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Reviewed by:
  • Theaterwissenschaft. Eine Einführung in die Grundlagen des Faches by Erika Fischer-Lichte
  • Sabine Sörgel (bio)
Erika Fischer-Lichte. Theaterwissenschaft. Eine Einführung in die Grundlagen des Faches. Tübingen/Basel: Francke Verlag, 2009, 273 Seiten, 19,90 €.

Theaterwissenschaft wird im deutschsprachigen Raum mit seiner Vielzahl an Stadt-, Staats- und Nationaltheatern in erster Linie als Wissenschaft von Aufführungen studiert und dass dies so ist knüpft sich an die national wie international viel beachtete Forschung Erika Fischer-Lichtes. Mit der nun vorliegenden Einführung in die Grundlagen des Faches dokumentiert die Grande Dame der deutschen Theaterwissenschaft den Werdegang dieser noch immer relativ jungen akademischen Disziplin als die erfolgreiche Emanzipation aus der Literaturwissenschaft. Der Band liest sich somit als Genealogie und Methode des Faches zugleich, was die Lektüre nicht nur für Studienanfänger, sondern auch für fortgeschrittene Semester durchaus interessant macht. Ausgehend vom Begriff des Theaters, das als Ort der Schau immer auch Raum für performatives Entstehen von Wissen konstituiert, expliziert Fischer-Lichte die Bedeutung theaterwissenschaftlicher Analysemethoden für den jüngsten Paradigmenwechsel in der Kulturwissenschaft. Aufführung und Spiel als zentrale Kategorien des Theaterereignisses begründen so [End Page 107] die Plattform einer weitgreifenden Identitätsanalyse, die über das Kunsttheater hinaus in nahezu alle gesellschaftlichen Bereiche von Politik bis Soziologie, Philosophie und Medienanalyse hineingreift. Im Mittelpunkt steht dabei das Moment der Flüchtigkeit körperlich vermittelter Prozesse wie sie die Schauspielerin in der jeweiligen Interpretation der gegebenen Rolle traditionell verkörpert. Dabei geht es der Theaterwissenschaft eben nicht in erster Linie um die Analyse textueller Verfahren, sondern um das sinnliche Wahrnehmen körperlicher Kopräsenz von Zuschauern und Darstellern.

Diese grundlegende Definition des Theater-ereignisses gehört inzwischen zu den Grundfesten theaterwissenschaftlicher Forschungsarbeit und in der Vehemenz, mit der Fischer-Lichte die Aufführungsanalyse als Kernkompetenz der Theater-wissenschaft verteidigt, besteht die eigentliche Radikalität ihres Arguments. Denn indem sie den Theaterbesuch als notwendige Bedingung der Aufführungsanalyse voraussetzt, ordnet sie jegliche Forschung, die sich nicht auf die eigene körperliche Erfahrung des Theaterereignisses als Forschungsgegenstand beruft, kategorial der Historiographie zu. Sie schreibt:

Von Aufführungsanalyse ist daher im Folgenden nur die Rede, wenn vorausgesetzt werden kann, dass die/der Analysierende an der betreffenden Aufführung selbst teilgenommen hat und so Teil des autopoietischen Prozesses gewesen ist, in dem die Aufführung entstand. In allen anderen Fällen handelt es sich um die Analyse von Quellen und Dokumenten zu einer Aufführung oder auch von Spuren, die sie hinterlassen hat. Ein solches Verfahren wird als theaterhistoriografisch bezeichnet

(S. 70).

Eine solche phänomenologische Perspektive schlägt sich vollends auf die Seite der Rezipienten, die das Ereignis originär wahrnehmen und als solches vermittels der eigenen Interpretation des Bühnengeschehens erst begründen. Körper, Energie, Präsenz, Atmosphäre und Rhythmus sind entscheidende Analyseparameter, die hier Eingang finden und Fischer-Lichtes frühere Forschung zur Semiotik um die entscheidenden phänomenologischen Kategorien ergänzen, die das performative Erleben von Theater als transformatives Schwellenereignis kennzeichnen.

Studierenden in den ersten Semestern wird hier das wesentliche Analyseinstrumentarium auf klar strukturierte Weise an die Hand gegeben mit dem sie lernen wie Bedeutung auf dem Theater entsteht und dass sie wesentlicher Bestandteil dieser Bedeutungskonstitution sind. Aufführungsanalyse ist notwendigerweise subjektiv und zuweilen verbleibt das erlebte Erspüren der besonderen Atmosphäre schwitzender Körper vage formuliert, doch wer das Geschehen methodisch strukturiert zu analysieren gelernt hat, vermeidet den Vorwurf der Beliebigkeit wie dies der zweite Teil des Buches anhand der Arbeitsfelder, Theorien und Methoden im Einzelnen näher vorstellt. Fischer-Lichtes Fokussierung auf die Aufführungsanalyse markiert somit die Stärke dieser Einführung für das Fach insbesondere im deutschsprachigen Raum. Denn ihr Ansatz verdeutlicht wie sehr sich das Entstehen der deutschen Theaterwissenschaft an die Vielfalt und Besonderheit der deutschen Theaterlandschaft knüpft, die nicht zuletzt mit Berlin als Theaterhauptstadt einen singulären Status erhält, der ein solches Primat der Aufführungserforschung für Studierende attraktiv und praktikabel macht.

Was jenseits der Aufführung von der Theater-wissenschaft erforscht wird und die verbleibenden Kapitel des Bandes bestimmt, sind desweiteren Theatergeschichte, Theorie und Ästhetik. Im Vergleich zu den Ausführungen zu Aufführungsbegriff und -analyse werden...

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