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Reviewed by:
  • Geldströme. Ökonomie im Romanwerk Thomas Manns von Anna Kinder
  • Yahya Elsaghe
Geldströme. Ökonomie im Romanwerk Thomas Manns. Von Anna Kinder. Berlin und Boston: de Gruyter, 2013. 255 Seiten. €79,95.

Wie aus ihrer Titelei hervorgeht, widmet sich Anna Kinders Studie der Ökonomie im Allgemeinen und dem Geld im ganz Besonderen, das heißt Aspekten, die in der Thomas Mann-Forschung, wenn man von den Buddenbrooks einmal absieht, ziemlich stiefmütterlich behandelt wurden, wenn überhaupt. Solche Vernachlässigung erscheint um so erklärungsbedürftiger, als Thomas Mann schon als wilder Student ein reges und gut dokumentiertes Interesse an nationalökonomischen Fragen an den Tag legte und hernach Zeitzeuge etlicher gravierender Ereignisse werden sollte, welche die Epochen der Wirtschafts- und der Währungsgeschichte prägten, von den Folgen des Gründerkrachs über den Schwarzen Freitag bis zur Installation zweier konkurrierender Wirtschaftssysteme auf deutschem Boden. Während er seine Herkunft noch der “aurea aetas der Bürgerlichkeit” und ihrem “Goldgeld” zurechnete, mit dem ihm sein erstes Autorenhonorar ausbezahlt wurde, war er doch auch in der Lage, literarisch [End Page 728] so unterschiedliche Phänomene zu bearbeiten wie den New Deal Franklin D. Roosevelts, die Große Depression des neunzehnten oder die Große Inflation des zwanzigsten Jahrhunderts.

Dabei begnügt sich Kinder freilich damit, die Forschungslücke zu konstatieren (16–23) beziehungsweise sie zu füllen. Nach rezeptionsästhetischen Erklärungen für das forschungsgeschichtliche Manko wird weiter nicht gesucht. Die politischen Befangenheiten und ideologischen Verstrickungen der Thomas Mann-Forschung oder auch die Partizipation der Thomas Mann-Industrie am Kapitalismus bleiben somit ausgespart.

Den von ihr angemeldeten Anspruch jedoch, “in den meisten Teilen Neuland” zu erschließen (23), löst die Verfasserin durchaus ein, im Ganzen sowohl wie oft genug auch im Einzelnen. Ihre im besten Sinn kulturwissenschaftlich-interdisziplinäre Fragestellung setzt bei den verschiedenen, teils turbulenten Entwicklungen ein, welche das kapitalistische Wirtschaftssystem seit dem späteren neunzehnten Jahrhundert durchmachte, beziehungsweise bei den diversen Anpassungen, womit die ökonomische Theoriebildung darauf reagierte, insbesondere was den Geldwert und seine “fiktionale” (14) oder “irrationale” (16) Natur angeht.

Aufgrund dieses gründlich ausgeleuchteten und auch für Laien fasslich entfalteten Hintergrunds unterzieht Kinder fünf große Romane Thomas Manns einer Relektüre: Buddenbrooks, Königliche Hoheit, Der Zauberberg—mit einem interessanten Seitenblick auf den Erwählten—, ganz besonders die Josephstetralogie (das entsprechende Kapitel nimmt gleich viel Platz ein wie die drei vorangehenden zusammen) und endlich noch die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull. Die Beschränkung auf das “Romanwerk Thomas Manns” wird dabei nur eben deklariert; und gänzlich unklar bleiben die Gründe dafür, dass gerade diese fünf der insgesamt acht Romane im Zentrum stehen und andere völlig unbeachtet bleiben, auch wo sich das, wie im Fall des Doktor Faustus, ganz und gar nicht von selbst versteht.

Die Erkenntnisse aber, die der Verfasserin unter diesem Vorbehalt gelingen, können sich sehr wohl sehen lassen. In ihrer Reichhaltigkeit entziehen sie sich indessen jedem Versuch, ihnen in einer Paraphrase gerecht zu werden: vom Urbanismus der Josephsromane (115–117, vgl. 10) über die Bedeutung der Beleuchtung im Felix Krull (193) bis zur Ombrologie in den Buddenbrooks (36 f.), wobei hier allerdings der Widerspruch zur anderweitigen Interpretation von Liquidität und Fließmetaphorik nicht wirklich aufgelöst wird.

Kinders Studie wäre keine Pionierleistung, wenn sich nicht über einiges daran diskutieren und über anderes regelrecht streiten ließe: zum Beispiel über die allzu säuberlich gezogene Grenze und den allzu schematisch gefassten Antagonismus zwischen der “Flachland”-Ökonomie und der “Zauberberg”-Sphäre, da diese ja denselben kapitalistischen Gesetzen und Skrupellosigkeiten unterliegt, mögen die hierher gehörigen Bemerkungen im Romantext noch so spa¨rlich inseriert sein. Auch könnte einer oder die andere sich wünschen, dass die antikapitalistischen Spitzen des Romanwerks etwas mehr gewürdigt würden, auch engmaschiger kontextualisiert in anderen Diskursformationen ihrer Zeit. Beispielsweise hätte es doch etwas mehr Aufmerksamkeit verdient, wie eng der Kapitalismus im Guten und vor allem im Bösen mit dem Judentum assoziiert wird, nicht anders nota bene als der Kommunismus eines Leib oder Leo (und jedenfalls nicht: “Leopold”) Naphta. Juden sind die erfolgreichen Konkurrenten der Buddenbrooks; Jude ist der halsabschneiderische Bankier, der die [End...

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