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  • The Quantum Exodus: Jewish Fugitives, the Atomic Bomb, and the Holocaust by Gordon Fraser
  • Fabian Link
The Quantum Exodus: Jewish Fugitives, the Atomic Bomb, and the Holocaust. By Gordon Fraser. Oxford: Oxford University Press, 2012. Pp. 267. Cloth $45.00. ISBN 978-0199592159.

Gordon Frasers Buch zur Geschichte der Quantenphysik im 20. Jahrhundert zeigt, welch massive globale Auswirkungen die NS-Herrschaft auf die Entwicklung von Wissenschaft und Gesellschaft im 20. Jahrhundert hatte. Hitlers antisemitische Hochschulpolitik und die von den Nationalsozialisten beabsichtigte Vernichtung jüdischen Lebens bewirkten, dass sich das Zentrum quantenphysikalischer Spitzenforschung von Deutschland in die Vereinigten Staaten verlagerte. Resultat dieses Prozesses war die Unterstützung der amerikanischen Militärpolitik durch vertriebene Quantenphysiker während des Zweiten Weltkriegs. Am Ende dieser Geschichte steht der Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki, zwei Ereignisse, die das Verhältnis von Wissenschaft, Ethik und Kriegsführung für immer veränderten. Die Atombombenabwürfe leiteten in die Ära des Kalten Kriegs über. Fortan sollte die polare Weltordnung zwischen den Supermächten Vereinigte Staaten und Sowjetunion von der Angst vor einem möglichen Nuklearschlag geprägt sein. Diese Entwicklung stellt Fraser konzise dar und richtet sich dabei an ein breites Publikum, das an Zeit- und Wissenschaftsgeschichte interessiert ist.

In den letzten Jahren haben größere Projekte zur Wissenschaftsgeschichte im Nationalsozialismus gezeigt, dass das Verhältnis von Wissenschaften und NS-Politik neu beurteilt werden muss. Zu nennen ist die mehrbändige Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (Göttingen, 2000-2007) sowie die Geschichte der Deutschen Forschungsgemeinschaft (Stuttgart, 2007-2012). Fraser bleibt hinter diesem Forschungsstand [End Page 718] zurück. Im Gegensatz zu den neueren Ansätzen in der Wissenschaftsgeschichte scheint er einen Begriff von Wissenschaft zu vertreten, der eine klare Trennung zwischen „richtiger Wissenschaft" und „Pseudowissenschaft" impliziert, wobei mit Pseudowissenschaft die naturwissenschaftliche Forschung im NS-Regime gemeint ist. Dies hat Konsequenzen für die Frage nach den wissenschaftlichen Umbrüchen, die durch den Exodus jüdischer Wissenschaftler und die Förderung deutscher, von den Nationalsozialisten als „arisch" beurteilter Forscher nach 1933 erfolgten. Die jüngeren Studien haben gezeigt, dass nach 1933 kaum von einem Niedergang der deutschen Naturwissenschaften zu sprechen ist, denn NS-Politiker benötigten wissenschaftliche Expertisen für politische Ziele. Dies zog großzügige Förderungen von natur- und technikwissenschaftlicher Forschung nach sich und ermöglichte deutschen Naturwissenschaftlern, ihre Forschungsfelder auszubauen.

Die Nationalsozialisten erscheinen bei Fraser dagegen durchgehend als wissenschaftsfeindlich, womit er die Attraktivität des NS-Regimes für Wissenschaftler unterschätzt. Es ist sicherlich unbestritten, dass die NS-Wissenschaftspolitik in der Konsolidierungsphase des Regimes von 1933 bis etwa Ende 1934 auf die quantenphysikalische Forschung in Deutschland eine abträgliche Wirkung hatte. Die Förderung von Anhängern der „Deutschen Physik" wie Johannes Stark und Philipp Lenard und die damit einhergehende Vertreibung von Physikern, die z. B. Einsteins Relativitätstheorie folgten, manövrierte die deutsche Physik in die Selbstisolation. Allerdings schwenkten NS-Wissenschaftspolitiker in der zweiten Hälfte der 1930er Jahren auf eine rationalere Förderpolitik ein, was durch Hermann Görings Verkündung des „Vierjahresplans" 1936 eingeleitet wurde und mit der Kriegsvorbereitung im Zusammenhang stand. Es wäre interessant gewesen genauer zu erfahren, welche Auswirkungen diese Entwicklung auf quantenphysikalisches Wissen hatte.

Nebst diesem Kritikpunkt ist Frasers Buch viel Positives abzugewinnen. Im Anschluss an die Exilforschung ist Fraser stärker als die Wissenschaftsgeschichte an den persönlichen Schicksalen einzelner Forscher wie Albert Einstein, Max Born oder Leo Szilard interessiert, die oftmals dramatisch waren. Dies spiegelt sich auch in der Auswahl seiner Quellen, die vor allem autobiografische Materialien umfassen. Methodisch behandelt Fraser die Lebenswege der exilierten Wissenschaftler als eine Kollektivbiografie, ohne dass dabei individuelle soziale Umstände und Entscheidungen unterbelichtet würden. Fraser legt die Schicksale deutsch- und österreichischjüdischer Physiker/innen in erfrischender Klarheit dar und übt scharfe Kritik am Verhalten deutscher Wissenschaftler wie Werner Heisenberg oder Max Planck. Obwohl mit der Politik der Nationalsozialisten kaum einverstanden, arrangierten sie sich mit dem NS-Regime und profitierten von der NS-Wissenschaftspolitik.

Frasers Darstellung des Verhältnisses von Juden zu den Naturwissenschaften im Allgemeinen und zur Quantenphysik im Besonderen ist gelungen. Gleichwohl die Lage von jüdischen Forscherinnen und Forschern an deutschen Universitäten [End Page 719] vor 1933 eine untergeordnete...

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