das Nahe und Gegenwärtige fassen kann, und zum abstrakten Denken, das nur dasjenige versteht, was es zuvor zum Begriff reduziert hat, versteht er die poetische Einbildungskraft als sublimes Wahrnehmungsorgan des wirklichen Lebens, in dessen Gegenwart längst Vergangenes und erst noch Kommendes immer mitschwingt.

Die goethesche Vorstellung, anhand der Poesie die Grenzen des gewöhnlichen, in Zeit und Raum eingebundenen Bewusstseins zu transzendieren und durch diesem "Tod" des alten die "Geburt" eines neuen, höheren Bewusstseins zu bewirken zeigt sich auch in dem Diwan-Gedicht Selige Sehnsucht. Während Ellis Dye44 die hier geschilderte Todessehnsucht des Schmetterlings in die Tradition des Liebestod-Motivs stellt, kann sie im Licht der hier eingenommenen Perspektive zugleich als Darstellung des apokalyptischen "Erkenntnistod-Motivs" gedeutet werden: Wessen Bewusstsein nicht in der Lage ist, durch Aufgabe der gewöhnlichen Denkgewohnheiten zu "sterben," der verbleibt in der "Trübe" und "Dunkelheit" eines an Raum und Zeit gefesselten Verstehens. Wer sich aber in das verzehrende Licht der reinen ästhetischen Erfahrung zu stürzen vermag, der bricht, in den Worten des Gedichts, "zu höherer Begattung"45 auf, d.h. er erzeugt in sich selbst, wenn auch nur für einen Moment, ein höheres kognitives Dasein, in dem jene intensivste Gegenwärtigkeit erlebt werden kann, von der das Gedicht an Frau von Stein spricht.

Nicht von ungefähr zeigt sich die apokalyptische Dimension im goetheschen Denken gerade in diesem von der persischen Mystik angeregten Gedicht. Dreht sich doch die mystische Erfahrung um eben jenes Ereignis des "Stirb und Werde," dass auch in der Apokalyptik im Zentrum steht, so wohl auf der individuell-persönlichen Ebene des Individuums wie auch mit Blick auf die gesamte Menschheit, ja den gesamten Kosmos. Wie für Goethe das ästhetische Erlebnis im Kern ein apokalyptisches Ereignis ist, so ist umgekehrt das apokalyptische Geschehen in der Johannesoffenbarung genuin ästhetischer Natur, ist Wahrnehmungs- und Erkenntnisereignis. Diether Gutzen hat nachgewiesen, dass dieser Text in Sprache und Komposition "ein ausgeprägtes ästhetisches Bewusstein"46 des Verfassers an den Tag legt. Dezidiert legt er über seine poetischen Darstellungsmittel und deren beabsichtigte Wirkungen auf das menschliche Erkenntnisvermögen Rechenschaft ab. Gleich der erste Vers offenbart die komplexe ästhetische Signatur seiner Komposition:47

Wesensenthüllung Jesu Christi, die der Vatergott ihm gegeben hat, um denen, die ihm dienen wollen, zu zeigen, was in der Zukunft geschehen soll und was mit schnellen Schritten näherkommt. Er hat diese Offenbarung in Bildworte gebracht und durch seinen Engel an seinen Diener Johannes gesandt. … Selig derjenige, der die prophetischen Worte zu lesen, und diejenigen, die sie zu hören verstehen, und alles, was in diesem Buch steht, in ihre Seele aufnehmen. Denn die Zeit drängt!48 [End Page 247]

Drei Erzähl- und drei Rezeptionsebenen werden hier benannt. Letzlicher Autor des Textes ist Christus, der eine Offenbarung seines Wesens an ein Engelwesen übermittelt. Dieses setzt dieselbe in "Zeichen" (semeia) und gibt diese an Johannes weiter, der dann das so im Bild innerlich Erlebte in Worte fasst und an seine Leser und Hörer weitergibt. Aufgrund ihrer Zeichennatur ist die Botschaft der Apokalypse verschlüsselt, was der Autor im Bild der Versiegelung der Schriftrolle noch einmal betont. Dem Leser wird so deutlich gemacht, dass der Text, den er vor sich hat, vom gewöhnlichen Bewusstsein prinzipiell nicht zu verstehen ist: "Und ich weinte sehr, weil niemand für würdig befunden wurde, das Buch aufzutun" (Off. 5:5). "Würdig" aber zu solcher Siegelöffnung, so macht der Text deutlich, ist nur einer: Christus, d.h. derjenige, der durch Selbsthingabe und Auferstehung gegangen ist. Er, der "Menschen-Sohn," das Urbild künftigen höheren Menschseins, ist nicht nur Inhalt der apokalyptischen Botschaft, sondern auch der Schlüssel zum Verständniss seiner tieferen Bedeutung. Der nach Verständnis Suchende muss daher zuerst eine Wandlung vornehmen, muss—durch Offenheit für die ästhetische Verwandlungskraft der poetischen Bilder—Christus selbst an die Stelle seines individuell-begrenz-ten Denkens und Verstehens setzen. Nur wer bereit ist, "alles, was in diesem Buch steht" in sich aufzunehmen—also mit den Worten zugleich das Wesen dessen, der da spricht—, wer im Lesen das Sühnopfer Christi gewissermaßen kognitiv nachvollzieht, ist "selig"; er kommt durch innere imitatio Christi zu einem höheren Verstehen des Textes, indem er selbst zum Seher und Propheten wird. Der Text stellt somit sich selbst als Samenkorn dar, das, einmal in die Tiefen der Seele gepflanzt, zum Baum aufschießt, in dessen Zweigen die Bewohner des Himmels nisten.49 Im Bild der Schriftrolle, die der Seher verschlingen muss, bevor er zu eigener Schau aufsteigen kann (Off. 10:9–11), findet diese wirkästhetische Ansicht seinen treffenden Ausdruck.

