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  • Liebe, Lust und Last: Die Pille als weibliche Generationserfahrung in der Bundesrepublik 1960-1980
  • Georg Kastner
Liebe, Lust und Last: Die Pille als weibliche Generationserfahrung in der Bundesrepublik 1960–1980. By Eva Maria Silies. Göttingen: Wallstein, 2010. Pp. 484. Cloth €39.90. ISBN 978-3835306462.

Ist die „Pille“ die prägende Erfahrung einer Frauengeneration in der Bundesrepublik Deutschland? So lässt sich die Grundfrage der nun in Druck erschienenen Dissertation von Eva Maria Silies zusammenfassen. Silies stützt ihre Forschungen dabei auf einen beachtlichen Quellenfundus, der sich vorwiegend aus Zeitungsartikeln (rund 1.500), Statistiken, Umfrageergebnissen sowie Oral-History Interviews zusammensetzt. Dabei gelingt es ihr besonders im ersten Teil der Publikation sowohl die Entwicklung der „Pille“ an sich als auch ihre Rezeption in den 1960er Jahren in einer bislang unerreichten Kompaktheit darzustellen. Besonders eindrucksvoll ist zudem [End Page 219] die Beschreibung zahlreicher „Nebenfronten“ wie die Selbst- und Fremddefinition der bundesdeutschen Ärzteschaft, aber auch die Alltagsprobleme der „bundesdeutschen Frau“ an sich.

Das besondere Verdienst der Autorin ist es, gerade in diesem Bereich die Gratwanderung der Wissenschaftlichkeit, die bei einem derartigen Thema geradezu vorprogrammiert ist, nahezu vorbildlich zu meistern. Weder gleitet sie auch nur ansatzweise in den Voyeurismus ab, noch erhebt sie den moralischen Zeigefinger. Dies gelingt ihr besonders in einem ausführlichen Kapitel, das sich mit der Sichtweise der katholischen Kirche auseinandersetzt. Auch wenn ihre Beobachtungen hier den eigentlichen Forschungsgegenstand—die Bundesrepublik Deutschland—verlassen und sich Silies hier vornehmlich auf die Sicht des Vatikans konzentriert, ist dieser Bereich grundsätzlich als stimmig und streng wissenschaftlich zu bezeichnen, was angesichts der gerade während der Entstehung des Buches sehr breiten öffentlichen Debatte über eine „doppelte Sexualmoral“ im Bereich der katholischen Kirche, als beachtliche Leistung bezeichnet werden muss. Etwas kurz kommt in diesem Teil vielleicht die Analyse der Haltung der Deutschen Bischofskonferenz (v.a. der Königsteiner Erklärung) rund um die Entstehung der Enzyklika Humanae Vitae.

Den Oral-History-Teil, bezeichnet die Autorin selbst als nicht repräsentativ, da lediglich 17 Frauen befragt wurden, die zudem vorwiegend aus dem akademischen Milieu stammen. Er bietet also nur eine stark begrenzte Momentaufnahme. Auch wenn die von Silies angesprochene Herausforderung, ausreichend Frauen für Interviews zu finden, nachvollziehbar ist, so wirkt dieser Teil etwas unvollständig. Zum einen fehlt jene Generation, die am Ende des Beobachtungszeitraumes zu Erstnutzer dieses Verhütungsmittels wurden—die jüngste Interviewpartnerin war 1980 bereits 26 Jahre alt—zum anderen wäre gerade zumindest ein Mutter-Tochter-Interview von zwei Frauen die am Anfang und am Ende des Beobachtungszeitraumes stehen von erheblichem Interesse.

Der letzte Teil widmet sich der „Neuen Frauenbewegung“ der 1970er Jahre und räumt dieser überdurchschnittlich viel Raum ein. Auch wenn die Sichtweise dieser Gruppe, die praktisch mit den Argumenten der Pillengegner der 60er Jahre eine Rückkehr zur Natürlichkeit forderte und teilweise die gleichgeschlechtliche Liebe als Alternative zu hormonellen Verhütungsmittel propagierte, durchaus nicht uninteressant ist, so gibt auch die Autorin selbst mehrfach unumwunden zu, dass die Wirkung auf die Allgemeinheit weitgehend ausblieb, was die breite Beschreibung durchaus hinterfragenswert macht. Leider ausgespart bleiben über weite Strecken Sicht und Erfahrungen der Männer, die gerade von der Neuen Frauenbewegung mehrfach scharf kritisiert wurden.

Abgesehen von diesen Kritikpunkten muss aber festgehalten werden, dass Silies eine beachtenswerte Studie zur Gesellschaftsgeschichte der bundesdeutschen Nachkriegsgeneration erstellt hat. Liebe, Lust und Last bietet zudem einen idealen [End Page 220] Einstieg für weitere Forschungsprojekte zu diesem oder verwandten Themen: Hier böte sich ein Blick auf die Situation in der DDR ebenso an, wie ein Vergleich der Bundesrepublik mit den deutschsprachigen Nachbarstaaten Österreich und der Schweiz, die zwar von ähnlichen Medien beeinflusst, aber gerade in ihrer religiösen Zusammensetzung durchaus unterschiedlich sind.

Georg Kastner
Andrássy Universität Budapest
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