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Spinoza über Liebe und Erkenntnis Wolfgang Bartuschat, University of Hamburg Dem Affekt der Liebe kommt in Spinozas Theorie der Affekte eine besondere Bedeutung zu. Er ist der einzige Affekt, der sich in den Teilen III bis V der „Ethik“ durchhält, also durch das Ganze der Darlegung zur Theorie der Affekte, und er ist der einzige Affekt, mit dem Spinoza das Merkmal vernünftigen Einsehens (intelligere) so eng verknüpft, dass dieser Affekt durch Einsicht selbst definiert werden kann: amor intellectualis. Ich habe diesen Terminus ins Deutsche mit „geistige Liebe“ übersetzt. Denn in „geistig“ geht ein, dass die Liebe allein dem Geist (mens humana) angehört, nicht nur ein Affekt des Geistes ist (das sind für Spinoza alle Affekte, die er im 3. Teil seiner „Ethik“ vorstellt), sondern ein Affekt, der durch den Geist allein bestimmt ist. Ich möchte heute nicht das schwierige Problem des amor intellectualis erörtern, aber zeigen, inwiefern Spinozas Theorie durch die enge Verknüpfung von Liebe und Verstand zu dieser Art von Liebe hinführt. Ich beginne mit einer Erörterung der Stellung des Affekts der Liebe im Gefüge der Affekte, beginne also mit dem 3. Teil der „Ethik“, der überschrieben ist „De Origine et Natura Affectuum“ (Von dem Ursprung und der Natur der Affekte). In aller Kürze zusammengefasst, sieht Spinozas Theorie so aus: der Ursprung der Affekte ist der conatus perseverandi, das Streben nach Selbsterhaltung; die Natur der Affekte ergibt sich daraus, wie dieser conatus sich vollzieht. Aus dem conatus gewinnt Spinoza drei Kardinalaffekte und zwei aus ihnen direkt abgeleitete, die darin ebenfalls grundlegend sind; aus dem Vollzug des conatus gewinnt er alle übrigen Affekte. Das ist ein klares Deduktionsprogramm, das Spinoza ermöglicht , eine wissenschaftliche Theorie der Affekte zu geben, in der jeder Affekte einen bestimmten Ort hat, der es erlaubt, einen Affekt, in dem, was er ist, zu begreifen. Die Kardinalaffekte, die dem conatus perseverandi unmittelbar entspringen, sind cupiditas (Begierde), laetitia (Freude) und tristitia (Trauer). Begierde ist nichts als das Streben selbst, sofern es durch etwas Äußeres bestimmt wird, gegen das ein Individuum sich selbst zu erhalten strebt; sie ist weitgehend blind, ein natürlicher Trieb (appetitus), der jedem Seienden zukommt, der beim Menschen allerdings von einem Bewusstsein begleitet ist, das ihn das Streben in einer bestimmten Weise erfahren lässt. Wenn das Individuum in seinem Streben das, was zu ihm selbst gehört und was Spinoza die eigene Macht (potentia) nennt, gegenüber Einflüssen, die von Äußerem ausgehen, vergrößern kann, dann ist mit dieser Vergrößerung der Affekt der Freude verbunden; gelingt ihm dies nicht und wird die Macht verringert, dann ist damit der Affekt der Trauer verbunden. So ist es das Streben eines Individuums und die mit diesem Streben verbundene 69 05_Boros_Bartuschat.qxd 12/17/2007 2:25 PM Page 69 Steigerung oder Hemmung, die zu drei elementaren Affekten führen. Darin ist gelegen: 1. Affekte resultieren aus einer Spannung zwischen dem Streben, sich selbst zu erhalten, und einem Äußeren, gegen das die Selbsterhaltung zu realisieren ist. 2. Das Individuum hat eine natürliche Tendenz zu dem Affekt der Freude, weil Freude Steigerung bedeutet und Streben nach Selbsterhaltung bedeutet, die eigene Macht angesichts von Äußerem, das ein Individuum bedroht , zu steigern. Aus diesen beiden Momenten folgt: 1. Affekte sind abhängig von einem Äußerem, das die Wirkungsmacht eines Individuums entweder befördert oder behindert, indem es das Streben nach Selbsterhaltung steigert oder hemmt. Die das Streben eines Individuums charakterisierenden emotionalen Zustände Freude und Trauer haben somit zwangsläufig eine äußere Ursache. Daraus gewinnt Spinoza die beiden Affekte von Liebe und Haß: das Äußere, das Ursache der eigenen Machtsteigerung ist, wird geliebt, und konsequenterweise streben wir, dieses Äußere zu erhalten, dasjenige, das Ursache einer Machtminderung ist, wird gehasst, und konsequenterweise streben wir, dieses Äußere zu vernichten. Da Freude und Trauer ursprünglich im conatus gründen, dieser aber notwendigerweise in einer Relation zu Äußerem steht, gegen das er angeht, sind mit Freude und Trauer notwendigerweise die Affekte von Liebe und Hass verbunden . Liebe, so definiert Spinoza, ist Freude unter Begleitung der Idee einer äußeren Ursache (amor est laetitia concomitante idea causae externae, III, aff. def. 6). 2. Da der Mensch natürlicherweise auf Steigerung der eigenen Macht aus ist und damit auf Freude als emotionaler Ausdruck einer solchen Steigerung, wird er nicht nur das, was er liebt, zu erhalten suchen, sondern auch, generell, der Trauer zu entgehen suchen. Also wird er, so k...

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