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  • Emotionstheater? Anmerkungen zum Spielgefühl
  • Julian Klein (bio)

Schauspieler spielen keine Gefühle, sondern Figuren, Situationen, Handlungen, Geschichten. Auf dieser Vorstellung gründen dennoch viele Studien der Gefühlsforschung. Es gibt jedoch in gewissem Sinn keinen wirklichen Unterschied zwischen ‘gespielten’ und ‘echten’ Gefühlen, im Gegenteil, wir können zwar spielen, um in Gefühle zu geraten, oder wir können Gefühle vortäuschen, obwohl wir sie nicht fühlen – letztlich aber lassen sich Gefühle nicht spielen, nur empfinden. Wir können uns in einem Spiel ärgern, oder wir können so tun, als ob wir uns ärgerten, aber wir können nicht ‘Ärgern spielen’ in dem gleichen Sinn, wie wir Mensch-ärgere-dich-nicht spielen oder die Revolutionsetüde oder Fußball oder Tybalt, gleichwohl wir uns in allen diesen Fällen sehr verärgert fühlen können.

Was jedoch ‘echte’ von ‘gespielten’ Gefühlen unterscheiden helfen kann, ist das Gefühl zu spielen, und dies nicht nur auf einer Theaterbühne. Im Gegenteil, ein solches ‘Spielgefühl’ kann sich auf jegliche Rahmung beziehen, in der wir uns jeweils bewegen. Oftmals, wenn Rahmen uns präsent oder gar bewusst werden, und sich in ihrer Kontingenz, Restriktion, Intentionalität oder Fiktionalität gleichsam materialisieren, haben wir (mehr oder weniger) das Gefühl, zu spielen oder andere spielen zu sehen. Das Spielgefühl kann in diesem Sinn alle befallen, Akteure genauso wie beteiligte oder unbeteiligte Zuschauer – denn letztlich handelt es sich um eine Modulation von Wahrnehmung, in der die Intentionalität aktiver Produktion von Rahmen und das Erleben der eigenen Perzeption in ihnen zusammenfallen.

Doch auch das Spielgefühl ermöglicht keine grundsätzliche Kategorisierung von Handlungen in ‘Spiel’ und ‘Nicht-Spiel’, denn als Modulation unserer Wahrnehmung kann es sehr schwach oder stärker sein, es kann spontan kurz aufflammen oder länger andauern, und kann individuell durchaus verschieden erlebt werden. In dem dynamischen Kontinuum zwischen Nicht-Spiel und Spiel, anders gesagt: zwischen Präsenz und Repräsentation lassen sich dennoch einige Symptome beschreiben, an denen verschiedene Farben des Spektrums des Spielgefühls unterschieden werden können.

Ich möchte dazu einige Überlegungen aus meiner künstlerischen Arbeit versammeln, die ich gerne tiefer durchdenken und diskutieren würde, um ihre Zusammenhänge und Konsequenzen zu klären. Viele Gedanken mögen dabei selbstverständlich, naheliegend oder gar banal erscheinen, aber gerade das Selbstverständliche, Naheliegende und Banale gerät nicht nur in der Theaterarbeit oft genug aus dem Blick, so dass es immer wieder neu bedenkenswert erscheint. Ich hoffe, dass von dieser ‘induktiven’ Methode auch die theoretische Diskussion profitieren kann.

Die Gefühle

Gefühle gehören zu den von jeher sehr vertrauten und gleichzeitig begrifflich letztlich unbestimmbaren Phänomenen.1 Dies zeigt auch unsere Schwierigkeit, über sie mit Menschen zu sprechen, die sie nicht aus eigenem Erleben kennen.2 Wenn wir überlegen, worin [End Page 77] Unterschiede liegen könnten zwischen ‘gespielten’ und ‘nicht gespielten’ Gefühlen, schmelzen diese Unterscheidungen schnell dahin und bilden ein buntes Kontinuum von Erlebensweisen, die ineinander übergehen.3

Vieles, was wir heute über Gefühle im Allgemeinen sagen können, ist jedenfalls mit Hilfe von Schauspielern untersucht worden – und zwar ohne dass ihr eigenes Erleben oft eine große Rolle gespielt hätte, denn die emotionale Wirkung von gespielten Szenen war zumeist von größerem Interesse als die Bedingung ihrer Herstellung.4 Zunehmend wird diese Praxis daher als vorschnell kritisiert.5 So gibt es Vorschläge, in psychologischen Studien doch statt der üblichen ‘geschauspielerten’ Emotionen lieber solche auf ihre Wirkung zu untersuchen, wie sie in den ubiquitären nachmittäglichen Real-TV-Shows gesendet werden.6 Doch in welchem Sinne sollen diese Gefühle weniger gespielt sein, nur weil es sich bei den Akteuren vermuteterweise nicht um professionelle Schauspieler handelt?

Denn auch tatsächlich empfundene Gefühle können zweifelsohne sehr gezielt eingesetzt werden, um bestimmte Wirkungen zu erreichen, und ihren performativen Charakter in dieser Wirkungsabsicht durchaus voll entfalten. Die Freude der Stürmer nach dem Tor verbindet sie mit den jubelnden Massen vor der Großleinwand.7 Auch negative Gefühle können performativ sehr mächtig sein – ‘Erpressung’ durch Gefühlsäußerungen ist ein Tatbestandteil in vielen Beziehungsgeschichten.

Grunds...

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