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Reviewed by:
  • Dissonant Lives: Generations and Violence through the German Dictatorships by Mary Fulbrook
  • Dorothee Wierling
Dissonant Lives: Generations and Violence through the German Dictatorships. By Mary Fulbrook. Oxford: Oxford University Press, 2011. Pp. xii + 515. Cloth $65.00. ISBN 978-0199287208.

Mary Fulbrook hat eine neue Geschichte des deutschen 20. Jahrhunderts geschrieben, eine Geschichte, die dieses Jahrhundert insgesamt als ein gewalttätiges definiert, bestimmt von Kriegen, Krisen, und zwei Diktaturen. Ihr Vorhaben beschreibt sie methodologisch als eine „history from within“ (479), wobei dieses Innen nicht nur das innerpsychische ist, sondern auch das innergesellschaftliche und eigentlich das innersystemische. Ihr geht es um das Zusammenwirken von politischen Herr-schaftsstrukturen, Gesellschaft und individuellen Erfahrungen, Selbstentwürfen und Handlungsräumen.

Diese individuelle Ebene ist ihr Ausgangspunkt, ihr Material. Im Zentrum stehen deshalb Egodokumente der unterschiedlichsten Herkunft: Tagebücher, Briefe, veröffentlichte und unveröffentlichte schriftliche autobiographische Texte sowie Interviews, die die Autorin selbst für das Vorhaben durchgeführt hat. Es geht nicht um Prominenz, sondern um „normale“ Menschen, die solche Zeugnisse hinterlassen haben. Die Erzählungen, Erinnerungen, Erfahrungen und Deutungen dessen, was den Protagonisten in diesem 20. Jahrhundert widerfahren ist, sind ihr Ausgangspunkt [End Page 221] für eine Geschichte von Herrschaft und Gewalt unter den von den Erzählern vorgefundenen historischen Bedingungen, innerhalb derer sie versuchen, ihr Leben zu gestalten und ihm Sinn zu geben. Indem sie dies tun, werden sie aber selbst, bewusst oder unbewusst, zu historischen Akteuren, wirken mit an der Bestätigung oder Veränderungen der Strukturen und Rahmenbedingungen, in denen sie sich einzurichten versuchten. Insofern besteht kein Widerspruch, sondern eine dauernde Wechselwirkung zwischen Strukturen und Individuen, zwischen Herrschaftssystemen und individuellen Erfahrungen. Dieses Konzept einer „history from within“ hat mit anderen Konzepten wie der Erfahrungsgeschichte oder der Oral History mehr gemein, als Fulbrook meint, denn Erfahrung und Erinnerung werden auch dort keineswegs als überwiegend individuelle, sondern als soziale Phänomene betrachtet, die mit der Sphäre des Gesellschaftlichen und Politischen eng verbunden sind und die durch Aufschichtung und Umdeutungen in der Zeit einem stetigen Wandel unterliegen und also selbst als historische Phänomene untersucht werden müssen.

Als Vermittlungskategorien zwischen den Individuen, die ihre Geschichte erzählen, und den gesellschaftlichen Strukturen und politischen Systemen, welche die Rahmenbedingungen der Geschichte bilden, dienen Fulbrook zwei Konzepte: Generation und Mobilisierung. Generation bezeichnet die (Selbst-)Verortung in der Zeit. Sie verweist allgemein darauf, dass „age matters“ (6), zeigt aber auch, dass es ganz bestimmte Kohorten sind, für die Geschichte wirksam wird und die in der Geschichte wirksam werden. Die zentralen Generationen in diesem qualitativen Sinn sind die Jahrgänge der um 1900 Geborenen, die den Ersten Weltkrieg „verpassten“ und statt dessen die „war youth generation“ bildeten, auch als erste Hitler-Jugend-Generation bezeichnet, weil sie zu den frühen, jungen Anhängern der NSDAP gehörten und die zweite HJ-Generation, von Fulbrook treffend als „1929ers“ definiert.

Beide Generationen erwiesen sich als besonders „available for mobilisation“ (12), und zwar die einen für die Nationalsozialisten, die anderen in ihrer Adoleszenz dann auch für den DDR-Sozialismus. Ihre Bereitschaft zur Mobilisierung hing mit ihren extremen, häufig traumatischen Erfahrungen zusammen, ihren Enttäuschungen, Verlusten und Verletzungen, d.h., sie waren selbst ein Produkt von gewalttätiger Geschichte. Damit wurden sie Ziel und Objekt von politischen und ideologischen Bewegungen, die sich ihrer für radikale gesellschaftliche Gegen- und Zukunftsentwürfe bedienten. Auf diese beiden Generationen kommt Fulbrook immer wieder zurück, und in der Tat sind sie für das deutsche 20. Jahrhundert, insbesondere seine gewalttätige erste Hälfte von zentraler Bedeutung.

Dieses Jahrhundert ist in der Darstellung Fulbrooks aber noch in anderer Weise zweigeteilt: Nach 1945 geht die Blockteilung der Welt mitten durch Deutschland und führt unter anderem dazu, dass nur die Menschen in dessen östlicher Hälfte einem Regime ausgesetzt sind, dass zwar einerseits radikal mit der Vergangenheit bricht, in anderer Weise aber auch fortsetzt, was diese schon kannten: eine Diktatur, die vor [End Page 222] allem in den ersten Jahren auch vor physischer Gewalt nicht zurückschreckt und insgesamt ihren umfassenden Kontrollanspruch bis zum Ende nicht aufgeben wird. Die 1929ers erleben hier ihre Konversion und erneute Mobilisierung zum Aufbau; danach tritt nur noch eine neue Generation im...

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