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Reviewed by:
  • Romanisches Erzählen: Peter Handke und die epische Tradition by Thorsten Carstensen
  • Heike Polster
Thorsten Carstensen, Romanisches Erzählen: Peter Handke und die epische Tradition. Göttingen: Wallstein Verlag, 2013. 400 S.

Obwohl sich Thorsten Carstensen im Titel seiner Untersuchung auf Handkes Spätwerk bezieht, hat er mit dieser überarbeiteten Dissertation eine anspruchsvolle Untersuchung zur gesamten literarischen Entwicklung von Peter Handkes geliefert. Carstensens Bestreben, Handkes Poetik des epischen Erzählens werkhistorisch und—immanent zu belegen, ist durch eine detailierte Erläuterung der Zusammenhänge von Bildhaftigkeit und Zeitverständnis gelungen. Er hat sich erfolgreich der Herausforderung gestellt, die in Handkes Werk immer wiederkehrenden Motive und Bilder aufzulösen, um den Autor in dessen selbstgeschaffenen Mythos zu verorten, ohne jedoch dabei kritische Distanz zum Untersuchungsgegenstand einzubüßen.

Leserfreundlich belegt Carstensen den “Paradigmenwechsel fort von den Dingen und hin zu den Menschen” (365), den er bereits im frühen Werk des Autors angedeutet findet. Um den ästhetischen und thematischen Horizont von Handkes Spätwerk aufzuzeigen, beginnt Carstensens Analyse mit der Lebens- und Schreibkrise Ende der Siebziger Jahre. Souverän bringt er Handkes literarische Programmatik auf den Punkt. Der Autor, so erklärt er, ist bestrebt, den Dingen “mit einem geduldigen, langsamen Blick zu begegnen und sie anschließend im wiederholenden Akt des Erzählens, das immer auch als Meditation über die Limitationen des eigenen Anspruchs gestaltet ist, zur Entfaltung zu bringen: Hierin besteht die Aufgabe einer Literatur, die jenseits realistischer Weltbeschreibung auch ethische Fragen aufwerfen will” (17).

Carstensens Methodik orientiert sich an der Analyse dreier Aspekte des Handkeschen epischen Erzählens: Zuerst erläutert er Handkes phänomenologische Wahrnehmung, dann dessen geschichtsphilosophische Reflexion, und schließlich die ästhetische Selbstvergewisserung des Autors, die allesamt zu einem Gebilde zusammengefügt werden, das “Innen- und Außenwelt zur langen Dauer verschmilzt” (10). Anhand des Begriffs der longue durée identifiziert Carstensen die visuellen und literarisch-zeitphilosophischen Ansatzpunkte Handkes und belegt dessen Rückkehr zum klassischen Schreiben mit dem Begriff des romanischen Erzählens. Dabei widersteht er der Gefahr, durch Momente der programmatischen Richtungswechsel das Werk des Autors in Schaff ensphasen einzuteilen. Stattdessen geht Carstensen von einer “Neuerung des epischen Stils” aus, die er mit den Journalen der Jahre 1987–1990 belegt. Hier entwickelt Handke die poetologische Neuausrichtung seines [End Page 154] literarischen Schaffens, die sich fortan an der romanischen Architektur und Baukunst orientieren soll. Als Beispiele werden szenische Kapitelle und monumentale Figurenportale von Kreuzgängen in Frankreich und Spanien genannt. In ihr erkennt der Autor ein Vorbild für eine “Epik, die alte Geschichten für die Erzählung der Gegenwart mobilisiert und dabei Aspekte wie Gleichmaß und Harmonie beherzigt” (19). In ihr sieht er auch jene Formen und Strukturgesetze verinnerlicht, “die der Epiker für sein Schreibprojekt herbeisehnt, wird sie von nun an zum Spiegel, in dem Handke Geschichten, Menschen und Natur betrachtet.” In den romanischen Szenerien sieht Handke die Zeit verräumlicht, da Geschichten nicht linear, “sondern durch Konstellation von analogen oder simultanen Ereignissen erzählt werden” (ebd). Carstensens besondere Leistung besteht in der Analyse der Methodik, die Handke verwendet, um in seiner Epik Dauer zu erzeugen. Das “augenfällige Bildprogramm” der romanischen Skulptur setzt “an die Stelle eines traditionellen Plots traumartige Bilderfolgen” (ebd). Hier ist Carstensen am Kern der Handkeschen Poetik angelangt: Die Wahrnehmungs- und Schreibstrategien des Spätwerks werden in eine “Poetik des Ortes” überführt, die auf der Vorstellung basiert, dass eine Geschichte, wie Handke es in Am Felsfenster morgens (und andere Ortszeiten) mit deutlichem Verweis auf Bachtins Begriff des “Chronotopos” formuliert, “jetzt und in einer legendären Zeit” spielen muss. Obwohl Handkes Erzählungen in der Gegenwart angesiedelt sind, so Carstensen, arbeiten sie jedoch gleichzeitig mit “mythischen Strukturelementen, um ihre Figuren als ‘Stellvertreter des Allgemeinen’ innerhalb einer langen Dauer zu verorten” (23).

Die unentwegte Auseinandersetzung mit der epischen Tradition erkennt Carstensen in den “metafiktionalen, mitunter parodistischen und letztlich unabschließbaren” Erzählprojekten, wobei er bemerkt, dass der Versuch eines reinen epischen Erzählens “kaum je über das Studium der Ankündigung hinauskommt” (22). Dennoch wird in dieser Untersuchung die thematische und poetische Entfaltung in Handkes Spätwerk exemplarisch dargelegt. Besonders gelungen dabei ist die Darstellung von Handkes Suche nach dem, wie Carstensen es nennt, “Moment stiller, aufmerksamer...

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