In lieu of an abstract, here is a brief excerpt of the content:

Reviewed by:
  • Literatur um 1800. Klassisch-romantische Moderne von Harald Tausch
  • Rolf J. Goebel
Literatur um 1800. Klassisch-romantische Moderne. Von Harald Tausch. Berlin: Akademie Verlag, 2011. 259 Seiten +14 s/w Abbildungen. €24,80.

In der bewährten Serie der Akademie Studienbücher Literaturwissenschaft erschienen, bietet der vorliegende Band eine ausgewogene, konzise und informative Einführung in die deutschsprachige Literatur und poetische Ästhetik um 1800. Differenziert wird anfangs auf die historischen und diskursiven Bedingungen der Epochenkonstruktion eingegangen. Statt die “klassisch-romantisch[e] Doppelepoche” im historistischen Sinn als abgeschlossen-vergangen zu betrachten, deutet Tausch sie im Anschluss an Silvio Vietta als Ankündigung der literarischen Moderne, die sich in kritischen Widerspruch zur “technisch-wissenschaftlich-ökonomisch[en] Moderne” setzt (12). Es sind besonders die grundsätzliche “Verzeitlichungserfahrung” und die “Erfahrung von Vorläufigkeit,” welche es nahelegen, die klassisch-romantische Kunstepoche als Beginn der literarischen Moderne insgesamt zu deuten (13). Differenziert die Unterschiede und Überschneidungen des Klassischen und Romantischen hervorhebend, betont Tausch besonders drei gemeinsame Kriterien dieser Doppelepoche: die Kunstautonomie, die sich freilich nicht wie die ästhetizistische Radikalisierung des Konzepts selbstreferenziell von der Wirklichkeit abkehrt, sondern deren diskursives Wissen kritisch-reflexiv überbieten will; die reflektierte Aneigung der vorwiegend griechischen Antike bzw. des christlichen Mittelalters; und das Program der ästhetischen Erziehung (13–16). [End Page 714]

Deutlich wird einerseits die methodische Vorentscheidung, die Zeit um 1800 nicht im traditionell geistesgeschichtlichen Sinne, sondern im neueren Paradigma der Diskursanalyse zu verorten: daher die aufschlussreiche Fokussierung auf Kunst-, Gattungs- und Sprachdiskurse, enzyklopädistische Wissensordnungen, Naturwissenschaften, Jura und dergleichen. Neben der Aufarbeitung diesbezüglichen Standard-wissens legt der Band aber auch deutlich Schwerpunkte auf Themen, die die Zeit um 1800 mit dezidierten Fragestellungen der Gegenwart kurzschließt. Zu nennen sind hier besonders die anregenden Ausführungen zur Intermedialität und (Un-)Übersetzbarkeit der Künste, zur Hermeneutik, Anthropologie und Psychologie oder zur medizinischen Konstruktion des Wahnsinns. Zur Intermedialitätsfrage hätten sich dabei interessante Verweise auf den (leider nicht berücksichtigten) Friedrich Kittler ergeben können, der bekanntlich argumentiert, dass das Aufschreibesystem um 1800 generell dazu tendierte, eine allgemeine Übersetzbarkeit der Diskurse deshalb anzunehmen, weil es ihm an Bewusstsein hinsichtlich der materiellen Beschaffenheit von Sprache mangelte: “Hätte sie [die Sprache] eigene Dichte und Materialität, Totzeiten und Übertragungsverluste, wäre die allumfassende Übersetzbarkeit dahin” (Aufschreibe-systeme 1800–1900, München 2003, 91). Was noch hinsichtlich der Diskursübersetzung möglich gewesen sein mag, funktioniert aber nicht mehr unbedingt für die Künste insgesamt. So argumentiert Tausch, dass die Übersetzung einer Kunst in eine andere nur dann als unproblematisch erschien, solange sie alle unter dem Kriterion der Nachahmung der Natur verstanden wurden. Das änderte sich freilich in der klassisch-romantischen Epoche: “Gerade weil um 1800 ein hermeneutisches Bewusstsein [ . . . ] dafür entstand, dass sich die Künste nicht ohne Weiteres mehr ineinander übersetzen ließen, war der Anreiz groß, innerhalb der einen Kunst über die andere und ihre Andersartigkeit zu reflektieren” (63). Vielleicht hätte man in diesem Zusammenhang auch noch stärker die Differenz der romantischen Musikästhetik zum “plastischen Ideal des Klassizismus” (59) herausheben können, denn die kritische Potenzialität der “Zeitkunst Musik” als intermediale Konkurrenz zur verräumlichenden Visualität und ihre (vermeintliche) “Fähigkeit, den Rezipienten [ . . . ] in die Unendlichkeit der eigenen Imagination” zu entführen (60), entfalten sich nicht nur bei dem (hier ungenannt gebliebenen) Arthur Schopenhauer, sondern vollständig erst in der klassischen Moderne und Avantgarde, die diese Musikmetaphysik sowohl aufgreift als auch radikal im Kontext konkurrierender Medientechnologien in Frage stellt. Das Bestreben zur Aktualisierung kommt auch an herausragenden Einzelfiguren zum Vorschein, etwa bei der “Modernität Hölderlins [ . . . ], die den Gegensatz von Klassizismus und Romantik gar nicht kennt, insofern sie diesen durch avantgardistische Verfahrensweisen—wie Verfahren der Überblendung, die die Differenzqualität von Antike und Moderne bestehen lassen—hinter sich lässt,” wobei des Dichters topographische Erinnerungslandschaften ein “nicht-teleologisch[es] Moment” aufweisen, in dem Tausch “Züge der literarischen Avantgarden des späten 19. und 20. Jahrhunderts” vorweggenommen sieht (49–50). Kurz aber einsichtig werden abschließend die Hauptaspekte der oft widersprüchlichen Wirkungsgeschichte der klassisch-romantischen Epoche skizziert.

Der Band setzt sich ausgewogen-kritisch mit überkommenen und neuesten Forschungspositionen auseinander. Pädagogisch-didaktisch geschickt und ansprechend vermittelt Tausch...

pdf

Share