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  • Arbeitsverhältnisse: Der arbeitende Mensch in Goethes Wilhelm-Meister-Romanen und in der Geschichte der Politischen Ökonomie by André Lottmann
  • Ehrhard Bahr
André Lottmann, Arbeitsverhältnisse: Der arbeitende Mensch in Goethes Wilhelm-Meister-Romanen und in der Geschichte der Politischen Ökonomie. Würzburg: Königshausen & Neumann, 2011. 293 S.

Eine Monographie mit diesem Titel war seit langem in der Forschung überfällig. Es bedurfte dazu der Aufarbeitung der Politischen Ökonomie der Goethe-Zeit. Der Verfasser hat sich dieser Aufgabe unterzogen und sich damit bedeutende Verdienste um die Interpretation der Wilhelm Meister-Romane erworben. Ausgehend von der Novalis-Kritik, dass “das Romantische” in den Lehrjahren “zu Grunde” gehe, weil es durch “sehr viel Oeconomie” verdrängt werde, bezeichnet Lottmann es als wichtigste Hypothese seiner Studie, dass die Neubewertung der Arbeit in der Politischen Ökonomie des 18. Jahrhunderts das eigentliche Thema der Wilhelm Meister-Romane darstellt. Die Politische Ökonomie sei “ihr zentrales epistemisches Bezugsfeld.” Goethe habe dieses Wissen “nachweisbar” besessen, und es finde sich “bereits in den Lehrjahren und dann insbesondere in den Wanderjahren einschlägig referenziert, transponiert und reflektiert” (19). Die Studie schließt sich methodisch an den New Economic Criticism der amerikanischen Kulturwissenschaft an. Dabei wird der Politischen Ökonomie “eine epistemologische Vorrangstellung für die Konstituierung des neuen Arbeitsverständnisses eingeräumt.” Die Politische Ökonomie wird als “Vorwissen” verstanden, in dem “sich die menschliche Arbeit als eines der wichtigsten Themen fassen lässt.” Dieses Vorwissen werde in den literarischen Texten “aufgerufen, zur Darstellung gebracht und dergestalt wieder zur Disposition gestellt” (35).

Die Studie besteht aus zwei Hauptteilen. Im ersten Teil wird das politökonomische Wissen aufgearbeitet, das für das Verständnis der Arbeit im 18. Jahrhundert relevant ist, wobei Kameralismus, Physiokratismus und Liberalismus zur Darstellung kommen. Im zweiten Teil geht es um den Nachweis der Goetheschen Rezeption des polit-ökonomischen Wissens seiner Zeit. Im Anschluss daran erfolgt eine textnahe Analyse der Lehr- und Wanderjahre mit Schwerpunkt auf dem Altersroman. Von den Lehrjahren kommt lediglich die Politische Ökonomie des Turmgesellschaft zur Diskussion, die sich im Verlauf des [End Page 266] Romans von einer pädagogischen Institution zu einer ökonomischen “Societät” entwickelt (133–44).

Als früheste Belege für Goethes Auseinandersetzung mit polit-ökonomischen Theorien setzt Lottmann die Rezensionen in den Frankfurter gelehrten Anzeigen vom Jahre 1772 an, die sich deutlich vom Kameralismus distanzierten und auf den französischen Physiokratismus beriefen. Wenig später wurde Goethe mit den unter Johann August Schlettwein im Großherzogtum Baden durchgeführten Reformen bekannt, die auf den Physiokratismus zurückgingen. Schlettwein, der als Vertreter der französischen Politischen Ökonomie in Deutschland galt, gab bereits 1773 seine Stellung in Baden auf, doch seine Reformen wurden in drei Gemeinden bis ins 19. Jahrhundert fortgesetzt. Weitere Anregungen erhielt Goethe von seinem Schwager Johann Georg Schlosser und Justus Möser. Als Mitglied des Geheimen Consiliums suchte er zwischen 1776 und 1785 Reformen in Sachsen-Weimar durchzusetzen, doch scheiterte er an der kameralistischen Staatsverwaltung. Wie Lottmann mit Recht folgert, fanden “Goethes eigene, physiokratisch anmutende Vorsätze . . . so gut wie keinen Niederschlag in der kleinstaatlich-souveränen Verwaltungspolitik” (127). Die Rezeption des für den Wirtschaftsliberalismus grundlegenden Buches von Adam Smith, An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations von 1776, verzögerte sich in Deutschland trotz der Übersetzungen von 1778 und 1794 bis 1796. Goethe nahm den Wohlstand der Nationen erst 1806 in der zweiten Auflage eines Handbuchs zur Staatswirtschaft von Georg Sartorius zur Kenntnis. Ob er den Wohlstand der Nationen selbst gelesen hat, ist zu bezweifeln. Doch ist anzunehmen, dass er aufgrund seiner Lektüre der Jenaischen Allgemeinen Literatur-Zeitung mit den Grundgedanken bekannt war, denn Smiths Wohlstand der Nationen bildete “das entscheidende Referenzzentrum” für die polit-ökonomischen Rezensionen (130). Für Goethes Resignation nach der Französischen Revolution macht Lottmann geltend, dass er mit seinem Verzicht auf praktische Politik eine “kritische Denkposition” eingenommen hatte, die es ihm ermöglichte, die “Aufwertung der menschlichen Arbeit durch die Politische Ökonomie und die Idee einer selbstregierten Arbeitsgesellschaft” ins Auge zu fassen (132).

Lottmanns Textanalyse konzentriert sich zunächst auf die Territorien der Arbeit in den Wanderjahren. Indem er bei Joseph dem Zweiten ein spätfeudalistisches Arbeitsverhältnis aufdeckt, schreibt er seinem Territorium...

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