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  • The medium has a message! –:Zur Profilierung eines theaterwissenschaftlichen Medienbegriffs
  • Julia Pfahl

Obwohl der Einsatz von technischen Medien auf der Bühne sowie das Spiel mit ihren je medienspezifischen Codes heute kein ästhetisches Novum mehr ist, zeugt die feuilletonistische wie wissenschaftliche Rezeption intermedialer Theaterprodukte nach wie vor von einer begrifflichen Unsicherheit hinsichtlich ihrer Analyse und Bewertung. Diese Beobachtung verweist auf die auch in der Theaterwissenschaft bis heute nicht gelöste Frage nach dem Medienstatus des Theaters sowie der Positionierung des Fachs im Rahmen der daran anschließenden Intermedialtätsdebatte. Mit Rückgriff auf die Medientheorie Sybille Krämers entwirft der Beitrag ein theaterwissenschaftliches Medienverständnis, das den Besonderheiten der Kunstform Theater, nämlich seiner in der leiblichen Kopräsenz von Akteuren und Publikum wurzelnden Unmittelbarkeit, gerecht wird und dem Theater aufgrund seiner performativen Qualitäten sowie seiner spezifischen Anordnung als Wahrnehmungs-dispositiv in intermedialen ästhetischen Austauschprozessen eine besonders produktive Funktion zuweist.

Als der kanadische Theatermacher Robert Lepage in den 1990er Jahren mit seiner Theatersaga The Seven Streams of the River Ota über die großen Theaterfestivals der Welt tourt, vergleicht der Kritiker Franz Wille in Theater heute die Inszenierung mit “einem amerikanischen Serienformat in der dritten Generation, [deren] Dialoge knapp [. . .] das Lindenstraße-Format erreichen, wenn sie etwas weniger umständlich wären”.1

Diese und ähnliche Bemerkungen der Theaterkritik zu Inszenierungen, deren gemeinsames ästhetisches Merkmal der Einsatz technischer Medien auf der Bühne ist, sind für Christopher Balme in seinem 1999 erschienenen Aufsatz “Robert Lepage und die Zukunft des Theaters im Medienzeitalter” (1999) Anlass zu einer theaterwissenschaftlichen Positionsbestimmung.2 Angesichts einer zunehmenden medialen Hybridisierung der Bühne müsse die Theaterwissenschaft an den umfangreichen, im Bereich des Theaters jedoch noch wenig verfolgten Forschungsansatz der Intermedialität anknüpfen. Balme sieht die Gründe für die Ablehnung der Vermischung unterschiedlicher medialer Ausdrucksweisen auf der Bühne in der Vorstellung einer Reinheit des Theaters als bildungsbürgerlicher Kunstform begründet. Die Idee einer medialen Spezifität, die gerade für das Theater als einer genuin “plurimedialen”3 Kunstform per se in hohem Maße fragwürdig erscheint, beruhe dabei auf habitualisierten Wahrnehmungskonventionen. Jedes Medium verfüge demnach über eigene Gesetze, die die ästhetische Gestaltung im jeweiligen Medium prägen.4 Werden diese Gesetze gebrochen, beispielsweise durch die Realisierung der Sehgewohnheiten eines Mediums mit den Mitteln eines anderen, wird diese Wahrnehmungskonvention irritiert – eine intermediale Ästhetik entsteht. “Wenn das Theater neue ästhetische Ausdrucksmöglichkeiten in den Zwischenräumen des Intermedialen sucht, dann darf die Theaterwissenschaft nicht zögern, ihm dorthin zu folgen”,5 fordert Balme abschließend und plädiert für einen wissenschaftlichen Paradigmenwechsel, der nicht mehr die lange verfochtene mediale Spezifität in den Mittelpunkt der [End Page 3] Forschung stellt, sondern das Theater in einem größeren medientheoretischen Diskurs verortet.

2010 präsentiert Robert Lepage mit dem neunstündigen Epos Lipsynch sein neuestes Mammutwerk bei den Wiener Festwochen. Obgleich er fast fünfzehn Jahre später ohne Zweifel zu den international anerkanntesten Theaterkünstlern überhaupt zählt und mit seinen Produktionen regelmäßig auf den großen Festivals der Welt präsent ist, zeugt die Rezeption dieser Inszenierung durch die Theaterkritik im Vergleich von einer nahezu unveränderten Haltung der Rezensenten: “Lepage interessiert sich für Form mehr als für Inhalt; er mag seine Figuren nur, wenn sie Funktionen innerhalb der Form erfüllen; er unterwirft seine Geschichten einem hybriden Konstrukt und verschleiert mit ihrer Verflechtung den Mangel an Tiefe”, schreibt etwa Egbert Tholl in der Süddeutschen Zeitung.6 Die erwartete große “Verzauberung” bleibe aus in diesem “Oberflächen-Drama des Internetzeitalters”, das stellenweise in “melodramatischen Kitsch” abdrifte und nach neun Stunden Lepages “Illusionskunst” ziemlich leiden lasse.7

Obgleich diese und ähnliche Analysen des jüngsten Theatermarathons des Quebecers mitunter zu unterschiedlichen Gesamturteilen führen und einige Kritiker auch die Faszination der Bilderwelt des ‘Theatermagiers’ Lepage hervorheben, ist den meisten Rezensionen eines gleich: Der Fokus der Artikel liegt auf der inhaltlichen Zusammenfassung des neunstündigen Stücks, das, wenngleich nicht immer wertend, formal mit Serienformaten der Fernsehunterhaltung verglichen wird, wobei die ästhetische Seherfahrung völlig diffus mit Begriffen wie “Wunder”, “Magie” oder “Zauberei” beschrieben wird.

Mehrere Aspekte erscheinen hier bemerkenswert: Einerseits nämlich, dass im...

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