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  • Welt-Suche: Auf den Spuren von Hans Blumenberg
  • Peter W. Marx (bio)

Die Welt verliert an Ungeheuern.

Hans Blumenberg

Der Begriff der Welt, der lange Zeit diskreditiert war, weil er auf sträflich naive Weise ‘Wirklichkeit’ und unhintergehbare ‘Tatsächlichkeit’ zu versprechen schien, erlebt in den letzten Jahren eine bemerkenswerte Konjunktur. Das wird schon durch einen Blick in die jüngere Gegenwartstliteratur deutlich, wo Werke wie Daniel Kehlmanns Die Vermessung der Welt (2005), Ilja Trojanows Der Weltensammler (2006) oder Stephan Puchners Nebelheim (2008) literarisch-poetisch um ein Erfassen von Welt ringen. Dabei ist augenfällig, dass alle Romane durch eine Vielstimmigkeit der Erzählstimmen geprägt sind, so als wollten sie die Vorstellung einer ganzheitlichen Welt als Phantasma anklingen lassen, um deren Unmöglichkeit durch die narrative Konstruktion ästhetisch wirkungsvoll erlebbar zu machen.

In diesem Sinne aber sind die Romane auch symptomatisch für den gegenwärtigen kulturwissenschaftlichen Diskurs zur Welt, denn überall, wo der Begriff heute auftaucht, wird er sofort gegen eine schlichte Einvernahme in Schutz genommen. Daher ist es bezeichnend, dass die Erzählungen auch einen wissenschaftsgeschichtlichen Index tragen: Wenn Kehlmann bspw. Alexander von Humboldts Kosmos (1845–1862) anzitiert oder Puchner auf Albertus Magnus’ De animalibus verweist, so treten diese Werke als Versuche einer systematischen, ja auf Vollständigkeit (und damit Beherrschbarkeit) zielenden Welt-Erfassung in Erscheinung, deren Scheitern in Anbetracht der Vielgestaltigkeit von Welt innerlich notwendig ist.

Warum aber kehrt der Begriff der Welt denn dann überhaupt zurück? Eine offensichtliche, aber auch zu leichtfertige Antwort würde auf den kulturellen Erfahrungsdruck der Globalisierung verweisen, auf das unausweichliche Erleben des “global village” als Anstoßund Voraussetzung einer versuchten Revision des Begriffs.

Tatsächlich aber scheinen mir die Gründe tiefer zu liegen und eher in einem vermittelten Zusammenhang mit der Erfahrung der Globalisierung zu stehen; denn auffällig ist, dass in der Diskussion um ‘Welt’ zwei unterschiedliche Interessensdimensionen zusammenfallen, nämlich die Frage nach dem Status von Geschichte bzw. der Möglichkeit von Geschichtsschreibung und die Frage nach den epistemologischen Konsequenzen der Erfahrung von kulturellen Kontingenzen und interkulturellen Kontakten. (Beides findet sich übrigens ebenfalls paradigmatisch in den oben genannten Erzählwerken, die sich sowohl des Genres des historischen, wie auch des “Entdecker”-Romans bedienen.)

Wie aber lässt sich aus kulturwissenschaftlicher Perspektive dieser Frage nachgehen, ohne hinter gewonnene Einsichten zurückzufallen? Wie ist Welt zu denken, ohne in Begrifflichkeit, Methodik und Anspruch in die Falle einer vermeintlich unhintergehbaren Tatsächlichkeit zu tappen? [End Page 93]

Ich möchte im folgenden versuchen, den Versuch einer solchen Blickweise anhand einer Re-Lektüre von Hans Blumenberg (1920–1996) zu unternehmen. Dabei sei bereits eingangs zugestanden, dass es sich nicht um einen abgerundeten Vorschlag, sondern eher um das bruchstückhafte Protokoll einer Problematisierung handelt.

Hans Blumenberg freilich bedarf keiner “Neuentdeckung” oder einer “Renaissance” – als eine der wichtigen Gestalten der bundesdeutschen Nachkriegsphilosophie hat er längst seinen festen Platz im Kanon. Seine Wirkung hält postum an, wie man an der Fülle von Schriften aus dem Nachlass erkennen kann.

Und dennoch ist Blumenberg eine breite Wirkung nahezu versagt geblieben; weder kann man von einer ‘Schulbildung’ sprechen, noch von einer intensiveren Rezeption jenseits disziplinärer Grenzen, die sich bemüht hätte, seine Denkfiguren für neue Fragen fruchtbar zu machen.1

Der Grund hierfür mag in der besonderen Lektüreerfahrung liegen, die man in der Begegnung mit Blumenberg macht: Da ist zum Einen seine Sprache, die wohlgesetzt, mitunter poetisch ist, die sich aber einer schnellen Lektüre verweigert. Da ist zum Zweiten die bisweilen einschüchternde Belesenheit, mit der Blumenberg seine Thesen und Fragen aus den Tiefenschichten der Geistesgeschichte und aus der Kreuzung unterschiedlichster Disziplinen entfaltet. Und da ist, zum Dritten, eine Argumentationsführung, die nicht auf einfache Leitvokabeln oder Theoreme zuläuft, sondern in einer umkreisenden Suchbewegung den Grund des Denkens umschreibt, ohne ihn voreilig zu identifizieren.

Die so entstehenden Panoramen der Geistes- und Kulturgeschichte weisen Blumenberg als Nachfolger jener Traditionslinie der Kulturphilosophie aus, die sich im ausgehenden 19. Jahrhundert bildet und in Ernst Cassirer und seiner Philosophie der symbolischen Formen (1923–1929) einen Höhepunkt findet. Überhaupt ist die zentrale Bedeutung der Cassirer’schen Philosophie für Blumenberg an vielen Stellen sichtbar, nicht nur in der historischen...

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