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  • Im Modus der Gabe / In the Mode of Giving. Theater, Kunst Performance in der Gegenwart / Theater, Art, Performance in the Present. ed. by Ingrid Hentschel, Una H. Moehrke and Klaus Hoffmann
  • Katharina Keim (bio)
Ingrid Hentschel, Una H. Moehrke, Klaus Hoffmann (Hrsg.). Im Modus der Gabe / In the Mode of Giving. Theater, Kunst Performance in der Gegenwart / Theater, Art, Performance in the Present. Bielefeld: Kerber Verlag, 2011, 207Seiten.

Dieser Tagungsband basiert auf einem im Juni 2010 am Zentrum für interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld veranstalteten Symposium „Konzepte der Gabe in der Gegenwartskunst“. Das programmatische Modell von ‚Kunst als Gabe‘ dient hier als Dispositiv für ethisch-ästhetische Gegendiskurse zur allgegenwärtigen Ökonomisierung darstellender und bildender Kunst. Mit dem fast allen Beiträgen gemeinsamen Beharren auf der aufklärerischen Idee ästhetischer Autonomie wird eine vorschnelle Vereinnahmung der Kunstpraxis für aktuelle sozio-kulturelle und bildungspolitische Zwecke grundlegend in Frage gestellt. [End Page 112]

Neben der kunsttheoretischen Annäherung an das Konzept der Gabe unternimmt der Band zumindest ansatzweise auch den Versuch, der gegenseitigen Bedingtheit von Kunstwissenschaften und künstlerischer Praxis i. S. einer pratice based research Gestalt zu verleihen. Allerdings beschränken sich die Darlegungen zahlreicher praktischer Projekte nicht selten auf eine kurze Konzeptbeschreibung und Fotodokumentation. Darin zeigt sich indirekt auch die generelle Schwierigkeit, körperliche Performanz und Inter-aktionsphänomene in das Medium der Wissenschaftssprache zu bannen. Besonders von internationalen bzw. interreligiösen Kunstprojekten, wie dem von Klaus Hoffmann allzu knapp präsentierten Theatre for a Change aus Ghana und der Performance Wishuponastar Smadar Yaarons vom israelischen Acco Theater, würde man sich ausführlichere Beschreibungen wünschen. Hanne Seitz gelingt es hingegen in ihrer Darstellung von This Baby Doll will be a Junkie–einer Wiener Intervention im öffentlichen Raum von Ulrike Möntmann über die Biographien drogenabhängiger Frauen–den bisweilen zwiespältigen Charakter von Kunst als gesellschaftlich verstörender, „giftiger Gabe“ (S. 95) aus der Doppelperspektive ästhetischer Theorie und Praxis zu erhellen. Auch Christine Biehlers Projektpräsentation Landarbeit 07, eine mehrjährige Gemeinschaftsaktion professioneller Künstler mit Hildesheimer Studierenden und Bewohnern des niedersächsischen Dorfs Heinde, vermittelt einen umfassenden Eindruck vom Austausch zwischen traditioneller Dorfkultur und Kunst bei der Realisierung einer ephemeren, sozialen Skulptur im ländlichen Raum.

Den theoretischen Bezugspunkt des Modells von ‚Kunst als Gabe‘ bildet vor allem Marcel Mauss’ Essai sur le don, in dem der Gabentausch als ein umfassendes kulturtheoretisches Paradigma analysiert wird. In den Beiträgen von Gerhard Stamer und Klaus Lichtblau werden die Differenzen zwischen der außerhalb des ökonomischen Kreislaufs stehenden, durch Reziprozität gekennzeichneten ‚Gabe‘ und der Logik des kapitalistischen Äquivalententauschs, systematisch und historisch untersucht. Erst mit der juristischen Verankerung der ‚Schenkung‘ ohne Verpflichtung zur Gegengabe, wie etwa im Bürgerlichen Gesetzbuch seit 1900, ist deren Ein-seitigkeit und die damit verbundene Abgrenzung von Warentausch und Kauf rechtlich definiert. Die Ökonomie des Gabentauschs zielt primär auf Etablierung bzw. Aufrechterhaltung sozialer Beziehungen innerhalb eines Kollektivs bzw. zwischen benachbarten Gemeinschaften. Dadurch unterscheidet sie sich vom individuellen, auf ‚Berechenbarkeit‘ ausgelegten, modernen gesellschaftlichen Warentausch. Wie Lichtblau im Anschluss an die jüngere Mauss-Rezeption ausführt, ist das ethnologische Konzept der prinzipiell reziproken Gabe von der einseitigen ‚reinen‘ oder ‚authentischen Gabe‘ unterschieden. Letztere beruht stets auf einer–mit der Vorstellung eines ursprünglichen Gottes verknüpften–Schöpfungstheologie. Diese These wird an späterer Stelle auch von dem praktischen Theologen Gerhard Marcel Martin bekräftigt. Anhand von Beispielen religiöser bzw. religiös inspirierter Kunst aus verschiedenen Weltreligionen verweist er auf die strukturelle Verwandtschaft zwischen theologischen Schöpfungsmythen und künstlerischen Schöpfungsprozessen.

Aus ethnologischer Sicht verbindet sich mit der Gabe hingegen stets ein, wenn auch verhülltes, soziales ‚Interesse‘, nämlich die Anknüpfung bzw. dauerhafte Aufrechterhaltung sozialer Beziehungen. Analog hierzu, so Lichtblau, erschöpfe sich auch die gesellschaftliche Bedeutung moderner Kunst weder in der ökonomischen Verwertbarkeit noch seien künstlerische ‚Gabe‘ oder ‚Begabung‘ auf–letztlich religiös fundierte–einseitige Schöpfungsprozesse reduzierbar. Automatisch rücken dabei Fragen zur Kunstrezeption und -kritik in den Vordergrund. Hier hätte sich, gerade im Hinblick auf den fast allen Beiträgen zu Grunde liegenden ästhetischen Autonomieanspruch, eine Bezugnahme auf neuere Konzepte der relationalen Ästhetik, wie sie etwa von Nicolas Bourriaud...

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