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  • Beziehung und Bruch in der Poetik Gertrud Kolmars. Verborgene deutschjüdische Diskurse im Gedicht by Friederike Heimann
  • Monika Shafi
Beziehung und Bruch in der Poetik Gertrud Kolmars. Verborgene deutschjüdische Diskurse im Gedicht. Von Friederike Heimann. Berlin und Boston: de Gruyter, 2012. 218 Seiten. €79,95.

Friederike Heimann hat mit diesem Band, der auf ihrer Dissertation beruht, eine ungewöhnliche, doch überzeugende Arbeit zum Werk Gertrud Kolmars vorgelegt. Ungewöhnlich an ihrer Vorgehensweise ist, dass sie ein einzelnes Gedicht—“Garten im Sommer” aus dem Zyklus Welten, dem letzten der großen Zyklen Kolmars—in den Mittelpunkt ihrer Untersuchung stellt. Heimanns Ausgangspunkt ist, dass die “Reflexion deutsch-jüdischer Differenz” (8) in Kolmars Werk bisher ungenügend erkannt und analysiert wurde, da sie primär aus der Perspektive des Antisemitismus behandelt wurde. Eingebettet in umfassende historische, zeitgenössische und biographische Kontexte, die Heimann äußerst gründlich und genau auswertet, interpretiert sie “Garten im Sommer” daher primär “als Ausdruck einer Befindlichkeit, die von der Erfahrung eines deutsch-jüdischen Schicksals in spezifischer Zeit bestimmt ist” (10). An diesem Zitat zeigt sich bereits, dass eine strikte Trennung zwischen einem deutschjüdischen Diskurs einerseits und der Erfahrung des Antisemitismus nicht aufrecht zu erhalten ist, und auch in Heimanns Analyse greifen beide Bereiche wiederholt ineinander.

Die Monographie ist in zwei umfangreiche Teile gegliedert. Der erste, “Die Dichterin” betitelte Teil weist zwei Schwerpunkte auf, eine nuancierte Auseinandersetzung [End Page 158] mit ausgewählter Kolmar-Forschungsliteratur sowie mit Kolmars poetischem Selbstverständnis. Zusätzlich weist Heimann nach, von welch herausragender Bedeutung das Jahr 1937 für Kolmar war. Die in diesem Zusammenhang von Heimann besprochenen biographischen, rezeptionsgeschichtlichen und werkspezifischen Zusammenhänge sind zwar weitgehend bekannt, doch werden sie von ihr innovativ und klug zusammengeführt. In diesem, die eigentliche Textanalyse vorbereitenden Teil betont Heimann wiederholt die palimpsestartigen Strukturen in Kolmars Lyrik, die sie in Anlehnung an Andreas Kilchers und Detlef Kremers Transtextualitätsbegriff nachzeichnet. Heimann zufolge offenbart sich in Kolmars gesamtem Werk eine “Spannung zwischen einem Nichtankommenkönnen und der Sehnsucht nach einem wie auch immer gearteten Ort der Heimkehr” (37). Solche Positionsbestimmungen sind zwar nicht unbedingt neu, doch werden sie von der Autorin überzeugend auf ihre eigene Studie angewandt.

Der Interpretation der vier Strophen, die im zweiten, “Das Gedicht” betitelten Teil erfolgt, stellt Heimann ein einführendes Kapitel “Flaschenpost: Ein Gedicht hält auf uns zu” (85) voran. Paul Celans Diktum vom Gedicht als Flaschenpost aufgreifend, von ihr auch als Chiffre moderner Dichtung (86) verstanden, bestimmt sie “Garten im Sommer” als eine Art Flaschenpost, dessen bestimmende Pole “Einsamkeit und zugleich das fundamentale Begehren nach Begegnung” (89) sind. Heimann interpretiert mit eindrucksvoller Genauigkeit “Garten im Sommer,” dessen unerschöpfliches Deutungsspektrum sie wiederholt betont. An keiner Stelle wirkt diese interpretatorische Beschränkung unzulässig oder einengend; im Gegenteil, angesichts der umfassenden Kontextualisierung und der hochgradigen Interpretationsschärfe bietet sie einen produktiven methodischen Zugriff auf das hochkomplexe Gedicht, für Heimann eines der schönsten in Kolmars Œuvre. Für jede der vier Gedichtstrophen, denen sie jeweils ein Kapitel widmet, untersucht Heimann minutiös Bilder, intertextuelle Verweise und deutsch-jüdische Bedeutungskontexte. Wie umfassend ihre Analyse angelegt ist, zeigt sich bereits daran, dass sie nach dem Originaltyposkript zitiert, da dessen Zeilenführung, die in den Veröffentlichungen nicht beibehalten wurde, bereits “einen inneren Rhythmus” (99) zum Ausdruck bringe. Anhand dieser feinmaschigen Interpretation gelingt es Heimann zahlreiche intertextuelle Verweise, vor allem zum Hohelied Salomos, nachzuzeichnen, und sie kann Wortneuschöpfungen wie “Bienenmilch” (121) im Kontext des hebräischen Liebeslieds erklären. In ihrer Interpretation der dritten Strophe arbeitet sie in ähnlicher Weise Bezüge zur deutschen Romantik heraus.

Die vier Strophen beschreiben einen Spannungsbogen, der in der ersten Strophe tänzerisch-traumhaft einsetzt, in der zweiten sich zu “Mortifikationen” (128) wandelt, um dann in der dritten und vierten Strophe in eine Abwärtsbewegung zu gleiten, die Heimann als “Welt versunken” (137) und “Tauchen zum Grund” (152) bezeichnet. In dem abschließenden Epilog fasst sie die Fülle der Einzelbeobachtungen und die Bewegung des Gedichts hin auf ein nicht hintergehbares Ende zusammen. Es beschreibt ihr zufolge die Vergeblichkeit des Bemühens, sowohl ein ansprechbares Du als auch einen Ort, der Zugehörigkeit und Sprache ermöglichen k...

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