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  • Schreiben an den Grenzen der Sprache. Studien zu Améry, Kertész, Semprún, Schalamow, Herta Müller und Aub von Marisa Siguan
  • Klaus Berghahn
Schreiben an den Grenzen der Sprache. Studien zu Améry, Kertész, Semprún, Schalamow, Herta Müller und Aub.
Von Marisa Siguan. Berlin; Boston: de Gruyter, 2014. viii + 352 Seiten. €99,95.

Dass sich die Verbrechen des Zweiten Weltkriegs kaum darstellen lassen, da die Sprache an ihre Grenzen stößt oder verstummt, ist ein inzwischen vertrauter Topos der Holocaust-Forschung. Ihm widmet die Autorin eine ausführliche Einleitung, und er wird das zentrale Motiv ihrer Darstellung, das sie am Ende unter der Lemma „Unsagbar sagbar“ nochmals zusammenfasst. Doch beschränkt sie sich nicht auf den Holocaust-Diskurs, sondern erweitert ihn um Erfahrungen anderer Autoren mit Diktaturen des 20. Jahrhunderts. Diese komparatistischen Studien sind das besondere Verdienst dieser Arbeit.

„Schweigen ist verboten, Sprechen ist unmöglich“ (3). Mit dieser Aporie umschreibt Elie Wiesel die Schwierigkeiten, dennoch über den Holocaust zu schreiben. Diese Paradoxie ist das Thema der Einleitung, in der die Autorin resümiert, was seit den sechziger Jahren über die Darstellbarkeit des Holocaust geschrieben wurde, vor allem über den Unsagbarkeitstopos, gegen den die Autoren anschrieben. Hier werden die vielfältigen poetologischen Probleme der Erinnerungsliteratur behandelt, also unterschiedliche Erzählperspektiven in der Verarbeitung traumatischer Erfahrungen, Autofiktion und Gedächtnis, Schwierigkeiten bei der Darstellung von Leiden und Tod. Es folgen monographische Studien zu sechs europäischen Autoren, für welche die Verbrechen des 20. Jahrhunderts ihre bestimmende Lebenserfahrung wurden.

Jean Améry (1912-1978) war ein assimilierter österreichischer Jude, der bis zu seinem 19. Lebensjahr nicht einmal wusste, dass er Jude war; der Name ist ein Pseudonym, das er sich erst nach dem Zweiten Weltkrieg in Belgien zulegte. Erst die Nürnberger Rassengesetze und der Anschluss Österreichs machten ihn zum Juden; ab 1938 war er auf der Flucht vor den Nazis. In Belgien schloss er sich dem kommunistischen Widerstand an und wurde 1943 von der Gestapo verhaftet. Damit begann sein Leidensweg durch die Konzentrationslager, von Fort Breendonk, wo er sechs Monate lang gefesselt in Einzelhaft verbrachte und gefoltert wurde, über Auschwitz nach Buchenwald und Bergen-Belsen, wo er 1945 von den Engländern befreit wurde. In den nächsten Jahren betätigte er sich als Journalist, der Reportagen für Schweizer Zeitschriften schrieb, und er begann, autobiographische Romane zu entwerfen, die sich immer wieder mit der „Reise um den Tod“, so der Titel einer Erzählung, beschäftigten. Doch erst seine Essaysammlung Jenseits von Schuld und Sühne, die durch [End Page 152] den Frankfurter Auschwitzprozess angeregt wurde, machte den Vierundfünfzigjährigen 1966 berühmt. Die immer wieder erinnerte Tortur der Folter in Breendonk und die erlebte Todesnähe in den Lagern ließ ihn nicht mehr los, und er beging 1978 Selbstmord, wie Primo Levi.

Imre Kertész wurde 1929 in Budapest in einer jüdischen Familie geboren. 1944 wurde er nach Auschwitz deportiert, von dort nach Buchenwald und anschließend in ein weiteres Konzentrationslager nach Rehmsdorf bei Zeitz. Seine Befreiung erlebte er wiederum in Buchenwald in einer Krankenbaracke. 1945 kehrt er nach Budapest zurück. Er wurde Journalist und Fabrikarbeiter. Nach der Absolvierung des Wehr-¨ dienstes (1951–53) begann er, als Ubersetzer und freier Schriftsteller zu arbeiten. Sein Roman eines Schicksallosen, an dem er dreizehn Jahre arbeitete, erschien erst 1975, fand aber zunächst kein Echo. Erst die zweite Auflage machte ihn bekannt. Die Er-zählungen des Spurensuchers (1977) sind eine Suche nach einer vergangenen und verlorenen Zeit, die scheitert, da er keine Spuren findet, welche die Vergangenheit wieder lebendig machen – auch nicht bei seinem Besuch in Auschwitz. Dennoch muss er darüber schreiben, gegen das Vergessen anschreiben. Für die Sprache nach Auschwitz prägt Kertész den Begriff „Atonalität“, um die Absurdität des Überlebens zu beschreiben. Sie ist der Versuch, auf den harmonisierenden Grundton der Tradition zu verzichten. Das Konzentrationslager Buchenwald liegt zwar in der Nähe Weimars, aber mit Goethes Sprache ist es nicht mehr beschreibbar. 2002 erhielt Kertész für sein umfangreiches Gesamtwerk den Nobelpreis für Literatur.

Jorge Semprún (1923–2012) stammt aus einer großbürgerlichen Familie Madrids, die unter K...

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