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Reviewed by:
  • Kein Rettungsmittel als die Liebe: Schillers und Goethes Bündnis im Spiegel ihrer Dichtungen
  • Maria Giulia Carone
Katharina Mommsen, Kein Rettungsmittel als die Liebe: Schillers und Goethes Bündnis im Spiegel ihrer Dichtungen. Göttingen: Wallstein, 2010. 379 S.

Kenntnisreich, anregend und pointiert geschrieben, diese intelligente und imponierende Studie von Katharina Mommsen liest sich wie ein fesselnder Roman. Von Beginn an reißt sie den Leser in den unterhaltsamen Bann ihrer Untersuchung, ohne dabei auch nur im geringsten an wissenschaftlicher Sachlichkeit oder analytischer Evidenz einzubüßen. Stattdessen versteht es die Autorin, in vortrefflicher Weise den umfangreichen Stoff lebendig zu gestalten und verständlich zu vermitteln. Wie im Nachwort von Ute Maack vermerkt, setzt sich die Monographie aus einer Kollation früherer Aufsätze zusammen, die sich allesamt mit der zwischen den Dichtern insgeheim gepflegten “Fiktionalisierung homoerotischer Erfahrung” (18) beschäftigen und die, aufgrund des in der Vergangenheit noch auf Widerstand stoßenden Ansatzes, nun endlich zusammengetragen werden konnten. In sieben Kapitel gegliedert, setzt die Arbeit mit einer eingehenden Einleitung an und schließt mit einem beträchtlichen Anmerkungsapparat ab, der sämtliche Zitate im [End Page 281] Text weiterführend erörtert sowie vergleichende Literaturhinweise heranzieht. Im Anhang des Buches befindet sich nicht zuletzt eine vorteilhafte Zusammenstellung der in Erwägung gezogenen Gedichte.

“Lyrischer Dialog” (33) lautet die Überschrift des einleitenden Kapitels und verweist somit auf die poetisch sublimierten Zuneigungsbekenntnisse, die Goethe und Schiller miteinander auswechselten und die in zwölf thematisch verknüpften Abschnitten im Einzelnen ausgelegt werden. Mit Vorliebe für getreue Textnähe und überlegtem Spürsinn für hermetische Gedichtinhalte, was für eine gründliche und umfangreiche Kompetenz des Gesamtwerks beider Dichter spricht, vermag die Autorin, die getarnten Verlautbarungen ihrer Affinität, Bewunderung und Hingabe wortgewandt ans Licht zu führen. Dabei erspäht sie jenseits der rätselhaften Textsymbolik eine oftmals übersehene Erlebnisdichtung, die sie unter Heranziehung autobiographischer Entsprechungen einsichtig unter Beweis stellt. Diese werden durch Rekurs auf unzählige Zeugnisse—sei es in Form von Briefwechsel, Tagebucheintragungen, theoretischer Schriften sowie Anmerkungen Dritter, die sich in engem Umgang mit den Dichtern befanden— systematisch belegt, folgerichtig aufgegriffen und in ihre Überlegungen schlüssig miteinbezogen.

Goethes Nähe des Geliebten (ein mit den Abschiedsversen An die Erwählte verwandtes Gedicht) eröffnet die an Schiller gerichtete und vom “Winckelmannschen Freundesethos” (44) gestiftete Reihe von Liebesbotschaften, die sich die geistig Verbündeten über ein Jahrzehnt lang mit wohl bedachter Diskretion austauschten. Tatsächlich erkennt Mommsen hinter der “literarischen Camouflage” (18) die Absicht der Dichter. Das Geheimniß Schillers—von der Forschung bisher als “Liebesgedicht ohne persönlichen Anlaß” (78) geringschätzig abgetan—macht dabei ausdrücklich auf die Geheimhaltung aufmerksam, auf die die Dichter in ihren gegenseitigen Beteuerungen angewiesen waren.

Vom beständigen Wunsch getrieben, seine Italienreise wieder anzutreten, stellt das Sujet der Abreise eine Konstante der Gedichte dar, die Goethe Schiller verschlüsselt zudachte. Ein erstes Beispiel liefert die Elegie Alexis und Dora, deren allegorischer Gehalt einen ertragreichen Fundus an alternativen Auslegungsvarianten bietet, mit der die Autorin bestehende Interpretationsansätze souverän auseinandersetzt und ausspielt. Demnach sei beispielsweise in der Frauenfigur Doras ein “doppelte[r] Bezug” (50) des Dichters nicht nur auf Christiane, sondern viel wesentlicher auf Schiller erkennbar: “Auf eine den Freund besonders anrührende Weise hatte Goethe 1796 mit Alexis und Dora ein Liebesgedicht an Schiller gerichtet, hier unter dem fingierten Mädchennamen Dora” (79). Gleichsam stellt sich die “Liebeselegie” Der neue Pausias und sein Blumenmädchen, die während des musisch-schöpferischen Aufenthalts im Gartenhaus an der Leutra entstanden war, als “Dankgedicht an Schiller für die Zusammenarbeit an den [. . .] Xenien” (84) heraus. Die Annahme, dass sich hinter den weiblichen Gestalten das unvermutete Gegenbild der männlichen Dichterperson verberge, wirkt desto nahe liegender, “als die Gedichte ausnahmslos von der Liebe zwischen Mann und Frau sprechen” (33). Diese “poetische Maskerade” (33) wird nicht zuletzt am raffinierten Beispiel von Schillers Klage der Ceres veranschaulicht. Im Gegenwartsbezug auf die Auswanderung Goethes nach Italien, spielen die mythologischen Protagonistinnen, Ceres und Proserpina, auf den bevorstehenden Abschied der Kunstfreunde sowie auf das Vermächtnis ihrer überdauernden Verbundenheit an: “In der Gestalt der Proserpina hatte Goethe als Dichter schon früher einmal auf sich gedeutet” (55). [End Page...

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