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  • Auditive Medienkulturen: Techniken des Hörens und Praktiken der Klanggestaltung ed. by Axel Volmar and Jens Schröter
  • Rolf J. Goebel
Auditive Medienkulturen: Techniken des Hörens und Praktiken der Klanggestaltung. Edited by Axel Volmar and Jens Schröter. Bielefeld: transcript, 2013. Pp. 457. Paper €35.80. ISBN 978-3837616866.

Seit geraumer Zeit haben sich die Sound Studies, die sich von traditionell text-zentrierten Paradigmen (Hermeneutik, Dekonstruktion, Narratologie) bzw. visuell fokussierten Disziplinen (Bildwissenschaft, Filmstudien u.a.) abzugrenzen suchen, als wichtiges Teilgebiet der Kulturwissenschaften legitimiert. Der vorliegende Band bietet einen vorzüglichen Überblick der Perspektiven deutschsprachiger WissenschaftlerInnen, der auch Nichtspezialisten eine Einführung in Themen, Fragestellungen, theoretische Ansätze und praxisnahe Realisierungen gibt. Der weitgespannte Rahmen reicht von Medienexperimenten Galileis (Daniel Gethmann) und Karl Bühlers Experimenten zum „Klanggesicht” (Cornelia Epping-Jäger) bis zur Recording Culture der Beatles (Volkmar Kramarz), Pierre Schaeffers Musique Concrète (Jan Philip Müller), [End Page 232] der Ästhetik des Radios und des Hörspiels (Golo Föllmer, Bettina Wodianka) und der Bioakustik (Judith Willkomm).

Der Begriff der auditiven Medienkulturen besagt, dass nicht einfach (individuellsubjektive) Wahrnehmungen von Klangphänomenen zu untersuchen sind, sondern „Klänge im jeweiligen Kontext historisch und lokal spezifischer Praktiken in Netzwerken aus Personen, Zeichen und Technologien” (10). Damit wird der entscheidende Schritt vom mediendeterministischen Apriori der Klang(re-)produktionstechnologien ins umfassendere kulturell-gesellschaftliche Territorium vollzogen. Von Jonathan Sterne (The Audible Past, 2003) übernehmen die Herausgeber erweiternd die Kritik an der sogenannten audiovisuellen Litanei, also einer quasi-ontologisierenden, historische Kontingenzen verschleiernden Privilegierung des Visuellen vor dem Auditiven, etwa in der Annahme, dass der Klang flüchtig, subjektiv innerlich, immateriell geistig und zeitlich erfahrbar, das Bild dagegen beständig, objektiv-distanziert, rational und räumlich lokalisierbar sei (12–14). Freilich setzt sich die Dekonstruktion dieser Litanei nicht automatisch in die wissenschaftspraktische Emanzipierung der Sound Studies um. Nicht nur kann eigentlich (noch?) nicht von einer „sonischen Wende” gesprochen werden (9), wobei zu überlegen wäre, ob dies angesichts der Vielfalt und Interaktivität sprachlicher, visueller und auditiver Medien überhaupt ein erstrebenswertes Ziel der Forschung ist. Aber mit oder ohne sonischem turn können die Kulturwissenschaften sich nur langsam von der Vorherrschaft des Visuellen und deren Diskursformationen lösen. Wohl um diese Emanzipierung voranzutreiben, schreibt Friedrich Kittler, dessen Arbeiten im deutschsprachigen Raum bekanntlich bahnbrechend für die Rehabilitierung der Klangreproduktion durch technische Mediendispositive im Gegensatz zur klassisch-romantischen Einbildungskraft und zu optischen Aufzeichnungsapparaturen sind, apodiktisch: „Im Unterschied zu allen anderen Künsten, die ja nur Räume oder Flächen mit Gebilden oder Zeichenketten füllen, fällt die Musik, weil sie nichts als Zeit ist, mit dem Sein ihrer Hörer zusammen” (35–36). Kittler spricht der Musik sogar die Funktion eines Quasi-Subjekts zu, wenn es in Bezug auf die direkt-mechanische Einritzung des Klangs im Edison’s Phonographen heißt: „Musik schrieb sich von selber auf, ohne den Umweg griechischer Buchstaben oder mittelalterlicher Noten nehmen zu müssen” (37). Ontologisierung und die Zuschreibung einer intentionalen agency dienen hier der Differenzierung der Musik von anderen Medien, wobei, wie ich meine, aber eher (um einen anderen Begriff Kittlers aufzunehmen) die intermediale Transpositionen der Musik zu berücksichtigen wären. So schlägt Sabine Sanio berechtigterweise vor, gerade die „Beziehung von Hören und Sehen” (144), bzw. den Einfluss der audiovisuellen Medien u.a. in Bezug auf die Klanglandschaft der modernen Großstadt zu analysieren.

Vielen Beiträgen geht es darum, Klang und Musik als Phänomene zu beschreiben, die sich zeitlich und räumlich durch unterschiedliche Medientechnologien in historisch-gesellschaftlichen Kontexten verbreiten. Besonders begrüßenswert ist, dass [End Page 233] stärker als in den nordamerikanischen Sound Studies neue Wege gezeigt werden, die Musikwissenschaft, die sich traditionell oft um die Analyse formalästhetischer Strukturen im historischen Kontext bemüht hat, systematisch in das neuere Paradigma zu integrieren. Das geschieht u.a. dadurch, dass die Materialität des Klanges in der technischen Medialisierung und gesellschaftlichen Funktion stärker in den Vordergrund tritt (Rolf Großmann), der Einfluss technischer Entwicklungen im Instrumentenbau berücksichtigt wird (Rebecca Wolf) oder das Erbe der romantischen Musikmetaphysik, die musikalischen Klang als geistig-innerliches, von der materiellen Wirklichkeit abgesondertes Reich des Geistes idealisierte, für die Vernachlässigung der...

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