Ohne dass wir hier auf diese der Johannesoffenbarung immanente "Poetologie des Apokalyptischen" weiter eingehen können, sollte doch die innere Verwandschaft mit der goetheschen Kunstauffassung deutlich geworden sein. Wie das goethesche Symbol so will auch das apokalyptische Bild nicht durch allegorische Auslegung in Begriffe umgesetzt, sondern innerlich erlebt und so zum Keim und Organ einer verfeinerten Wahrnehmung der Wirklichkeit werden. Märchen und Apokalypse zielen auf eine Metamorphose der gewöhnlichen Denk- und Wahrnehmungsfähigkeiten durch das lebendige Aufnehmen und innere Verarbeiten des mit Wirklichkeit gesättigten poetischen Symbols. Wenn Goethe etwa schreibt: "Jeder neue Gegenstand, wohl beschaut, schließt ein neues Organ in uns auf" (HA 13:386), impliziert er letztlich dieselbe ästhetische Grundüberzeugung, die den Gleichnissen von der Schriftrolle und vom Senfkorn zugrundeliegt. Sein Märchen veranschaulicht, wie das poetische Bild, wenn ihm Einlass in den unterirdischen Tempel des Unterbewusstseins gewährt wird, die dort waltenden seelischgeistigen Kräfte verwandeln und den dort schlummernden Prinzen zum Leben erwecken kann—und wie vor dem so in innerer Apokalypse zum anschauenden Denken erwachten Bewusstsein Mensch und Welt in verwandelter Gestalt erscheinen. [End Page 248]

III. "Umgestalten, doch ohne zu verändern": Metamorphosen des Apokalyptischen im Märchen

Begreift man das goethesche Märchen als poetische Darstellung der apokalyptischen Verwandlungskraft der Kunst, dann verwundert es nicht, dass darin viele Motive aus der Johannesoffenbarung auftauchen. Viele dieser Bilder verraten ihre biblische Herkunft zwar nicht auf den ersten Blick, doch zeigt sich bei näherem Hinsehen, dass es sich um umgestaltete Bild-Gestalten aus der Apokalyptik handelt.50 In der Art und Weise, wie sie im Märchen zusammenwirken, gestalten sie ein bewegtes Bild jener "inneren Apokalypse," die Goethe und Schiller als das Wesen der ästhetischen Erfahrung betrachteten. Im folgenden Abschnitt seien einige dieser Märchenmotive sowie die ihnen entsprechenden Spiegelungen in den schillerschen Briefen betrachtet.

Der Ruf "Es ist an der Zeit!," der im Märchen zweimal aus dem Munde des Alten erklingt, ist die vielleicht deutlichste intertextuelle Anspielung an die Johanneapokalypse, in der er—ebenfalls zweimal—anklingt: ο γαρ καιρος εγγυς.51 Dass Goethe damit auf eine Wendezeit, auf den Beginn eines neuen Äon anspielt, ist in der Forschung relativ unumstritten.52 Was jedoch das Neue ist, das da angekündigt wird, darüber gehen die Meinungen auseinander. Im Lichte der hier vertretenen Auffassung liegt es nahe, hier jene Zeitwende angedeutet zu sehen, auf die auch Schiller zu Beginn seiner Briefe hinweist. Er stellt dort die rhetorische Frage, ob es nicht "außer der Zeit" sei, sich ange sichts der politischen Umwälzungen der französischen Revolution mit Fragen der Ästhetik zu befassen anstatt mit "dem vollkommensten aller Kunstwerke, mit dem Bau einer wahren politischen Freiheit?"53 Seine Antwort auf diese Frage ist bekannt: Wer politische Freiheit in der Gesellschaft will, muss zunächst erst innere Freiheit in sich selbst verwirklicht haben, und dies ist allein in der ästhetischen Erfahrung möglich: "weil es ist die Schönheit ist, durch die man zu der Freiheit wandelt." Diese Zeitenwende von der Heteronomie des Menschen zur inneren Freiheit des Denkens und Handelns ist es, die auch in Goethes Märchen verkündigt und zelebriert wird. Sie kommt, wie es sich für ein gutes Märchen gehört, in dreifacher Weise zum Ausdruck: 1. als Errichtung einer Brücke über einen zwei Königreiche trennenden Fluss durch das freiwillige Selbstopfer der grünen Schlange, 2. als Auferweckung eines in Schlaf verfallenen Prinzen und dessen Vermählung mit der celestialen Gestalt der Lilie sowie 3. als Verwandlung der in einem unterirdischen Tempel thronenden Könige und Heraufsteigen dieses Tempels an die Erdoberfläche.

