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Reviewed by:
  • Hermann-BrochHandbuch ed. by Michael Kessler and Paul Michael Lützeler
  • Martin Klebes
Michael Kessler und Paul Michael Lützeler, Hrsg., Hermann-BrochHandbuch. Berlin: De Gruyter, 2016. 670 S.

Welche Rezeptionsgeschichte müssen ein Autor und sein Werk hinter sich haben, um zum Gegenstand eines umfangreichen Handbuches zu werden? Und welche Funktion(en) hat ein solches Handbuch? Elfriede Jelinek, die vier Jahre alt war, als Broch 1951 starb, war letzterem mit einem ihr gewidmeten Handbuch (hg. von Pia Janke, rezensiert in Journal of Austrian Studies 48:4) dennoch um drei Jahre voraus. Am Nobelpreis, den sie ihrerseits 2004 erhielt, wäre auch Broch interessiert gewesen (wie Briefwechsel zeigen), jedoch bekam er ihn nie zugesprochen (40). Thomas Mann, Nobelpreisträger des Jahres 1929, hat seit 2015 bereits das zweite deutschsprachige Handbuch (hg. von Andreas Blödorn und Friedhelm Marx) auf dem Kontor—ein sinnbildhafter Vorsprung Broch gegenüber, wenn man die deutliche Differenz bedenkt, die das jeweilige Renommee beider im amerikanischen Exil (und darüber hinaus) trennte, obgleich beide einander kannten und respektierten (515–17). [End Page 169]

Mag Broch nie eine solche Breitenwirkung wie Kafkas oder Thomas Mann gefunden haben und, wie Gunther Martens in seinem Forschungsbericht anmerkt, bislang keine Forschungseinrichtung seinem Werk gewidmet worden sein (542), so haben die literarischen und theoretischen Werke Brochs dennoch ein nachhaltiges internationales Echo gezeitigt. Das BrochHandbuch zeigt dies sowohl inhaltlich wie auch anhand der Liste der beitragenden AutorInnen aus sieben verschiedenen Ländern. Martens erwähnt treffend den zirkulären Effekt einer nicht simpliciter anzunehmenden Vertrautheit mit Broch, was in der Forschung dazu führt, "dass sehr viel Wissen über den Autor nicht vorausgesetzt, sondern immer wieder neu aufgerollt werden muss" (541). Eine der primären Funktionen dieses Handbuchs ergibt sich direkt aus dieser Diagnose: das von der Forschung erarbeitete biographische und interpretatorische Wissen an einem Ort versammelt bereitzustellen, um eine neue Voraussetzungslage zu schaffen. Dies betrifft zum einen das Leben Brochs und seine biographischen Verbindungen zu zahlreichen Intellektuellen seiner Zeit. Kein Forscher weiß mehr über die Einzelheiten von Brochs Leben zu berichten als der Mitherausgeber des Handbuchs, Paul Michael Lützeler, und wer sich nicht an die 400 Seiten seiner vor 30 Jahren vorgelegten Brochbiographie herantraut, dem bieten die 50 einleitenden Seiten des Handbuchs einen nuancierten Einblick in Brochs Leben sowie einen ersten Überblick über das Nachleben von Brochs Werk seit den fünfziger Jahren. Ebenfalls zum biographischen Teil zählt das von Michael Kessler zusammengestellte nützliche alphabetische Verzeichnis kurzer Lebensdaten von allen wesentlichen Freunden und Bekannten Brochs,—ob bekannt oder beinahe vergessen—das die Lektüre von Sekundärliteratur oder Brochs Briefwerk, welche von vielen dieser Namen durchzogen sind, erleichtert. Das Briefwerk selbst wird in späteren Kapiteln thematisiert, wo deutlich wird, in welchem Maße eine Rekonstruktion von Brochs verzweigtem Denken und Schreiben von einer Lektüre seines von ihm oft bis zur Erschöpfung betriebenen Briefverkehrs profitieren kann.

Brochs Romanen sowie dem späten Zyklus Die Schuldlosen wird jeweils ein eigenes Kapitel in Artikellänge gewidmet, und den Autoren gelingt hier durchweg der Balanceakt zwischen inhaltlicher Zusammenfassung, interpretatorischer Akzentsetzung und einem Aufzeigen von Kontexten. So betont Stephen Dowden die Rolle der Kunst in den Schlafwandlern, während Barbara Mahlmann Bauers Kapitel über Die Verzauberung ausführlich auf den Mythologie-Diskurs und Brochs Verhältnis zu Nietzsche eingeht. Jürgen [End Page 170] Heizmanns Eintrag zu Der Tod des Vergil macht diesen komplexen Text zugänglich durch eine Anbindung formaler Aspekte an ethische Fragen, die in Brochs späterem Werk sein literarisches Schreiben nicht nur überlagern, sondern dieses auch strukturieren helfen.

Brochs theoretische Schriften sind insgesamt weniger bekannt als seine Romane, und so ist es ein Verdienst des Handbuches, diesem Teil seines Werks 150 Seiten einzuräumen, auf denen zwar nicht jeder Essay Brochs einzeln verhandelt werden kann, aber doch die Schwerpunkte seiner theoretischen Arbeit herausgestellt werden können, wie in der Werkausgabe geordnet nach den Gebieten Philosophie, Literatur/Kunst/Kultur und Politik. Alice Stašková erläutert unter anderem die Rolle der Begriffe von Stil, Ornament und Kitsch, sowie Brochs Haltung zu nichtliterarischen Kunstformen. Thomas Borgards Beitrag zu Brochs philosophischen Essays betont vor allem das Weiterwirken des Neukantianismus bei Broch und die Konflikte, in welche dieses...

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