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  • Aktualität und Beliebtheit. Neue Forschung und Rezeption von Stefan Zweig im internationalen Blickwinkel by Yi Zhang, Mark H. Gelber
  • Gregor Thuswaldner
Yi Zhang und Mark H. Gelber, Hrsg., Aktualität und Beliebtheit. Neue Forschung und Rezeption von Stefan Zweig im internationalen Blickwinkel. Würzburg: Königshausen & Neumann, 2015. 268 S.

Seit einem knappen Jahrzehnt häufen sich literaturwissenschaft liche Publikationen zu Stefan Zweigs Werk. Vorbei sind die Zeiten, als man sich noch rechtfertigen musste, warum man Texte eines angeblich zweitklassigen Autors untersucht, den man als Erfolgsautor abgestempelt hat und dessen “Schachnovelle” man vielleicht noch als Schullektüre durchgehen lässt. Maßgeblich beteiligt an der Zweig-Renaissance, die zu einem differenzierten Verständnis von Zweigs Werken geführt hat, ist der an der Ben-Gurion-Universität in Israel lehrende Germanist Mark H. Gelber. Seit Jahrzehnten beschäftigt sich Gelber erfreulich unapologetisch mit Zweig. Seine vielen Aufsätze und Buchveröffentlichungen zu Zweig sind zurecht Standardwerke der Forschungsliteratur geworden.

Im Jahr 2012 war Gelber an einer Zweig-Konferenz an der Renmin Universität in China beteiligt, deren Sammelband er nun mit Zhang Yi herausgegeben hat. Zweig, so erfährt man, gehört in China zu den meistrezipierten deutschsprachigen Autoren überhaupt. Im Rahmen der Konferenz wurden auch Neuübersetzungen ins Chinesische, darunter ein Zweig-Lesebuch, präsentiert. Zweigs Erfolg in China habe nach Zhang Yi mit Zweigs Schreibstil einerseits und der chinesischen Politik andererseits zu tun, die besonders an Zweigs Kritik am Faschismus und Nationalsozialismus interessiert sei. Besonders erhellend ist Arnhilt Johanna Hoefles Beitrag, der die komplexe Rezeptionsgeschichte von Zweigs Novellen “Die Gouvernante” und “Brief einer Unbekannten” in China nachzeichnet. Hoefle macht darin deutlich, dass man auch den englischsprachigen und besonders den russischen Kontext mitreflektieren muss, um die Rezeption in China besser zu verstehen.

Der Titel des Bandes Aktualität und Beliebtheit trifft den Punkt, dokumentiert der Band doch eindringlich, dass Zweigs Oeuvre auch in Teilen Asiens höchst populär ist. Die Essaysammlung unterscheidet sich jedoch grundlegend von anderen Tagungsbänden, die sich mit Zweigs Werken befassen. Bei vielen Aufsätzen handelt es sich nämlich um textimmanente Interpretationen, die [End Page 127] versuchen, ohne literaturtheoretische und historisch-politische Verankerungen auszukommen. Wenn ausnahmsweise auf Forschungsliteratur verwiesen wird, handelt es sich zumeist um ältere Quellen, die teilweise aus DDRZeiten stammen. Das hat vermutlich damit zu tun, dass erstens chinesische Germanistikabteilungen kaum über Sekundärliteratursammlungen verfügen und zweitens unpolitische Interpretationen, die sich nur auf den Text konzentrieren, als regimefreundlich angesehen werden. Das Ergebnis bleibt daher unter den Erwartungen, die man als Germanist in der westlichen Welt hat, wenn es um literaturwissenschaftliche Arbeiten geht. (Auch dem Verlagslektor hätte man einen besseren Blick gewünscht.) Interpretationen wie Zhang Yans Essay über Zweigs Legenden oder Wang Beibeis Aufsatz zu Zweigs Humanismus erscheinen floskelhaft und oberflächlich. Ein besserer Essay stammt von Ren Guoqiang, der den gesellschaftlichen Hintergrund von Zweigs Novellen und Romanen betonen will. Zwar hat Ren Guoqiang recht, dass man über psychologische bzw. psychoanalytische Perspektiven hinausgehen sollte, doch fehlt auch diesem Essay die Auseinandersetzung mit dem literatur- und kulturhistorischen Kontext von Zweigs Werken. Da die textimmanenten Essays des Bandes keine neuen Ansätze aufweisen, werden sie wohl kaum die Zweig-Forschung beeinflussen. Die Aufsatzsammlung hält aber auch andere Texte bereit, die sich nicht mit textimmanenten Interpretationen begnügen. Dazu gehört der Essay des japanischen Germanisten Naoji Kimura, der Zweigs Verhältnis zu Goethe untersucht. Kimura weist darauf hin, dass Zweig in Japan heute kaum mehr rezipiert wird, da man dessen Werke als veraltet betrachtet. Über den Umweg über Goethe fand der Goethe-Spezialist Kimura allerdings einen Weg zu Zweig. In seinem Aufsatz entdeckt Kimura Ähnlichkeiten zwischen den beiden Schriftstellern, wie z.B. deren Vorliebe für Biographisches, allerdings wäre es wünschenswert gewesen, diese Parallelen näher auszuführen.

Mark Gelber untersucht und würdigt in seinem Beitrag Zweigs Leistung als kultureller Vermittler. Besonders interessiert ihn dabei Zweigs Konzept der Weltliteratur, wobei Gelber den von David Damrosch neu formulierten Begriff Weltliteratur aufgreift, der auch die internationale Literaturvermittlung umfasst. Einer der spannendsten Texte, die der Band bereithält, ist Margarete Wagners Aufsatz, der den Einfluss von Max Schelers Mitleidsethik auf Zweigs Ungeduld des Herzens zum Gegenstand hat...

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