Im Bild des Flusses, welches zwei entgegengesetzte Seinsbereiche voneinander trennt und damit zugleich verbindet, erkennt man unschwer die gedankliche Topographie der ästhetischen Briefe Schillers und der goetheschen Unterhaltungen wieder: der Fluss entspricht dem Menschen selbst, in dessen Wahrnehmung sich die einheitliche Wirklichkeit in zwei Reiche teilt, in Physisches und Geistiges, Sinnliches und Übersinnliches, Stofftrieb und Formtrieb, und dessen Aufgabe darin besteht, diese beiden Ufer in seinem Denken und seinem Tun wieder miteinander zu verbinden. "Diese Totalität in unsrer Natur, welche die Kunst [d.h. die moderne Zivilisation] zerstört hat," schreibt Schiller, ist "durch eine höhere Kunst [nämlich die Ganzwerdung des Menschen im ästhetische Erlebnis] wiederherzustellen."54 Im Märchen [End Page 249] wird diese Wiederherstellung durch die Errichtung einer Brücke erreicht, die aus der sich opfernden Schlange gebildet wird. Die Brücke als Medium der Kommunikation mit dem Jenseits ist ein altbekanntes apokalyptisches Motiv. Es findet sich als Jenseits-Brücke nicht nur in der Esra-Apokalypse und in vielen mittelalterlichen Visionstexten,55 sondern auch in jenem Engel der Johannesoffenbarung, der "mit dem rechten Fuss auf dem Meer und mit dem linken auf dem festen Land" steht (Off. 10:2). Dieser Brücken-Engel reicht dem Seher eine Offenbarung symbolisierende Schriftrolle, die er zu verzehren hat, um zu höherer Erkenntnis aufzusteigen: das "Mysterium des Göttlichen" soll offenbar werden und die Zeit "soll nicht mehr sein." Diese Funktionen, die wir bereits als Charakteristika des goetheschen Kunstverständnisses kennen gelernt haben, übernimmt im Märchen die grüne Schlange. Sie verschlingt das Gold der Irrlichter und verwandelt es in revelatorisches Licht, sie hebt das Wesen der Zeit auf, indem sie sich, das Symbol der Ewigkeit bildend, zum Kreis zusammenrollt, und sie errichtet eine Brücke über den Fluss, indem sie sich aufopfernd in dessen Untiefen stürzt um zur Brücke verwandelt wieder daraus hervorzukommen. Bei Schiller hingegen wird diese Brückenfunktion vom Spieltrieb übernommen. Dessen Aufgabe ist, Stofftrieb und Formtrieb miteinander zu verbinden indem er das Bewusstsein in den Strom der ästhetischen Erfahrung eintaucht, um so "die Zeit in der Zeit aufzuheben"56und den Menschen wieder "ganz Mensch" sein zu lassen.

