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EHRHARD BAHR Ossian-Rezeption von Michael Denis bis Goethe: Ein Beitrag zur Geschichte des Primitivismus in Deutschland Die Ossian-Rezeption in der deutschen Literatur gehört zu den bekannten Fakten der Quellengeschichte der Leiden des jungen Werthers, und in den Werkkommentaren werden die bekannten Daten und Titel erwähnt, allerdings oft ohne erneute Überprüfung der Quellen und Fakten, wie Howard Gaskill moniert hat.1 In der Germanistik ist James Macpherson mit dem Odium des Literaturfälschers behaftet, und daran hat sich seit Herbert Schöfflers Aufsatz von 1941 nichts geändert.2 In der Anglistik hat sich dagegen eine Umwertung vollzogen, die von der Fiktion der Übersetzung aus dem Gallischen absieht und Macphersons Texte als eigenständige Dichtung auf Englisch zu schätzen weiß.3 James Macpherson (1736-1796) hatte 1760 als erstes die Fragments of Ancient Poetry, Collected in the Highlands of Scotland, and Translated from the Galic or Erse Language veröffentlicht. Es folgten 1762 Fingal. An Ancient Epic Poem in Six Books; Together with Several Other Poems, Composed by Ossian, the Son of Fingal, 1763 Temora: an Ancient Epic Poem, in eight books; together with several other Poems, composed by Ossian, und 1765 schließlich The Works of Ossian, the Son of Fingal, eine Gesamtausgabe in zwei Bänden. Sämtliche Ausgaben seit 1762 hatten im Titel den Zusatz: translated from the Galish language by James Macpherson. Der einzigartige Rezeptionserfolg dieser Texte nicht nur in England, sondern auch in Deutschland und Frankreich war von Anfang an mit dem Zweifel an ihrer Authentizität verbunden, aber erst 1805 gelang ein überzeugender Nachweis, dass Macphersons Übersetzungen zwar auf gallische Überlieferung, aber nicht auf gallische Manuskripte oder Aufzeichnungen von mündlichen Vorträgen zurückverfolgt werden konnte. Bei der Verteidigung von Macpherson spielte Hugh Blairs "Critical Dissertation on the Poems of Ossian" von 1763 eine große Rolle. Als Macphersons Mentor war Blair von der Authentizität der Texte überzeugt, und seine Schrift stellte die wichtigste Informationsquelle des 18. Jahrhunderts über Ossian und sein Zeitalter dar. In der sog. dritten Auflage der Works of Ossian von 1765 wurde Blairs "Critical Dissertation" mit abgedruckt und gehörte seitdem zum festen Bestandteil von Ossian-Ausgaben. Goethe Yearbook XII (2004) 2 Ehrhard Bahr Die folgenreiche deutsche Rezeption, die sich entscheidend für die Einführung des Primitivismus in Deutschland auswirkte, setzte mit der Ossian-Übersetzung von Johann Michael Denis aus dem Jahr 1768 ein. Unter Primitivismus wird hier der germanische und keltische Paganismus verstanden im Gegensatz zum ästhetischen Paganismus der klassischen Antike, wie er von Peter Gay4 und Henry C. Hatfield5 definiert worden ist. Johann Nepomuk Cosmas Michael Denis (1729-1800) war ein jesuitischer Priester, der an der Theresianischen Akademie in Wien Rhetorik und Literatur unterrichtete. Nach der Aufhebung des Jesuitenordens wurde er zum Hof bibliothekar ernannt. Der Titel seiner deutschen Übersetzung lautete : Die Gedichte Ossians eines alten celtischen Dichters aus dem Englischen übersetzt von M. Denis aus der G. [esellschaft]/. [esu]. Die ersten beiden Bände erschienen 1768, der dritte Band, der auch Hugh Blairs "Critical Dissertation" und eine lateinische Übersetzung vom Tode Oscars ("Mors Oscaris, Filii Carvthi") in Hexametern enthielt, im Jahr 1769 in Wien.6 Eine Kombination der Ossian-Übersetzungen und der eigenen Dichtungen von Michael Denis erschien dann 1784 in fünf Bänden unter dem Titel Ossians und Sineds Lieder bei Wappler in Wien (2. Auflage in sechs Bänden 1791-1792 bei IgnazAlberti in Wien). Die ersten vier Bände der 2. Auflage enthalten die Ossian-Übersetzungen nebst Macphersons zwei theoretischen Abhandlungen über Ossians Zeitalter in Band 1 und 2 und Hugo Blairs "Critical Dissertation" in Band 3 in deutscher Übersetzung . Außer der "Vorrede" und "An den Leser" in Band 1 sind folgende Abhandlungen von Denis in der zweiten Auflage abgedruckt: "Vom Gebrauche des Hexameters bey verschiedenen Völkern" in Band 4, "Vorbericht von der alten vaterländischen Dichtkunst" in Band 5 und "Gespräch von dem Werthe der Reime" in Band 6. Ferner enthalten Band 5 und 6 "Sineds Lieder," d. h., die Gedichte von Michael Denis, sowie "Prologe zu einem Lustspiele genannt der Vorwitzige." "Sineds Lieder" beginnen in Band 5 mit einem Gedicht "An Ossians Geist," darauf folgen eine Reihe von sogenannten Bardenliedern...

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