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  • Die Wahlverwandtschaften: Eine Dokumentation der Wirkung von Goethes Roman, 1808–1832by Heinz Haertl
  • Ehrhard Bahr
Heinz Haertl, Hrsg., Die Wahlverwandtschaften:Eine Dokumentation der Wirkung von Goethes Roman, 1808–1832. Reprint der Erstausgabe mit neuen Funden als Anhang und mit Vorwort von Jochen Golz. Schriften der Goethe-Gesellschaft, Bd. 76, hrsg. von Jochen Golz. Göttingen: Wallstein, 2013. 563 S., 17 Abbildungen.

Man braucht kein Freund von Theodor W. Adorno zu sein, um mit ihm übereinzustimmen, dass “der Doppelcharakter der Kunst [sich] als autonom und als fait social [mitteilt]” ( Ästhetische Theorie, 16). In der Geschichte der Literatur ist unter den faits sociauxdie zeitgenössische Rezeption zu verstehen, die in der Goethe-Forschung in zahlreichen Handbüchern und Bibliographien erfasst ist. Bei dem vorliegenden Titel handelt es sich um einen Reprint der Erstausgabe, die 1983 im Akademie-Verlag Berlin erschienen ist. Diese Ausgabe ist inzwischen vergriffen. Es ist der Goethe-Gesellschaft zu verdanken, dass sie den Reprint mit einem Anhang neuer Funde von rund 40 Seiten in ihre Schriftenreihe aufgenommen hat. Damit ist die Rezeption der Wahlverwandtschaftenauf den letzten Stand gebracht und einer neuen Generation von Wissenschaftlern zugänglich gemacht.

Heinz Härtl, Herausgeber der historisch-kritischen Ausgabe von Ludwig Achim von Arnims Werken und Briefen, hat mit der Textdarbietung, den Anmerkungen zu den Texten, dem Verzeichnis der Bildquellen und dem ausführ-lichen Personenregister ein vorbildliches Standardwerk der Forschung geschaffen. Auch Goethes Kommentare zu seinem Roman sind eingearbeitet, um die [End Page 270]Steuerung der Rezeption seines Werks zu dokumentieren. Unter den neuen Texten zur Ergänzung der Erstausgabe sind besonders die Aussagen von Johann Gottfried Schadow und Arthur Schopenhauer hervorzuheben. Schadow bestätigte dem Autor, dass der Zweck des Romans schien, “die Heiligkeit der Ehe darzuthun” (537), während Schopenhauer sich Notizen über das chemische Gleichnis machte (536). Besonders aufschlussreich ist die Dokumentation des Werther-Effekts der Wahlverwandtschaften: in einer anonymen Anfrage an die Zeitung für die elegante Weltin Leipzig erkundigte man sich, ob Henriette Vogel und Heinrich von Kleist, die im November 1811 zusammen Selbstmord begingen, “kurz vor ihrem Hintritt noch die Wahlverwandtschaftengelesen haben” (526). Man glaubte, dass Ottiliens Tod zur Nachahmung geführt habe. Theodor Körner kommentierte Kleists Selbstmord mit einem Zitat aus dem Roman: “Es giebt Fälle, wo jeder Trost niederträchtig, und die Verzweiflung Pflicht ist” (526). Man sprach von “Wahlverwandtschafts-Ausspähern,” die auf der Suche nach trivialen Parallelen waren (527). Doch gab es auch eine Serie von positiven und negativen ästhetischen und moraltheologischen Urteilen, wie z. B. von Heinrich Voß, der ein Rezensionsangebot mit den Worten ablehnte: “Entweder meisterhaft oder gar nicht” (508). Oder von Friedrich Heinrich Jacobi, der in einem Brief an Friedrich Köppen vom 12. Januar 1810 von der “Himmelfahrt der bösen Lust” sprach (113). Besonders die längeren Rezensionen in den führenden Zeitschriften, wie z. B. dem Morgenblatt für gebildete Stände, der Allgemeinen Literatur-Zeitung, oder der Jenaischen Allgemeinen Literatur-Zeitung, verdienen eine neue kritische Bearbeitung unter dem Gesichtspunkt der sich formierenden Kunstautonomie der klassisch-romantischen Literatur. Dazu ist Heinz Härtls Dokumentation unentbehrlich. Dieser Band gehört in den Bücherschrank eines jeden Goetheforschers.

Ehrhard Bahr
University of California, Los Angeles

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