Für diese Deutung des Märchens als poetischer Darstellung einer ästhetischen Initiation, d.h. einer Metamorphose des gewöhnlichen Bewusstseins anhand von Kunst, spricht auch das zentrale Motiv des Tempels. Seit jeher west für das religiöse Denken im Tempel das Göttliche selbst an und kann hier unmittelbar erfahren werden.57 Die Entweihung und -zerstörung des Tempels hingegen wurde in der postexilischen Apokalyptik zur machtvollen Allegorie der Begrenztheit des menschlichen Erkenntnisvermögens. In der Abwesenheit der Tempels drückt sich eindrucksvoll das Versiegen göttlicher Präsenz und Offenbarung in der Menschheitsgeschichte aus. Zugleich aber macht sich die Hoffnung geltend, dass einst die Kommunikation mit dem Transzendenten wieder möglich, dass einst der "Tempel," in verwandelter Form, wieder erscheinen wird.58 Auch im Märchen kommt ein solcher "verborgener" Tempel am Ende zum Vorschein, den Ohly als poetische Verwandlung der römischen Peterskirche erkannt hat.59 Rom und die Peterskirche nehmen somit im Märchen die Stelle ein, die in der Johannesapokalypse Jerusalem und sein Tempel innehaben: sie sind Symbole einer verlorengegangenen Kultur der Geistnähe, deren Substanz ergriffen und von innen heraus verwandelt werden muss, wenn sie für die Zukunft der Menschheit fruchtbar werden soll. Einfühlsam zeichnet Ohly nach, wie Goethe durch den Aufstieg des unterirdischen Tempels an die Oberfläche gewissermassen den Geist der Antike ins neuzeitliche Europa überführt60— wie auch die Johannesapokalypse die Substanz jüdischer Geistigkeit ins Christliche zu verwandeln sucht. Im Märchen wie in der Apokalyptik wird der in den Bereich des Menschen zurückgekehrte Tempel zum Garanten ungehinderter Kommunikation zwischen Diesseits und Jenseits. Nicht mehr haben nur wenige Auserwählte die Möglichkeit, über den Fluss zu setzen, sondern jedermann, in beide Richtungen, und der neue Tempel ist, wie es [End Page 250] am Schluss des Märchens heißt, "der besuchteste auf der ganzen Erde" (BA 12:402). Wie im apokalyptischen Bild des himmlischen Jerusalem, wird somit auch bei im Märchen am Ende die Transzendenz zur Immanenz.

Bei Schiller nimmt sich diese Vorstellung einer umfassenden Metamorphose von Mensch und Welt prosaischer aus. Hier wandelt sich der "empirische" zum "idealischen" Menschen,61 der "natürliche" zum "ästhetischen" Staat.62 Charakteristischer Ausdruck dieser Wandlung, als dessen Ergebnis die Trennung von Natur und Geist, Realität und Ideal aufgehoben sein soll, ist das Bild der Vermählung. Schiller kann bei allem Bemühen um den abstrakten philosophischen Jargon dieser Symbolik nicht entgehen und begreift das ästhetische Erlebnis als "Verbindung zweier entgegengesetzter Prinzipien":63 Stofftrieb und Formtrieb, Gesetz und Wilkür, Materie und Form, Leiden und Tätigkeit usw. Das Märchen schildert diese Vereinigung im Bild der Vermählung von Prinz und Lilie und bedient sich dabei wiederum apokalyptischer Vorbilder. Schon die Propheten des Alten Testaments fassten das unmittelbare Verhältnis des Menschen zum Geistigen im Bild der Ehe und kennzeichneten die Aufkündigung dieses Verhältnisses seitens des Menschen als "Ehebruch" und "Hurerei." Das Bild der materialistisch denkenden und handelnden Menschheit steigert sich ins mythisch-kosmische in der "Hure Babylon." Dieser "Hure" stellt die Johannesoffenbarung das Bild von der "Braut" entgegen, in welcher derjenige Teil der Menschheit versinnbildlicht ist, der trotz seiner Trennung vom Göttlichen die innere Verbindung mit demselben nicht aufgegeben hat. Dieser Braut kommt am Ende der Tage der Menschensohn selbst als Bräutigam entgegen, um sich mit ihr zu vermählen. Das ehemals gültige Gesetz, nach dem das menschliche Bewusstsein in der unmittelbaren Konfrontation mit dem Übersinnlichen ausgelöscht wird, wird aufgehoben: es "wohnt" jetzt bei den Menschen, seine Erkenntnis ist Allgemeingut und das Symbol der Vermittlung, der alte Tempel, ist überflüssig geworden.(Off. 21:22)

Im Märchen kommt die Rolle des apokalyptischen Bräutigams der Lilie zu. Nach ihr sehnt sich der in abgerissenen Kleidern und barfuss daherkommende Königssohn, in dem wir ein Bild des gefallenen Menschen vor uns haben, wie die Apokalyptik ihn darstellt. Wie ein gefallener Adam muss er, fern seiner Heimat, ein kümmerliches Leben fristen. Seine "herrliche Gestalt" (BA 12:383) verrät zwar seine königliche Herkunft, doch ist er der Insignien königlicher Macht, Weisheit und Legitimation beraubt: erst später, im Tempel, erhält er Schwert, Zepter und Krone zurück. Als dieser Prinz der Lilie begegnet und sich ihr an den Hals wirft, trifft ihn das gleiche Schicksal, wie jene, die sich in biblischer Zeit unvorbereitet dem Quell der Offenbarung näherten: im selben Moment, indem er die Geliebte berührt, verfällt er in todesähnlichen Schlaf. Obwohl er in den Armen der Lilie liegt, kann er sie nicht in sein Bewusstsein aufnehmen; ihr gegenüber "schläft" er bzw. ist er "tot" und muss für die erkennende Umarmung mit ihr erst auferweckt werden. Diese Auferstehung geschieht, indem alle Beteiligten in einer Art Prozession in den unterirdischen Tempel einziehen. Nach mancher Begebenheit, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann, steigt dieser unterirdische Tempel hinauf an die Oberfläche und bildet, zusammen mit der Schlangen-Brücke, eine dauerhafte Verbindung zwischen den ehemals getrennten Reichen. Dem [End Page 251] so durch Kunst verwandelten Bewusstsein erscheint die Welt im Märchen wieder als eine einheitliche, ähnlich wie in den ästhetischen Briefen, wo es heißt: "Sobald es Licht wird in dem Menschen, ist auch außer ihm keine Nacht mehr, sobald es stille wird in ihm, legt sich auch der Sturm in dem Weltall, und die streitenden Kräfte der Natur finden Ruhe zwischen bleibenden Grenzen."64 Märchen und Briefe münden so, wie die Johannesoffenbarung, in die eschatologische Vision eines verwandelten Bewusstseins, vor dem auch die Welt in einer gänzlich neuen Form ersteht. In dieser Vision werden denn auch die intertextuellen Bezüge so deutlich, dass sie kaum mehr zu übersehen sind. Niggl schreibt über den Märchenschluss:

