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  • Klang – Bild – Sprache. Musikalisch-akustische Konfigurationen in der Literatur und im Film der Gegenwart by Von Ulrich Schönherr
  • Marcel Krings
Klang – Bild – Sprache. Musikalisch-akustische Konfigurationen in der Literatur und im Film der Gegenwart.
Von Ulrich Schönherr. Bielefeld: Aisthesis, 2014. 192 Seiten. €29,80.

In der Literaturwissenschaft ist die schriftliche Repräsentation akustischer Phänomene lange vernachlässigt worden. Abgesehen von der Musiknovelle, die schon qua Gattung das Problem symbolischer Relevanz und graphematischer Übertragung von Klängen stellt, hat die Forschung in Sachen literarisch kodierter Wahrnehmung geraume Zeit am alten Primat des Visuellen festgehalten. Dabei hatte schon Herders Sprachursprungsschrift auf die zentrale Rolle des Ohrs bei der Welterschließung hingewiesen und eine akroamatische (zuhörende) Kunst eingefordert, die als phonographischer [End Page 714] Apparat der Verschriftlichung des Akustisch-Auditiven Rechnung tragen sollte (vgl. Marcel Krings, Hg.: Phono-Graphien. Akustische Wahrnehmung in der deutschsprachigen Literatur von 1800 bis zur Gegenwart, Würzburg 2011, 11f. [Anm. d. Hg.: Siehe Rezension dieses Bandes in Monatshefte 105.2, Sommer 2013, 334– 336]). Doch obwohl noch Plessners Kulturanthropologie und Heideggers existentiale Hermeneutik auf der Polyphonie der ,Weltpartitur‘ beharrt hatten und mit dem Siegeszug der technischen Medien (Phonograph, Radio, Film, Musikindustrie) längst eine neue Kultur des Hörens entstanden war, leiteten – je nach Gusto – erst Derridas Begriff des Phonozentrismus, dann medientheoretische Erwägungen zur ,sekundären Oralität‘ oder Raymond Schafers Konzept der soundscape (aus The Tuning of the World, engl. 1977) eine ,akustische Wende‘ in den Kulturund Literaturwissenschaften ein. Inzwischen liegen immer zahlreichere Untersuchungen zur akustischauditiven Thematik vor, die sich in Methode und Gegenstand kaum mehr überblicken lassen.

In diesen Rahmen schreibt sich auch Ulrich Schönherrs Buch ein. Seine sechs elegant geschriebenen und gut lesbaren, dabei aber leider ein wenig schlecht lektorierten Kapitel basieren auf vorab erschienenen Artikeln des Autors und gehen auditiven Figurationen in folgenden Werken nach: den Erzähltexten Gert Jonkes (1970er bis 2000er Jahre), Peter Handkes Versuch über die Jukebox (1990), Edgar Reitz’ Film Die Zweite Heimat (1992), George Perecs auf Deutsch verfasstem Hörspiel Die Maschine (1967/68), Wim Wenders’ Lisbon Story (1994) und Marcel Beyers Flughunde (1995). Scheint der Begriff der Gegenwart großzügig ausgelegt, so bietet das Buch auch im Methodischen ein breites Spektrum von Ansätzen (semiotisch, gendertheoretisch, kulturwissenschaftlich, psychoanalytisch) – ebenso wie die untersuchten Medien durchaus heterogen sind (Film, Hörspiel, Prosatext). Die Auswahl, die einschlägig bekannte Werke an unbekanntere reiht, deutsche oder deutschsprachige Autoren neben Perec, den Franzosen, stellt, findet sich nirgends eigens begründet. Wenn man die lockere Kapitelfolge gemäß der vorangestellten Einleitung als Variationen auf das Thema ,Musik und Literatur‘ lesen soll, kann man sich fragen, was dagegen gesprochen hätte, etwa Peter Webers Die melodielosen Jahre einzubeziehen oder die Klanggedichte Thomas Klings. Wie immer: Nahezu erschöpfend ist die Wechselbeziehung der beiden Künste in der Forschung behandelt worden (vgl. den Forschungsüberblick in Steven Paul Scher: Literatur und Musik, Berlin 1984).

Auch Schönherr reiht die bekannten Stationen als kursorischen Überblick aneinander, der freilich unter einem gendertheoretischem Blickwinkel auf den – männlich-rationalen – Herrschaftsansprüchen gegenüber einer als ,,Bedrohung der etablierten Ordnung“ (160) empfundenen weiblichen Singstimme insistiert: Homers Sirenen, der Orpheus-Mythos, Platons Musikkritik der Politeia, die Heraufkunft der hohen Gesangsstimme im 16./17. Jahrhundert, die ,absolute‘ Musik der Romantik, schließlich die fetischisierende Trennung von Stimme und Körper durch die Aufzeichnungsmedien zu Beginn des 20. Jahrhunderts werden erinnert. Zudem versieht Schönherr sein Thema mit einem ,,medialen Schwerpunkt“ (7) und leitet aus dem Gesangsaspekt für einige Kapitel eine ,,philosophische, semiotische und psychoanalytische Theorie der Stimme und des Hörens“ (36) ab. Auch hier stützt sich der Autor auf seit einigen Jahren vorliegende, z. T. großangelegte Studien (vgl. Zwischen Rauschen und Offenbarung. Zur Kulturund Mediengeschichte der Stimme, hg. v. Friedrich Kittler et. al., Berlin 2002, vgl. außerdem Karl-Heinz Göttert: Geschichte der Stimme, München [End Page 715] 1998 und Bettine Menke: Prosopopoiia. Stimme und Text bei Brentano, Hoffmann, Kleist und Kafka, München 2000). Zuweilen wirkt seine ,gegenderte‘ Musik- und Literaturanalyse bei aller Plausibilität freilich überpointiert. Dass sich das Gesangsverbot in Hoffmanns Rat Krespel nur als männliche ,,Pathologisierungsstrategie des weiblichen Körpers“ und ,,Domestizierung“ (27...

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