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[18] Summarischer Syndikatsprozeß Einflüsse des kanonischen Rechts auf die städtische und kirchliche Gerichtspraxis des Spätmittelalters Susanne Lepsius n Herrscher und Recht: Die Problemstellung Die Bedeutung des kanonischen Rechts und der Kanonisten für das politische Denken im Mittelalter kann kaum überschätzt werden. Kenneth Pennington hat in wertvollen Untersuchungen gezeigt, wie die Kanonisten seit dem 12. Jahrhundert einerseitsdemHerrscherdieKompetenzzusprachen ,neuesRechtzusetzenunddasRecht insgesamt zu gewährleisten—also Herrschaft durch Recht zu legitimieren—, sie aber auch darum bemüht waren, eine allzu unbeschränkte Macht des Fürsten durch Recht einzuhegen.1 Nach gewichtigen mittelalterlichen Stimmen war der Herrscher sowohl durch naturrechtlich definierte Rechte der Menschen (etwa das Eigentumsrecht), als auch an die rechtssichernde Funktion des ordo iudiciarius, also an Verfahrensgrunds ätze (bei seinen Handlungen) gebunden.2 Die höchsten Rechtsprechungsinstanzen, Kaiser und Papst, konnten nicht einmal im summarischen Verfahren, das im Laufe des 13. Jahrhunderts zur Verfahrensbeschleunigung von Legisten und Kanonisten Hand in Hand entwickelt worden war, von den wesentlichen Verfahrensbestandteilen, die die 252 1. K. Pennington, ‘Law, Legislative Authority and Theories of Government, 1150–1300’, in: The Cambridge History of Medieval Political Thought c.350–c.1450, hg. v. J. H. Burns (Cambridge, New York und New Rochelle, NY 1988) 424–53. 2. K. Pennington, ‘Due Process, Community and the Prince in the Evolution of the “Ordo iudiciarius”,’ RIDC 9 (1998) 9–47; K. Pennington, The Prince and the Law, 1200–1600. Sovereignty and Rights in the Western Legal Tradition (Berkeley und Los Angeles 1993) 132–64. Zur Frage der Mitwirkungs- und Konsultationspflichten von Körperschaften als Begrenzung von Herrschaft, J. Brundage, Medieval Canon Law (London und New York 1995) 99–110. substantiellen Interessen der gegnerischen Prozeßpartei sicherstellten, abweichen.3 Die Herrschaftsausübung war vielfach rechtlich gebunden. Was aber sollte geschehen, wenn ein Herrschaftsträger diese Grenzen überschritt? Mittelalterliche Theoretiker richteten ihr Augenmerk vor allem auf die höchsten politischen Amtsinhaber, wobei sie meist die Herrschaftsform der Monarchie als beste Staatsform betrachteten. Folgerichtig diskutierten sie im Falle der Grenzüberschreitung durch den Monarchen, ob er dadurch zum Tyrannen werde, woran man einen tyrannischen Monarchen erkennen könne und ob und durch wen ein solcher Tyrann abzusetzen sei.4 Im Bann derartiger theoretischer Schriften hat die moderne Forschungsliteratur die kommunale Rechtspraxis im spätmittelalterlichen Italien häufig vernachlässigt. In den italienischen Kommunen stand der Aspekt der Selbstherrschaft, also unabh ängig von den überörtlichen, monarchischen Herrschern zu sein, im Vordergrund. Daneben fanden sich dort bereits zukunftsweisende, bürokratische Merkmale der Herrschaftsorganisation, bei der es auch um Fragen der Umverteilung von Macht ging.5 In dieser Umgebung entstand der Syndikatsprozeß als ein standardisierter Mechanismus nachträglicher Herrschaftskontrolle durch städtische Institutionen. Der Syndikatsproze ß konnte während oder üblicherweise erst nach Ablauf der turnusmäßigen Amtszeit der gewählten Amtsträger stattfinden, um die Tätigkeit der Amtsträger auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen und ihre Herrschaft an das Recht zu binden. Er war also ein juristisches Mittel der politischen Praxis. Ob der Syndikatsprozeß auf römische Quellen zurückzuführen ist oder eine originäre Entwicklung der italienischen Kommunen war, soll hier nicht weiter verfolgt werden.6 Uns interessiert vielmehr 3. Pennington, The Prince and the Law 187–200. 4. Einen Überblick über die Theoretiker, die sich mit den Fragen von Königsabsetzung und Tyrannenmord auseinandersetzten, also von der Monarchie her argumentierten, bei J. Dunbabin, ‘Government’, in: The Cambridge History of Medieval Political Thought 477–519. Zur berühmten Auseinandersetzung zwischen Kaiser Heinrich VII. und Papst Clemens V., die den Hintergrund für die legistischen Debatten um Mindeststandards für Rechtsverfahren auch im summarischen Prozeß bildete, Pennington, The Prince and the Law 165–201; idem, ‘Henry VII and Robert of Naples’, in: Das Publikum politischer Theorie im 14. Jahrhundert, hg. v. J. Miethke und A. Bühler (München 1992) 81–92. 5. J. Quillet, ‘Community, Counsel and Representation’, in: The Cambridge History of Medieval Political Thought 520–72, 525–30. Zur Bedeutung des Syndikatsprozesses für das Herrschaftsverständnis in den mittelalterlichen italienischen Kommunen A. Padoa-Schioppa, Il diritto nella Storia d’Europa. Il medioevo (Mailand 1995) 214; K. Nehlsen–von Stryk, ‘Entstehung und Entwicklung der italienischen Kommunen (11. bis 14. Jahrhundert )’, Rechtshistorisches Journal 15 (1996) 349–59, 355. 6. Die römischen Wurzeln betonen W. Engelmann, Die Wiedergeburt der Rechtskultur in Italien durch die wissenschaftliche Lehre. Eine Darlegung der Entfaltung des gemeinen italienischen Rechts und seiner Justizkultur im Mittelalter unter dem Einfluß der herrschenden Lehre der Gutachtenpraxis der Rechtsgelehrten und der Verantwortung der Richter...

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