Der Tempel selbst, sein säulengeschmückter Vorhof und die auf Edelsteinen errichtete Brücke, wo unversehens "viele Tausende" hin- und herwogen, erinnern an das himmlische Jerusalem, dessen kubischer Bau auf zwölf Edelsteinen ruht und in das man "die Pracht und Herrlichkeit der Völker bringen" wird (Off. 21:16.19ff. 26). Auch daß die Alten überraschend verjüngt werden und so in neuer Ehe "in das folgende Jahrtausend hinüberleben" und daß die rohe Naturkraft des Riesen zum Obelisken, zum Zeiger einer Sonnenuhr kultiviert wird, die als voller Kreis auf dem Vorhof gezeichnet ist, läßt an die Ewigkeit des neuen Äons denken, in dem gleichfalls "alles neu gemacht" und "keine Nacht mehr sein wird."

(Off. 21:5.25f.)65

Allerdings deutet Niggl diesen Schluss verharmlosend als "Bild einer sich in Stufen entwickelnden und reifenden Erneuerung der kulturellen und politischen Welt dank der wachsenden Einsicht des Menschen in die Notwendigkeit eines gemeinsamen, für das Ganze verantwortlichen Handelns," wobei "jedes transzendente Moment der biblischen Vorlage außer Betracht" bleibe.66 Dies stimmt insofern, als im Märchen tatsächlich nicht der Zorn Gottes vom Himmel herabfährt und auch die kommende neue Welt nicht von oben herabsteigt, sondern von unten, aus dem Innersten und Unbewussten heraufkommt. Niggl übersieht jedoch, das dieses gereifte politische und soziale Denken, aus dem die neue goethesche Welt hervorgehen soll, nicht ein intellektueller Lernprozess im Sinne der Aufklärung sein kann, sondern— wie das Opfer der grünen Schlange zeigt—eine grundle gende Verwandlung des menschlichen Denk- und Wahrnehmungsvermögens, eine tatsächliche ästhetische Um-Erziehung des modernen Bewusstseins im Sinne Schillers erfordert. In Goethes Apokalypse bleibt das Transzendente keineswegs "außer Betracht," wie Niggl meint, es bricht mit voller Macht in die Immanenz hinein, allerdings nicht als Göttliches von außen, sondern als verborgenes Menschliches von innen heraus, nicht als brachiales Zorngericht, sondern als stille und doch radikale Verwandlung. Diese humanisierte und modernisierte Eschatologie des Märchens korrespondiert mit derjenigen der ästhetischen Briefe, in denen das Göttliche sich nicht "oben" im Himmel, sondern "innen" als zu verwirklichende Anlage im Menschen selbst verbirgt. "Die Anlage zu der Gottheit," schreibt Schiller, "trägt der Mensch unwidersprechlich in seiner Persönlichkeit in sich."67

