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  • The Faustian Century: German Literature and Culture in the Age of Luther and Faustus ed. by J.M. van der Laan, Andrew Weeks
  • Jost Hermand
The Faustian Century: German Literature and Culture in the Age of Luther and Faustus.
Edited by J.M. van der Laan and Andrew Weeks. Rochester, NY: Camden House, 2013. xii + 399 pages + 12 b/w illustrations. $90.00.

Es gibt wissenschaftliche Werke, in denen vornehmlich die bisherigen Erkenntnisse zu einem seit langem als bedeutsam eingeschätzten Werk auf den letzten Stand der Forschung gebracht werden. Dies ist ein derartiges Kompendium, in dem 13 Autoren und Autorinnen allen nur denkbaren ideengeschichtlichen Aspekten jener 1587 von Johann Spies anonym herausgegebenen Historia von D. Johann Fausten / dem weitbeschreyten Zauberer und Schwarzkünstler nachzugehen versuchen. Mit bewundernswerter Sachkenntnis und zugleich akribischer Gründlichkeit bleibt dabei nichts unberücksichtigt, weder die theologischen und ästhetischen noch die mystischen, magischen, dämonologischen, alchemistischen, nekromantischen, antiautoritären, geographischen, genrespezifischen oder narratologischen Interpretationsmöglichkeiten dieses höchst widerspruchsvollen, sich als populäres „Volksbuch" ausgebenden Werks. Und auch auf mannigfache, zum Teil höchst aufschlussreiche Querverweise auf vergleichbare Autoren wie Heinrich Agrippa von Nettesheim, Jakob Böhme, Andreas Osiander, Paracelsus, Johannes Trithemius, Valentin Weigel und Hermann Witekind wird keineswegs verzichtet. Daher wirkt das Ganze beim ersten Durchblättern eher wie ein „grundgelahrtes" Nachschlagewerk als ein lesbares Buch. Manche der in die hier behandelte Thematik nicht bereits eingeweihten Leser werden deshalb durch die in diesen Aufsätzen gebotene Informationsfülle, die überbordenden Fußnoten, die umfangreiche Bibliographie, die chronologisch angelegten Übersichtstabellen und das ausführliche Sachregister erst einmal abgeschreckt werden.

Dennoch sollten sie nicht von vornherein verzagen. Schließlich liegt dem Ganzen eine höchst bemerkenswerte These zugrunde, die durchaus zur Diskussion anreizt. Fast wie eine Chaconne versucht nämlich dieses Buch in immer neuen und doch gleichbleibenden Variationen die Behauptung zu belegen, dass diese Historia trotz aller literarischen Schwächen das bedeutsamste Werk der deutschsprachigen Literatur des 16. Jahrhunderts sei, das heißt einer Literatur, die – jedenfalls im Vergleich zur französischen, englischen, italienischen und spanischen aus dem gleichen Zeitraum – [End Page 278] ansonsten kaum etwas Bemerkenswertes aufzuweisen habe. Und zwar bemühen sich fast alle Beiträger und Beiträgerinnen dieses Bandes, diese These weniger mit ästhetischen als mit geisteswissenschaftlichen Kriterien zu beweisen, indem sie die Figur des besagten D. Johann Faustus als einen der wichtigsten Prototypen jenes „frühneuzeitlichen Menschen" zu charakterisieren versuchen, dessen Schwanken zwischen Gott und Welt, zwischen Glauben und Wissen, zwischen rationalistischem Erkenntnistrieb und astrologischer Scharlatanerie viele der späteren Autoren – von Marlowe über Goethe bis hin zu Thomas Mann – immer wieder fasziniert habe.

All das wirkt überzeugend und lässt sich angesichts der dafür aufgebrachten Belege schwerlich von der Hand weisen. Was mir dabei fraglich erscheint, ist lediglich die These, das 16. Jahrhundert im Hinblick auf die in diesem Buch behandelte Themenstellung als ein schlechthin „faustisches Saeculum" zu bezeichnen. Ideengeschichte hin, Ideengeschichte her, und mag sie noch so sehr ins heute übliche Kulturgeschichtliche ausgeweitet werden: für einen an der gesellschaftswissenschaftlichen Sehweise Hans-Ulrich Wehlers geschulten Historiker ist das 16. Jahrhundert nicht nur eine Ära der Reformation und der Gegenreformation, das heißt der antipäpstlichen Traktate und Flugschriften, der Hexenprozesse und der jesuitischen „Propaganda fidei", sondern auch und vor allem das Jahrhundert der gescheiterten Bauernaufstände, der krassen Unbildung der Unterschichten, von denen 80 Prozent weder lesen noch schreiben konnten, des wirtschaftlichen und kulturellen Aufstiegs der Freien Reichsstädte und schließlich – nach dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 – zugleich die Zeit des Beginns jenes fürstlichen Autonomiestrebens, das unter Berufung auf die Maxime „Cuius regio, eius religio" zusehends ins Absolutistische tendierte. Doch seien wir nicht unfair. Eine stärkere Berücksichtigung derartiger Gesichtspunkte hätte den ohnehin schon weitgesteckten Rahmen der in diesem Buch anvisierten Thematik sicher überfordert.

Und noch ein Einwand zum Schluss: ich hätte nicht nur den zwar griffig klingenden, aber letztlich unkonkreten Terminus des „faustischen Jahrhunderts" vermieden, sondern auch darauf verzichtet, den Protagonisten dieser Historia in seinem höchst komplex dargestellten Zwiespalt zwischen Glauben und Wissen als einen „Vorläufer der Moderne" zu bezeichnen. Denn welche Moderne ist damit gemeint: die Frühe Neuzeit, die weltbürgerliche Gesinnung der...

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