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  • Sehnsucht nach Zukunft
  • Christel Weiler (bio)

Ausgangspunkt ist zunächst die Annahme, dass das Theater auf mehreren Ebenen als zukunftgenerierende Institution gesehen werden kann:

Der Vorgang des Probens und Inszenierens selbst lässt sich beschreiben als Prozess der Hervorbringung eines künftigen Ereignisses; der Vorgang der Wahrnehmung und der Bedeutungszuschreibung ist charakterisiert durch Vorwegnahmen und Erwartungen; schließlich und endlich wird in zu inszenierenden Texten auf einer inhaltlichen Ebene die Frage verhandelt, wie Zukunft zu gestalten ist und welches Verhältnis wir dazu einnehmen.

Insbesondere mit Blick auf ein jugendliches Publikum und ebensolche Akteure scheinen Fragen nach der Zukunft von zusätzlicher Relevanz.

An drei konkreten Beispielen: dem dramatischen Text Vaterlos von Claudius Lünstedt, der Inszenierung von Warngedicht durch das Berliner Regieteam Yiǧit und Prlić, sowie der filmischen Dokumentation (Rhythm is it) einer choreographischen Probenarbeit zu Sacre du printemps werden deshalb unterschiedliche Konzepte und Haltungen zum Thema “Jugend und Zukunft” vorgestellt und diskutiert.

Die Ausgangsfrage für die folgenden Reflexionen lautete: wie verhält sich Theater – im weitesten Sinne – zu Zukunft. Nicht zuletzt weil Theater als Kunstform zu den Zeitkünsten gerechnet wird, finden sich darauf eine Menge Antworten, jeweils auch in Abhängigkeit davon, wie Zukunft als Phänomen gefasst wird. Diese Antworten lassen sich im Wesentlichen drei größeren Komplexen zuordnen, die Theater ausmachen: dem Probenprozess, dem Vorgang der Wahrnehmung des Theaterereignisses und selbstverständlich der inhaltlichen Dimension einer Inszenierung bzw. ihrer diskursiven Ebene.

1) Zukünftigkeit in der Zeitlichkeit des Probenprozesses und Ereignischarakter einer Aufführung

Der gesamte Probenprozess ist ein Ort der Zukunftsproduktion insofern, als dort mittels der Proben und Inszenierungsvorgänge ein künftiges Ereignis vorbereitet wird. Sehr verkürzt lässt sich mit Blick auf die Hervorbringung dieses künftigen Geschehens sagen: die Theaterleute gehen aus von einem Text, einer Idee, der/die häufig gemeinsam bearbeitet wird. Sie durchlaufen zusammen und jeder für sich einen Prozess des Ausdenkens, Ausprobierens, Gestaltens, Verhandelns, Entwerfens, Zusammenfügens, um an dessen Ende das, was geschaffen wurde, in einen neuen Zustand zu überführen. Dieser neue Zustand des Geschaffenen wird immer wieder Aufführung genannt. Er zeichnet sich dadurch aus, dass man versucht, etwas, nämlich die nun fertige Inszenierung, d.h. ein Konzept, eine Vorstellung von etwas wiederholt in einer immer wieder ähnlichen oder gleichen Qualität vor einem immer wieder anderen Publikum zur Ansicht zu bringen. Dies macht den Ereignischarakter der Aufführung im Theater aus: sie ist einerseits auf eine ganze Reihe von klaren Vorstellungen bezüglich ihres Ablaufs gegründet, durch den Vorgang der Wiederholung hindurch ist sie jedoch stets auch offen für Unerwartetes. Das Überführen der Inszenierung in ein Ereignis ist nie ganz gesichert. Es ist zwar geplant und geprobt, aber es wird auch stets wieder in neue Zusammenhänge gebracht, die es in Frage [End Page 17] stellen bzw. seine Realisierung als Ereignis immer wieder neu konfigurieren. Letzteres gilt in zweierlei Hinsicht: Der rein technische Ablauf einer Aufführung ist immer prekär, d.h. prinzipiell zwischen Gelingen und Scheitern angesiedelt. In der Abhängigkeit von materialen und medialen Gegebenheiten gestaltet sich für jede Aufführung ein potentielles Risiko, das kaum zu umgehen ist. Auf der Ebene des Ästhetischen bzw. als ästhetisches Ereignis wiederum kann die Aufführung in ihrem Gelingen immer nur in Relation zu den anwesenden Zuschauern gedacht werden. Was ihren Wert als ästhetisches Ereignis ausmacht, wird – pointiert formuliert – stets von Zuschauer zu Zuschauer und von Aufführung zu Aufführung neu bestimmt. Jede Aufführung schafft sich so als gelingendes ästhetisches Ereignis im Zusammenspiel von Bühnengeschehen und Zuschauerpräsenz immer wieder aufs Neue.

2) Zukunft als Thema

Eine weitere Weise, wie sich Theater zu Künftigem und zu Zukunft verhalten kann, besteht darin, beides zum Gegenstand theatraler Phantasie und Reflexion zu erheben. Auch hier finden wir mehrere Möglichkeiten. Zukunft kann Thema auf der Bühne sein: in Tschechows Dramen zum Beispiel spielt sie in den Reden der Protagonisten häufig eine herausragende Rolle – so in den Drei Schwestern oder auch in Onkel Wanja, um die nicht erfüllte Gegenwart deutlich zu machen. Des Weiteren kann die dramatische oder theatrale Handlung in eine imaginierte Zukunft verlagert sein – denkbar wären Bühnenbearbeitungen...

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