Fassen wir zusammen: Apokalypse und Dichtung—das gehört für Goethe untrennbar zusammen. Das Apokalyptische war Goethe Medium ästhetischer Selbstvergewisserung und Spiegel seiner eigenen Auffassungen vom Wesen [End Page 252] und Zweck der Kunst als bewusstseins- und somit gesellschaftsverwandelndem Prozess. Was er als Künstler und Naturwissenschaftler anstrebte, nämlich die Überwindung der rein reflexiven Rationalität durch die Entwicklung einer ganzheitlichen "anschauenden Urteilskraft," einer "exakten sinnlichen Phantasie" im sozialen, politischen und wissenschaftlichen Denken, fand er im Text der Johannesoffenbarung und in anderen apokalyptisch gefärbten Passagen der Bibel wieder. Aber auch in Schillers ästhetischen Briefen fand er seine eigenen Gedanken wieder, "auf eine so zusammenhängende und edle Weise vorgetragen," dass er den "köstlichen, [seiner] Natur analogen Trank" willig herunterschlürfte.68 Folgerichtig nahm das poetische Bild, das er im Märchen von seiner Kunstauffassung zeichnete, sowohl apokalyptische Bilder als auch Schillersche Motive auf und verwandelte diese poetisch sich selbst an. Wie die antiken Apokalyptiker blickt auch Goethe hin auf die Möglichkeit, dass der Mensch aus der Offenbarung leben kann; nicht im Sinne einer Abhängigkeit von irgendwelchen religiösen, philosophischen oder wissenschaftlichen Dogmen, sondern im apokalyptischen Sinne einer direkten Kommunikation und Kommunion mit dem, "was die Welt im Innersten zusammenhält." Goethes Lebenswerk, dessen geistige Substanz im Märchen zum Ausdruck kommt, ist, wie Peter Hofmann jüngst aus Sicht des Theologen formulierte, eine umfassende "Wahrnehmungslehre," deren Gegenstand "die natürliche Wahrnehmung Gottes" ist69—wobei "Gott" nicht als das transzendente, "ganz Andere" verstanden wird, sondern als Chiffre jener verborgenen, seiner Offenbarung harrenden Immanenz, dessen Erkenntnis zugleich Erkenntnis des Menschen und der Natur ist. Um diese erregende Zukunftsperspektive geht es letzlich, nicht nur in der traditionellen Apokalyptik, sondern auch in der neuzeitlichen Apokalypse, die wir im Märchen vor uns haben. Goethe brachte sie auf den Punkt in den letzten Worten seines Nachrufes an den Freund und Geistesverwandten Schiller (BA 1:548):

Was kann der Mensch im Leben mehr gewinnenAls daß sich Gott-Natur ihm offenbare?

Christian Clement
Brigham Young University

Anmerkungen

1. Zit. n. Julius Wahle, "Auslegungen des Märchens," Goethe-Jahrbuch 25 (1904): 40 ff.

2. Friedrich Ohly, "Römisches und Biblisches in Goethes Märchen," Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 91 (1961): 165.

3. Irmtraud Schmidt, "Ein verschollenes Gegenstück zu Goethes Märchen," Goethe-Jahrbuch 94 (1977): 289f. Vergl. auch Peter Haff, "Das Horen-Märchen: Eine Replik auf Schillers Briefe über die ästhetische Erziehung," Geist und Zeichen: Festschrift für Arthur Henkel, Herbert Anton u.a. (Hg.) (Heidelberg: Winter, 1977) 21. Ebenso Katharina Mommsen, Goethes Märchen (Frankfurt: Insel, 1998) 195. Einzige Ausnahme hier ist Ohly: "Kein Leserwort nahm er [Goethe] so ernst wie das des Prinzen August von Gotha." Ohly 147. [End Page 253]

4. Ohly, "Römisches und Biblisches," 147–66.

5. Günther Niggl: Verantwortliches Handeln als Utopie? Überlegungen zu Goethes Märchen," Verantwortung und Utopie. Zur Literatur der Goethezeit. Wolfgang Wittkowski (Hg.) (Tübingen: 1988) 91–108.

6. Katharina Mommsen, "Zur Entstehung des Märchens von 1795," in Mommsen, Goethes Märchen (1998) 195.

7. Haff 321.

8. So etwa "die 'innere und äußere Naturgeschichte des Menschen,' den 'Gedanken von der natürlichen Verjüngung und Wiederherstellung,' die 'Geschichte menschlicher Kulturentwicklung' oder auch 'das ganze menschliche Seelenleben' … die politische Lage von 1795 oder die damaligen Weimarischen Verhältnisse … oder aber spätere politische Konstellationen, wie Vormärz und Reichsgründung." Niggl 91–108.

9. Rudolf Steiner, "Goethes geheime Offenbarung," Methodische Grundlagen der Anthroposophie, (Dornach: Steiner Verlag, 1989) 86–99.

10. Rudolf Steiner, "Die okkulte Grundlage in Goethes Schaffen," Philosophie und Anthroposophie: Gesammelte Aufsätze 1904–1923, (Dornach: Steiner Verlag 1984) 36.

11. Rudolf Steiner hat eine ganze Reihe von Veröffentlichungen zum Märchen herausgegeben. Die vorliegende Untersuchung kommt, obwohl sie von anderen Voraussetzungen ausgeht, in vielen Einzelheiten zu ähnlichen Ergebnissen wie Steiner. Ohne diese Gemeinsamkeiten immer im Detail zu benennen, seien hiermit dennoch Steiners detailierte Analysen als unschätzbare Vorarbeit für die hier vertretene Deutung des Märchens gewürdigt. Eine tiefergehende Darstellung findet sich bei Christian Clement, Die Geburt des modernen Mysteriendramas aus dem Geiste Weimars: Zur Aktualität Goethes und Schillers in der Dramaturgie Rudolf Steiners (Berlin: Logos, 2007).

