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  • Visuelle Poesie. Historische Dokumentation theoretischer Zeugnisse. Band 1: Von der Antike bis zum Barock by Herausgegeben von Ulrich Ernst
  • Peer Trilcke
Visuelle Poesie. Historische Dokumentation theoretischer Zeugnisse. Band 1: Von der Antike bis zum Barock. Herausgegeben von Ulrich Ernst in Verbindung mit Oliver Ehlen und Susanne Gramatzki. Berlin und Boston: de Gruyter, 2012. viii + 965 Seiten + zahlreiche s/w Abbildungen. €149,95.

Selten hat ein einzelner Wissenschaftler ein Forschungsfeld der deutschsprachigen Literaturwissenschaft so geprägt wie Ulrich Ernst die Forschung zur Visuellen Poesie, vor allem diejenige zum Typus des Figurengedichts, dessen Geschichte und Theorie Ernst—aus komparatistischer Perspektive sowie mit einem Schwerpunkt auf den antiken Ursprüngen und auf den mittelalterlichen Traditionslinien—in zahlreichen Publikationen bearbeitet, ja mitunter allererst aufgedeckt und entwickelt hat: vom gemeinsam mit Jeremy Adler herausgegebenen Ausstellungskatalog Text als Figur. Visuelle Poesie von der Antike bis zur Moderne (Weinheim 1987) über die annähernd tausendseitige Monographie Carmen figuratum. Geschichte des Figurengedichts von den antiken Ursprüngen bis zum Ausgang des Mittelalters (Köln/Weimar/Wien 1991) bis hin zur Aufsatzsammlung Intermedialität im europäischen Kulturzusammenhang. Beiträge zur Theorie und Geschichte der visuellen Lyrik (Berlin 2002). Als Leiter der Wuppertaler "Forschungsstelle Visuelle Poesie" und als Mitherausgeber der mittlerweile dreißig Bände zählenden Schriftenreihe Pictura et Poesis hat Ernst darüber hinaus unermüdlich Forschungsprojekte initiiert, befördert und begleitet. Aus einem dieser Projekte ist der vorliegende erste Band einer "Historischen Dokumentation theoretischer Zeugnisse" zur Visuellen Poesie hervorgegangen, den Ernst in Verbindung mit Oliver Ehlen und Susanne Gramatzki herausgegeben hat. Abgedeckt wird durch den Band der Zeitraum von der Antike bis zum Barock, konkret von ca. 300 v. Chr. bis ins späte 17. Jahrhundert; ein zweiter Band, der den Zeitraum vom Spätbarock bis zur Gegenwart behandeln wird, ist für 2015 angekündigt.

Gegliedert ist der umfangreiche Band, dem ein knappes Vorwort voran steht, in die drei historischen Sektionen "Antike und Spätantike," "Mittelalter" und "Frühe [End Page 492] Neuzeit"; jede dieser Sektionen wird durch einen kurzen Überblick eingeleitet. Auf die Sektionen verteilt präsentiert die Dokumentation in insgesamt 21, jeweils einem Autor gewidmeten Kapiteln historische Quellen unterschiedlichster Art, insbesondere Primärtexte mit autoreflexiver Komponente, programmatische Widmungsschreiben, Kommentare, Auszüge aus Poetiken und Enzyklopädien. Jedes Autorkapitel wird durch eine biobibliographische Vorbemerkung eingeleitet; es folgt—in Transkription oder als Faksimile—die Präsentation der historischen Quellen einschließlich einer Übersetzung, die zudem mit erläuternden Fußnoten versehen wurde. Ein Resümee, das auf historische Kontexte und (genre)systematische Zusammenhänge hinweist, sowie ein Literaturverzeichnis beschließen jedes Autorkapitel. Am Ende des Bandes befinden sich ein Personen- und ein Sachregister.

Die Auswahl umfasst, so Ernst im Vorwort, "größtenteils unbekannte, gleichwohl zentrale Zeugnisse" (v), durch die eine beeindruckend facettenreiche Reflexionsgeschichte der Visuellen Poesie erstmals im Zusammenhang nachvollziehbar wird. Im Einzelnen werden dabei folgende Stationen abgeschritten. Eröffnet wird die Sammlung durch ein Kapitel zu Simias von Rhodos, dessen berühmtes Eigedicht einschließlich Scholien aus der Anthologia Palatina angeführt wird. Es folgen Carmina von Publilius Optatianus Porfyrius, flankiert von einem Briefwechsel desselben mit Konstantin dem Großen sowie einigen überlieferten Scholien. Mit den Begleitschreiben und Textanfängen des Cento nuptialis und des Technopaegnion von Decimus Magnus Ausonius wird daraufhin unter anderem eine frühe Theorie der Intertextualität präsentiert; beschlossen wird die "Antike"-Sektion durch ein Gittergedicht von Venantius Fortunatus samt Begleitbrief.

Die "Mittelalter"-Sektion beginnt mit dem längsten Kapitel, das sich Hrabanus Maurus widmet: Aufgenommen wurden hier die Proömien zu den beiden Büchern des Carmina cancellata-Zyklus In honorem sanctae crucis, ebenso die poetischen Praefationes sowie ausgewählte Gedichte des Kreuzzyklus nebst Kommentar. Von Hincmar von Reims werden die Fragmente seines Figurengedichts Ferculum Salomonis sowie die komplette, komplexe zahlenkombinatorische Allegoresen durchführende Explanatio desselben abgedruckt. Ein Kommentar des Eustathios von Thessalonike zu einem Hymnus des Joannes Damascenus macht daraufhin mit der byzantinischen Tradition experimenteller Dichtungsformen bekannt, wohingegen der Abdruck ausgewählter Sonette (und dazugehöriger Kommentare) von Nicolò de’ Rossi frühe Experimente in der Volkssprache vorführt. Mit Auszügen aus dem Tractatus de versibus von Christan von Lilienfeld rücken daraufhin explizite Definitionen unterschiedlicher Versarten in den Blick—und damit ein Traditionsstrang...

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