12. Goethe an Lavater am 18. Oktober 1779 (WA 4.4:112).

13. WA 4.4:115–17. Aus diesem Brief geht übrigens auch hervor, dass Goethe sich zu diesem Zeitpunkt intensiv mit der Johannesoffenbarung auseinandersetzte, indem er den griechischen Urtext studierte und sich mit Piscators Übersetzung beschäftigte.

14. Goethe an Lavater am 2. November 1779 (WA 4.11:77).

15. Johann Bengel, Erklärte Offenbarung Johannes. Zit.n. Klaus Vondung, Die Apokalypse in Deutschland (München: dtv, 1988) 305 (Anm. 28).

16. Die Tatsache, dass Goethes Autorschaft dieses Textes heute von einigen Forschern als zweifelhaft angesehen wird, spricht nicht gegen unsere Deutung, hat doch Goethe selbst im Alter den Aufsatz als treffenden Ausdruck seiner damaligen Anschauungen anerkannt.

17. Rudolf Steiner, Goethes Geistesart in ihrer Offenbarung durch seinen Faust und durch das Märchen von der Schlange und der Lilie, (Dornach: Steiner Verlag, 1989) 65–84.

18. Steiner, Goethes Geistesart, 65–70.

19. Bernd Bräutigam, "Die ästhetische Erziehung der deutschen Ausgewanderten," Zeitschrift für deutsche Philologie 96 (1977): 508–39.

20. Bräutigam 539.

21. Haff (Anm.3) 321.

22. Katharina Mommsen, "'Märchen des Utopien,' Goethes Märchen und Schillers ästhetische Briefe," Literaturwissenscahft und Geistesgeschichte: Fs. Richard Brinckmann Jürgen Brummack u.a. (Hg.) (Tübingen: Niemeyer, 1981) 244–57. [End Page 254]

23. Mommsen (Anm. 22) 249.

24. Bernd Witte, "Das Opfer der Schlange: Zur Auseinandersetzung Goethes mit Schiller in den Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten und im Märchen, Unser Commercium. Goethes und Schillers Literaturpolitik, Wilfried Barner u.a. (Hg.) (Stuttgart: Cotta, 1984) 461–84.

25. Witte (Anm. 24) 472.

26. Witte (Anm. 24) 473.

27. Ulrich Gaier, "Soziale Bildung gegen ästhetische Erziehung: Goethes Rahmen der Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten als satirische Antithese zu Schillers ästhetischen Briefen I–IX," Poetische Autonomie? Zur Wechselwirkung von Dichtung und Philosophie in der Epoche Goethes und Hölderlins, Helmut Bachmeier u.a. (Hg.) (Stuttgart: Klett-Cotta, 1987) 202–72.

28. Gaier (Anm. 27) 207.

29. Bräutigam (Anm. 19) 536.

30. Bräutigam (Anm. 19) 536.

31. Goethe an Friedrich Heinrich Jacobi am 21. August 1774 (WA 4.2:187) Zit. n. Bräutigam (Anm.19) 536 (Fussnote 59)

32. "Ich hoffe, Sie zu überzeugen, daß diese Materie weit weniger dem Bedürfnis als dem Geschmack des Zeitalters fremd ist, ja daß man, um jenes politische Problem in der Erfahrung zu lösen, durch das ästhetische den Weg nehmen muß, weil es die Schönheit ist, durch welche man zu der Freiheit wandert." Friedrich Schiller, Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen, NA 20:312.

33. Joseph Beuys, Ein kurzes erstes Bild von dem Wirkungsfelde der sozialen Kunst (Düsseldorf: Fiu-Verlag, 1997) 17.

34. Rudolf Steiner, Die Rätsel der Philosophie (Dornach: Steiner Verlag, 1985) 203.

35. Rudolf Steiner, Einleitungen zu Goethes naturwissenschaftlichen Schriften. Zugleich eine Grundlegung der Geisteswissenschaft (Anthroposophie) 1884–1897 (Dornach: Steiner Verlag, 1987) insb. 134–40.

36. Zur Wiederentdeckung der Tatsache, dass "in Goethes Gesamtwerk Naturforschung und Dichtung eine Einheit bilden" Goethe-Handbuch (Stuttgart und Weimar: Metzler, 1998), siehe auch Karl J. Fink, Goethes History of Science (Cambridge: Cambridge UP 1972); George Wells, Goethe and the Development of Sciences, 1750–1900 (Alphen an den Rijn: Sijthoff & Noordhoff 1978); Karl Robert Mandelkopf, "Die Rezeption der naturwissenschaftlichen Schriften," Goethe in Deutschland: Rezeptionsgeschichte eines Klassikers (München: Beck, 1980) 1#:174–200; Peter Matussek, Goethe und die Verzeitlichung der Natur (München: Beck, 1998); Frederik Amrine, Goethe in the History of Science, (New York: Lang, 1996) (2 Bde.); Astrida Orle Tantillo, The Will to Create: Goethes Philosophy of Nature (Pittsburgh: Pittsburgh U P, 2002). Weitere Literatur über Goethes Einbettung in den wissenschaftlichen Kontext des 18. Jahrhunderts siehe bei Elisabeth Powers, "The Sublime, 'Über den Granit,' and the Prehistory of Goethe's Science," Goethe Yearbook 15 (2008): 35–56, vor allem Fussnoten 1–9.

37. Peter Hofmann, Goethes Theologie (Zürich: Schöningh, 2001).

38. Peter Sachtleben, Mit den Augen denken lernen. Einführung in die Naturstudien Goethes (Schaffhausen: Novalis Verlag, 1994).

39. Goethe an Charlotte Stein am 8. Jun 1787 (WA 4.8:233).

40. Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft, Werke in 10 Bänden, (Frankfurt 1977) 10:375, Anm. 29. [End Page 255] .

41. Steiner (Anm. 17) 84.

42. Schiller an Goethe am 29. August 1795. Zit. n. Mommsen (Anm. 6) 209.

43. Ilse Graham, "Transmigrations: Some Thoughts on Warum gabst du uns die tiefen Blicke," German Life and Letters 24 (1970): 24–53.

44. Ellis Dye, Love and Death in Goethe: "One and Double" (Rochester, NY: Camden House, 2004) 182–99.

45. Goethe, Selige Sehnsucht (BA 3:22).

46. Diether Gutzen, "Zur Poesie der Offenbarung des Johannes," Die Poesie der Apokalypse (Würzburg: Könighausen und Neumann, 1991) 43.

47. Für eine genauere Analyse des Proemiums siehe G.K. Beale, The Book of Revelation (Michigan: Paternoster Press, 1999) 181–86.

48. Off. 1:1 nach der Übersetzung Emil Bocks. Stuttgart: Urachhaus, 1985. Zugleich Textgrundlage aller weiteren Zitate aus der Johannesoffenbarung.

49. Vergl. Luk. 13:18, Mt. 13:31–33, Mk. 4:30–32.

50. Über diese poetische Arbeit mit biblischem und mythologischem Material schrieb der alte Goethe rückblickend: "Mir drückten sich gewisse große Motive, Legenden, uraltgeschichtlich Überliefertes so tief in den Sinn, daß ich sie vierzig bis fünfzig Jahre lebendig und wirksam im Innern erhielt; mir schien der schönste Besitz, solche werte Bilder oft in der Einbildungskraft erneut zu sehen, da sie sich denn zwar immer umgestalteten, doch, ohne sich zu verändern, einer reineren Form, einer entschiednern Darstellung entgegenreiften." (BA 16:387)

51. Off. 1:3, 22:10. Im Märchen erklingt das Wort tatsächlich fünfmal, davon dreimal jedoch in indirekter Rede.

52. "Das Märchen ist geheime Offenbarung, Weissagung aus einer Zeitenwende, auf Vergangenes und auf die Zukunft deutend aus der Gegenwart im Übergang." Ohly (n. 2)147.

53. Friedrich Schiller Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen. Werke in 5 Bänden. Darmstadt 1993, Bd. 5, S. 572.

54. Schiller, S. 588.

55. Rolf Wilhelm Brednich u.a. (Hg), Enzyklopädie des Märchens (Berlin/New York 1999) 1:829.

56. Schiller, S. 612–13.

57. Vergl. 2. Mos. 34:29ff.

58. Vergl. Off. 15:5–8, 21:1–5.

59. Ohly (n. 2), 149ff.

60. ebd.

61. "Jeder individuelle Mensch, kann man sagen, trägt, der Anlage und Bestimmung nach, einen reinen idealischen Menschen in sich, mit dessen unveränderlicher Einheit in allen seinen Abwechselungen übereinzustimmen die große Aufgabe seines Daseins ist." Schiller, S. 577.

62. "Der dynamische Staat kann die Gesellschaft bloß möglich machen, indem er die Natur durch Natur bezähmt; der ethische Staat kann sie bloß (moralisch) notwendig machen, indem er den einzelnen Willen dem allgemeinen unterwirft; der ästhetische Staat allein kann sie wirklich machen, weil er den Willen des Ganzen durch die Natur des Individuums vollzieht." Schiller, S. 667.

63. Schiller, S. 619. [End Page 256]

64. Schiller, S. 652.

65. Niggl (n. 4) 100.

66. Niggl (n. 4) 101.

67. Schiller, S. 602f.

68. Goethe an Schiller am 2. Okt. 1794 (WA 4.10:202).

69. Hofmann (2001), S. 25. [End Page 257]

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